01.11.2005 | Unfallschadensregulierung
Die „unklare Verkehrslage“ in der aktuellen Rspr.
Falsches Überholen steht unter den Unfallursachen mit an höchster Stelle. Besondere Bedeutung hat das – oftmals voreilig bejahte – Überholverbot „bei unklarer Verkehrslage“. Was es damit auf sich hat, zeigt der folgende Beitrag.
Basiswissen kompakt |
1. Gesetzestext: Von „unklarer Verkehrslage“ ist in der StVO expressis verbis nur im Zusammenhang mit dem Überholen die Rede (§ 5 Abs. 3 Nr. 1).
2. Ungeschriebenes Merkmal: Thematisiert wird die „unklare Verkehrslage“ auch im Kontext mit Geschwindigkeitsüberschreitungen (BGH NJW 85, 1950; OLG Celle NZV 03, 44; OLG Köln VersR 02, 1167), ferner in Vorfahrtfällen (z.B. unklare Vorfahrtsituation infolge straßenbaulicher Gegebenheiten) und im Rahmen der Generalklausel des § 1 StVO.
3. Definition: Was „unklare Verkehrslage“ i.S.d. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO bedeutet, ist gesetzlich nicht definiert. Zum Ausdruck kommen soll damit ein Grundsatz, den der BGH – vor In-Kraft-Treten des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO – so formuliert hat: Grundsätzlich darf eine Überholung nur eingeleitet und eine etwa eingeleitete Überholung nur fortgeführt werden, wenn der Überholende davon überzeugt sein darf, sie gefahrlos beenden zu können (DAR 59, 322).
4. Bundesgerichtshof: Was der BGH unter „unklarer Verkehrslage“ i.S.d. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO versteht, hat er bisher nicht allgemein umschrieben, jedoch anhand von Beispielen konkretisiert (NJW 96, 60).
5. Instanzgerichte: Sie arbeiten überwiegend mit folgender Formulierung: „Unklar ist die Verkehrslage, wenn nach allen Umständen mit ungefährdendem Überholen nicht gerechnet werden darf“ (OLG Düsseldorf 11.7.05, I-1 U 18/05, Abruf-Nr. 052876; weitere Nachweise bei Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 5 StVO Rn. 34). M.a.W.: Das Vertrauen, gefahrlos überholen zu können, muss nach den Gesamtumständen zumindest erschüttert sein. Auf den Vertrauensgrundsatz kann sich nur derjenige berufen, für den die Verkehrslage klar ist und der sich selbst verkehrsgerecht verhält.
6. Schutzrichtung: Nach der amtl. Begründung (bei Hentschel, a.a.O., Rn. 4) kann sich die Unklarheit der Verkehrslage nur auf vorhandenen Querverkehr und vor allem auf das Verhalten des zu Überholenden beziehen. Den Schutz des Gegenverkehrs bezweckt das Verbot des Überholens bei unklarer Verkehrslage nicht. Der Gegenverkehr ist nach § 5 Abs. 2 S. 1 StVO geschützt (s. auch KG DAR 01, 467).
7. Gegenverkehr: Zum Gegenverkehr gehört noch nicht derjenige Verkehrsteilnehmer, der bei Beginn des Überholvorgangs gerade mit dem Einbiegen begonnen hat und noch nicht voll in die Längsrichtung der bevorrechtigten Straße eingeordnet war (BGH NJW 96, 60). Bei einer Kollision zwischen einem Überholer und einem wartepflichtigen Rechtsabbieger ist demnach der Tatbestand der „unklaren Verkehrslage“ zu prüfen (BGH NJW 96, 60).
8. Ursachen für Unklarheit: Die Unklarheit der Verkehrslage kann sich prinzipiell aus allen – erkennbaren – Umständen ergeben, so zum Beispiel:
9. Zeitpunkt: Um ein Überholverbot zu begründen, muss die Verkehrslage grundsätzlich in dem Zeitpunkt für den Überholwilligen „unklar“ sein, in dem er zum Überholen ansetzt (OLG Düsseldorf 1.10.01, 1 U 220/00, Abruf-Nr. 052878). Wichtig ist das vor allem mit Blick auf den Zeitpunkt des Blinkens. Wird die Verkehrslage erst während des – zulässigerweise eingeleiteten – Überholvorgangs unklar, ist die Fahrweise des Überholers an § 1 StVO zu messen.
10. Darlegungs- und Beweislast: Die Umstände, aus denen sich die Unklarheit der Verkehrslage ergibt, stehen zur Darlegungs- und Beweislast desjenigen, der sich auf das Überholverbot beruft (st. Rspr., z.B. LG Chemnitz VA 04, 184, Abruf-Nr. 042623). Die Grundsätze des Anscheinsbeweises gelten nicht. Im Rahmen des Entlastungsbeweises nach § 17 Abs. 3 StVG muss der Überholer „Klarheit“ der Verkehrslage beweisen. |
Fallgruppe „Überholen von Linksabbiegern“ | ||||||||||||||||||||||||
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