25.01.2011 | Unfallschadensregulierung
Erwerbsschaden eines Kindes
1. Trifft ein Schadensereignis ein jüngeres Kind, über dessen berufliche Zukunft aufgrund des eigenen Entwicklungsstands zum Schadenszeitpunkt noch keine zuverlässige Aussage möglich ist, kann es geboten sein, dass der Tatrichter bei der für die Ermittlung des Erwerbsschadens erforderlichen Prognose auch den Beruf sowie die Vor- und Weiterbildung der Eltern, ihre Qualifikation in der Berufstätigkeit, die beruflichen Pläne für das Kind sowie schulische und berufliche Entwicklungen von Geschwistern berücksichtigt. |
2. Ergeben sich aufgrund der tatsächlichen Entwicklung des Kindes zwischen dem Zeitpunkt der Schädigung und dem der Schadensermittlung (weitere) Anhaltspunkte für seine Begabungen und Fähigkeiten und die Art der möglichen Erwerbstätigkeit ohne den Schadensfall, ist auch dies bei der Prognose zu berücksichtigen und von einem dem entsprechenden normalen beruflichen Werdegang auszugehen. |
(BGH 5.10.10, VI ZR 186/08, Abruf-Nr. 103611). |
Sachverhalt, Entscheidungsgründe und Praxishinweis
Der Kl. erlitt bei der Geburt einen schweren Gehörschaden. Er nimmt den Gynäkologen auf Ersatz von Verdienstausfall in Anspruch. Auf der Grundlage eines rechtskräftigen Feststellungsurteils verlangt er Ersatz der Differenz zwischen dem Nettogehalt eines Informatikers mit Hochschulabschluss und dem tatsächlich erzielten Nettoeinkommen als Tischler bzw. Arbeitslosengeld. Während das LG die Klage abgewiesen hat, hat das OLG durch Grund- und Teilurteil entschieden, dass ihm Ersatz i.H.v. 80 Prozent der Differenz zwischen dem Nettoverdienst eines angestellten Tischlers und dem Nettoverdienst eines nicht akademisch ausgebildeten Kommunikationstechnikers zustehe. Die von beiden Parteien eingelegten Revisionen hat der BGH zurückgewiesen.
Das auch für den Verkehrsrechtler wichtige Urteil geht auf eine Vielzahl von Fragen ein, die in Erwerbsschadenprozessen immer wieder auftauchen: Entscheidung durch Grundurteil trotz rechtskräftigen Feststellungsausspruchs in einem Vorprozess, Besonderheiten der Erwerbsschadensermittlung nach §§ 252 BGB, 287 ZPO bei „Frühgeschädigten“ (Urteilsschwerpunkt mit Hinweisen auch für die Vortragslast), Bedeutung einer „unfallfremden“ gesundheitlichen Beeinträchtigung, Abschlag wegen Arbeitsplatzrisikos im fiktiven Beruf und schließlich Mitverschulden des Geschädigten an seiner beruflichen Situation.
Weiterführende Hinweise
- Zur Bemessung des Erwerbsschadens einer im Unfallzeitpunkt 39-jährigen Frau mit Teilzeitjob aber beruflichen „Ambitionen“: BGH 9.11.10, VI ZR 300/08, Abruf-Nr. 110027.
- Zur Erfassung und Durchsetzung von Erwerbsschäden s. Ernst VA 08, 132 ff.; Langenick NZV 09, 257 ff., 318 ff.
- zum Vorschadeneinwand beim Personenschaden Eggert, VA 10, 60 ff.
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