01.08.2007 | Unfallschadensregulierung
Merkantiler Minderwert trotz hoher Laufleistung
Bei einem erst ca. 3 ½ Jahre alten Pkw kann trotz einer Laufleistung von 195.648 km die Annahme eines merkantilen Minderwerts gerechtfertigt sein (OLG Oldenburg 1.3.07, 8 U 246/06, rkr., Abruf-Nr. 071952). |
Sachverhalt
Bei einem Auffahrunfall am 20.4.04 war der im Oktober 2000 erstmals zugelassene Audi A 6 Avant TDI der Klägerin erheblich beschädigt worden. Zur Instandsetzung waren Schweißarbeiten am Heck und Richtarbeiten im Bereich des Bodenblechs hinten erforderlich, ferner die Erneuerung diverser Anbauteile. Der von der Klägerin beauftragte Sachverständige ermittelte einen merkantilen Minderwert von 250 EUR. Die beklagte Versicherung lehnte einen Ersatz ab. Das LG gab ihr Recht. Das OLG entschied – ohne Einholung eines Wertgutachtens – zugunsten der Klägerin.
Entscheidungsgründe
Entgegen der Meinung des LG entspreche es nicht mehr der höchstrichterlichen Rechtsprechung, bei Pkw eine Fahrleistung von 100.000 km als Obergrenze für den Ersatz eines merkantilen Minderwerts anzusetzen. Die maßgeblichen Verhältnisse hätten sich wesentlich geändert. Auf eine starre Kilometergrenze könne heute nicht mehr abgestellt werden, schon gar nicht auf die 100.000 km-Grenze. Diese sei, wie der konkrete Fall zeige, nicht mehr zeitgemäß. Der Richter habe grenzwertunabhängig in jedem Einzelfall gem. § 287 ZPO zu prüfen, ob sich der Unfallschaden wertmindernd ausgewirkt habe. Das sei im Streitfall zu bejahen, wobei sich die Höhe des Wertverlustes aus dem Schadensgutachten in Verbindung mit einem ergänzenden Schreiben des Sachverständigen ergebe.
Praxishinweis
Das Urteil verdient Zustimmung. Wer aus Gründen der Praktikabilität für bestimmte Alters- und/oder Km-Grenzen plädiert, sollte wenigstens zeitgemäße Werte nehmen. Die 100.000 km-Grenze ist bei Pkw/Kombis längst überholt, ebenso die Fünfjahresgrenze. Neue Grenzwerte hat der BGH bislang nicht festgelegt (siehe Urteil vom 23.11.04, VA 05, 23, Abruf-Nr. 050015). Als Faustformel brauchbar sind die Ansätze von Greiner (BGH, VI. ZS) in zfs 06, 124, 126: 150.000 km und über 15 Jahre. 150.000 km bei einem Jüngeren oder, wie im vorliegenden Fall, knapp 200.000 km bei einem Dreijährigen sind also nicht per se „tödlich“. Zu berücksichtigen sind nicht allein Alter und Laufleistung, sondern der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs und sein Erhaltungszustand im Einzelfall, so Greiner a.a.O. Weitere Hinweise zum merkantilen Minderwert, der auch für die Vergleichskontrollrechnung bedeutsam ist, ja ausschlaggebend sein kann (z.B. in 130 %-Fällen), in VA 03, 130 ff. Den Vorrang der Schätzung durch einen Sachverständigen vor sämtlichen abstrakten Berechnungsmethoden betont zu Recht das LG Frankfurt/M. (zfs 07, 266). Das OLG Oldenburg hat den Minderwert ohne neutrale sachverständige Beratung geschätzt, was bei einem Streitbetrag von nur 250 EUR vertretbar ist, sofern, wie hier, der Privatgutachter seine Schätzung nachvollziehbar begründet hat.
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