23.12.2009 | Unfallschadensregulierung
Konkret oder fiktiv oder gemischt: Die Vor- und Nachteile der einzelnen Abrechnungsarten
von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen
„Wie umfangreich und kompliziert die anwaltliche Beratung gerade hinsichtlich der Entscheidungshilfe für den Mandanten bezüglich konkreter oder fiktiver Abrechnungsvarianten ist, wird häufig unterschätzt“, so Rechtsanwältin P.-A. Kappus (DAR 08, 453). Um die hochdifferenzierte BGH-Rechtsprechung für den Mandanten optimal nutzen zu können, muss man zunächst die aktuelle Sprachregelung des VI. ZS kennen.
Unterschiede und Auswirkungen von konkreter und fiktiver Schadensabrechnung |
Ausgangslage: Nur beim Sachschaden wird dem Geschädigten gestattet, seinen Schaden ohne irgendeinen Akt der Wiederherstellung des früheren Zustands geltend zu machen. Da die Abrechnung etwas Gedachtes als Basis hat (Reparatur bzw. Ersatzbeschaffung und/oder die Kosten), nennt man sie „fiktiv“ oder „abstrakt“, bisweilen auch „hypothetisch“. Dagegen ist Voraussetzung einer konkreten Schadensabrechnung, dass der Zustand vor dem Unfall zumindest teilweise wieder hergestellt wird. Da das auch ohne Fremdleistung mit Rechnung geschehen kann, ist die Abrechnung auf Rechnungsbasis nicht die einzige Form der konkreten Schadensberechnung.
Wahlmöglichkeiten: Falsch ist die Ansicht, nach einer Reparatur in einer (Fremd-)Werkstatt könne nur konkret abgerechnet werden. Der Geschädigte darf prinzipiell trotz durchgeführter Fremdreparatur eine „fiktive“ Reparatur mit „fiktiven“ Kosten zur Grundlage seiner Abrechnung machen (BGH NJW 89, 3009). Ob ihm der Nachweis gelingt, dass diese Kosten den i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB „erforderlichen“ Geldbetrag ausmachen, steht auf einem anderen Blatt; wie auch § 142 ZPO mit seiner (wenig genutzten) Möglichkeit zur Eindämmung fiktiver Abrechnungen. Das Schadensgutachten ist Darlegungs- und Beweismittel, den erstattungsfähigen Aufwand legt es nicht bindend fest (BGH a.a.O.). Schätzfehler gehen bei Abrechnung auf Gutachtenbasis zu Lasten des Geschädigten (OLG Hamm VersR 01, 198). Sein Vertrauen auf die Richtigkeit des Gutachtens ist jedoch geschützt, wenn er auf dessen Grundlage disponiert. Richtschnur der Schadensbemessung ist stets - auch bei Abrechnung auf Rechnungsbasis - der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag (§ 249 Abs. 2 S. 1 BGB).
Falsch ist weiterhin die Vorstellung, dass bei einer Eigenreparatur (Selbstreparatur) nur eine fiktive Schadensabrechnung in Frage komme. Auch die Eigenreparatur ist eine zulässige Möglichkeit einer konkreten Abrechnung (Wellner in FS für G. Müller, 2009, S. 494, 498). Davon macht der Geschädigte Gebrauch, wenn er seinen tatsächlich betriebenen Reparaturaufwand dem Wert nach abrechnet. Sofern er, wie meist, die höheren Kosten einer vollständigen (Fremd)Reparatur ersetzt verlangt, handelt es sich indes um eine fiktive Abrechnung.
Auswirkungen: Eine konkrete Abrechnung kann zu einer höheren Ersatzleistung führen, sie muss es aber nicht. In den Grenzen des Wirtschaftlichkeitsgebots kann der Geschädigte Ersatz des gesamten - fiktiven - Herstellungsaufwands beanspruchen. Von praktischer Bedeutung ist die Unterscheidung zwischen den beiden Abrechnungsarten für
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Einzelfragen zum Reparaturkostenersatz |
Stufe 1: Geschätzte Reparaturkosten (RK) + Minderwert (MW) unter Wiederbeschaffungsaufwand (WBA) Hauptanwendungsfall der fiktiven RK-Abrechnung. Vorteile: einfach und schnell, keine Abhängigkeit von Instandsetzung, kein Weiternutzungserfordernis; Veräußerung/Inzahlunggabe ist für Abrechnung auf Gutachtenbasis unschädlich. Bei Reparatur wahlweise Abrechnung auf Rechnungsbasis; ggf. höhere Kosten als geschätzt (Prognose- und Werkstattrisiko bei konkreter Abrechnung: Schädiger).
Stufe 2: Geschätzte RK + MW über WBA, aber unter WBW: In diesem Bereich (für den BGH noch kein wirtschaftlicher TS) ist die Beseitigung des Schadens per Ersatzbeschaffung, streng betrachtet, wirtschaftlicher als eine Reparatur nach Maßgabe des Gutachtens. Das Ausmaß des Ersatzes - nur WBA oder RK/MW bis WBW - hängt davon ab, was der Mandant mit dem Fahrzeug macht und wie er seinen Schaden abrechnet.
Beispiel: M hat seinen Pkw in Eigenleistung repariert, Rechnung allenfalls über Teilekauf oder Teilarbeiten in einer Werkstatt. Die Qualität der Instandsetzung ist, wie meist, strittig, die Wiederherstellung der Fahrbereitschaft (= Verkehrstauglichkeit) ist unstrittig. Dazu, ob ein Fall der Stufe 2 oder 3 vorliegt, s. BGH VA 09, 91. Wenn Stufe 2, sind zwei Fallgestaltungen zu unterscheiden:
Möglichkeit 1 ist im Zweifel, auch mangels gefestigter Rspr., fragwürdig. Möglichkeit 2 ist gleichfalls schwer realisierbar. Sinn macht sie nur, wenn sie deutlich günstiger ist als der (sichere) WBA-Ersatz. Faktoren der Günstigerprüfung: einerseits WBA = Netto-WBW ./. RW (grds. lt. Gutachten), andererseits der Wert der tatsächlich durchgeführten Reparatur. Er kann unter Vorlage von Ersatzteilrechnungen und Angabe der Arbeitsstunden beziffert werden, beweiskräftig berechnen kann ihn nur ein Sachverständiger. Dazu OLG Düsseldorf VA 07, 192 (130 Prozent-Fall mit „Teilreparatur“ in Eigenregie).
Stufe 3a: Geschätzte RK + MW bis 130 Prozent über WBW und Vollreparatur Das Ausmaß des Ersatzes - nur WBA oder RK/MW bis 130 Prozent - hängt auch bei dieser Fallgruppe davon ab, was der Mandant mit dem Fahrzeug macht und wie er seinen Schaden abrechnet. Anders als auf der Stufe 2 ist jetzt der Nachweis des Integritätsinteresses unerlässlich. Da es ein „besonderes“ ist, verlangt der BGH Zweierlei:
Stufe 3b: Wie 3a, aber nur „Teilreparatur“ Ohne den Nachweis einer fachgerechten und vollständigen Instandsetzung ist der Geschädigte nicht integritätszuschlagswürdig. Unter bestimmten Voraussetzungen kann er dennoch im Wege konkreter Schadensabrechnung RK ersetzt verlangen, die über dem WBA liegen, nach oben begrenzt durch den WBW, d.h. nicht unbedingt in Höhe des WBW (LG Aachen SP 09, 290). Voraussetzung: Nachweis tatsächlich entstandener RK über WBA oder - bei Eigenreparatur - Nachweis einer Instandsetzung, die „wertmäßig“ den WBA übersteigt (BGH NJW 05, 1110; OLG Düsseldorf VA 06, 55; LG Aachen a.a.O.). Auch Fall 2 ist eine konkrete Abrechnung, indes in der praktischen Umsetzung problematisch. Zu den Darlegungs- und Beweisschwierigkeiten s. OLG Düsseldorf VA 07, 192; LG Aachen a.a.O.
Stufe 4: Geschätzte RK + MW oberhalb der 130 Prozent-Grenze Zu den (begrenzten) Möglichkeiten, selbst auf dieser Stufe - mittels konkreter Abrechnung - einen Reparaturkostenersatz durchzusetzen siehe VA 09, 149 ff. |
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