01.08.2007 | Unfallschadensregulierung
Keine Helmpflicht für „normale“ Radfahrer
Einen Erwachsenen, der mit einem gewöhnlichen Tourenrad einen innerörtlichen Radweg befährt, ohne einen Schutzhelm zu tragen, trifft nicht der Vorwurf des Mitverschuldens, wenn er infolge Unachtsamkeit einer Fußgängerin stürzt und sich dabei Kopfverletzungen zuzieht (OLG Düsseldorf 18.6.07, I-1 U 278/06, Abruf-Nr. 072167). |
Sachverhalt
In der Mittagszeit des 1.9.04 war der Kläger mit seinem Fahrrad in Neuss auf einem Radweg unterwegs. Einen Schutzhelm trug er nicht. Der Kläger, der sich der späteren Unfallstelle mit mind. ca. 15 km/h näherte, hatte in einer Entfernung von ca. 10 m geklingelt, weil links neben dem Radweg im Bereich einer Bushaltestelle die Beklagte stand, mit dem Rücken zum Kläger. Sein Tempo zu reduzieren oder sich bremsbereit zu halten, hielt er nicht für nötig, obgleich er keinen Blickkontakt zur Beklagten hatte. Während der weiteren Annäherung machte die Beklagte eine Bewegung in Richtung auf den Radweg, woraufhin der Kläger eine Vollbremsung durchführte. Dabei fiel er – ohne die Beklagte berührt zu haben – über den Lenker zu Boden. Das LG hat die Haftung im Verhältnis 70 : 30 zum Nachteil des Klägers verteilt. Angerechnet hat es ihm außer einer fehlerhaften Fahrweise eine Obliegenheitsverletzung wegen Fahrens ohne Helm. Die Berufung des Klägers führte zur vollen Verurteilung der Beklagten. Die Revision wurde zugelassen.
Entscheidungsgründe
Zunächst ist der Senat dem LG nicht in der Annahme gefolgt, Fahrweise und Annäherungsverhalten des Klägers seien fahrlässig gewesen. Ein Geschwindigkeitsverstoß liege bei Tempo 15 km/h (mehr war nicht feststellbar) nicht vor. Dem Kläger könne auch nicht angelastet werden, mit unverminderter Geschwindigkeit in Richtung auf die Beklagte zugefahren zu sein. Daran ändere nichts der Umstand, dass die Beklagte mit dem Rücken zu ihm in unmittelbarer Nähe des Radwegs gestanden habe. Entlastet werde er durch sein Klingeln. Ein Mitverschulden sieht der Senat auch nicht darin, dass der Kläger ohne Schutzhelm gefahren ist. Im Anschluss an seine aktuelle Rspr. vertritt er einen differenzierenden Standpunkt, wobei er insbesondere auf den Typ des Rades und den Grad der Gefährlichkeit des Radfahrens abstellt. Anders als vom Rennradfahrer könne von einem „normalen“ Radfahrer für die Alltagsfahrt derzeit noch nicht gefordert werden, einen Schutzhelm zu tragen, zumal insoweit noch kein allg. Bewusstsein einer Schutznotwendigkeit festzustellen sei.
Praxishinweis
Mit dem vorliegenden Urteil rundet der Senat seine jüngere Rechtsprechung zu den Helmfällen ab (siehe VA 06, 169, Abruf-Nr. 062688 – Jugendlicher mit BMX-Rad; VA 07, 63, Abruf-Nr. 070929 – Erwachsener mit Rennrad). Seine vor allem nach Person, Fahrradtyp und Ort differenzierende Lösung ist in der Fachpresse auf Zustimmung, aber auch auf Kritik gestoßen. Sollte die Beklagte die zugelassene Revision durchführen, wird der BGH Gelegenheit haben, das auch in der Bevölkerung heiß diskutierte Helmthema verbindlich zu klären. Des Weiteren kann er zu der umstrittenen Frage Stellung nehmen, welche Sorgfaltspflichten ein Radfahrer mit Blick auf Fußgänger hat, wenn er einen getrennten Rad- und Fußweg befährt. Auch aus diesem Grund hat das OLG die Revision zugelassen. Näheres zu Unfällen mit Beteiligung von Radfahrern im Schwerpunktbeitrag VA 04, 186 ff.; zur Helmpflicht bei Kradfahrern s. VA 06, 60 ff.
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