01.11.2006 | Unfallschadensregulierung
Elterliche Aufsichtspflicht bei Kleinkindern
1. Ein Erziehungsberechtigter ist nicht dazu verpflichtet, sein zweijähriges Kind ständig an der Hand zu halten, wenn dieses auf einem Bürgersteig neben einer befahrenen Straße geht. Das Kind ist nur in besonderen Gefahrensituationen an die Hand zu nehmen. |
2. Rennt eine Mutter ihrem Kind nach, das auf eine befahrene Straße läuft, und achtet sie dabei nicht auf ein herannahendes Fahrzeug, so ist dies eine reflexartige Reaktion, die kein Mitverschulden der Mutter begründet. |
3. Wird ein Kraftfahrer nach Konsum von Cannabis in einen Unfall verwickelt, so kann ein Anscheinsbeweis für Unfallursächlichkeit sprechen. |
(Saarl. OLG 18.7.06, 4 U 239/05, Abruf-Nr. 062925 – Leitsatz 3 von Red.) |
Sachverhalt
Am 30.5.01 kam es innerorts zu einem Unfall, an dem die beiden Klägerinnen (Mutter und Kind) und der Beklagte mit seinem BMW beteiligt waren. Das knapp zweijährige Kind lief vom Bürgersteig – hinter einem dort abgestellten Lieferwagen – direkt auf die Fahrbahn. Die Mutter rannte hinter ihm her, um es zurückzuhalten. Auf der Fahrbahn wurden beide von dem BMW erfasst und schwer verletzt. Der Beklagte hatte Alkohol (0,37 Promille) und Cannabis konsumiert. Die auf Feststellung der Ersatzpflicht für die immateriellen Schäden gerichteten Klagen hat das LG mangels nachweisbaren Verschuldens (§ 847 BGB a.F.) abgewiesen. Einen Teilerfolg hatten dagegen die Feststellungsanträge hinsichtlich des materiellen Schadens. Beide Seiten haben das Urteil angefochten. Die Berufung der Beklagten war erfolglos, ebenso die Anschlussberufung, soweit es den immateriellen Schaden betrifft.
Entscheidungsgründe
Das OLG hat eine uneingeschränkte Haftung der Beklagten für die materiellen Schäden beider Klägerinnen bejaht, weil der Nachweis der Unabwendbarkeit (§ 7 Abs. 2 StVG a.F.) nicht gelungen sei. In diesem Zusammenhang wird die Laufgeschwindigkeit des Kindes erörtert und – zum Nachteil der Beklagten – eine solche von nur 1,5 m/sec nicht ausgeschlossen. Ein Mitverschulden hat der Senat sowohl für das Kind als auch – insoweit vom LG abweichend – für die Mutter verneint. Diese habe ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt. Ihr könne auch nicht angelastet werden, unvorsichtig auf die Fahrbahn gelaufen zu sein. Das sei eine „reflexartige Reaktion“, keine willensgesteuerte Handlung gewesen.
Mit Rücksicht auf den Alkohol- und Cannabiskonsum prüft das OLG sodann ein Verschulden des Beklagten, dem ein sonstiger Verkehrsverstoß nicht nachzuweisen war. Wie beim Alkohol gebe es grundsätzlich einen Anscheinsbeweis dafür, dass sich der Konsum von Cannabis unfallursächlich ausgewirkt habe. Nach den Gesamtumständen sei jedoch die ernsthafte Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs anzunehmen.
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