04.07.2011 | Unfallschadensregulierung
Radfahrer-Unfälle in der aktuellen Rechtsprechung
von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen
„Wer Glück hat, steht wieder auf. Wer Pech hat, ist querschnittgelähmt“ (ADAC-Motorwelt 5/11). Dramatisch hohe Unfallzahlen meldet DER SPIEGEL (23/11). „Radfahrer im rechtsfreien Raum?“, so die Frage des AK IV auf dem 47. Verkehrsgerichtstag 2009. Hier die Antwort, Stand Juni 2011 (Anschluss an VA 07, 179).
I. Die zehn Gebote für Radfahrer |
1. § 1 StVO Die Grundregel gilt auch für Radfahrer (BGH VA 09, 21). Zu den Besonderheiten von Elektrofahrrädern/Pedelecs Huppertz NZV 10, 390; Ternig zfs 10, 2; bei Rennrädern Scheidler SVR 10, 368.
2. Sichtfahrgebot Auch Radfahrer müssen es beachten (BGH VA 09, 21).
3. Geschwindigkeit Nur so schnell darf gefahren werden, dass das Rad ständig beherrscht und innerhalb der übersehbaren Strecke angehalten werden kann (BGH VA 09, 21). Zur Pflicht, in einer Gefahrensituation abzubremsen und/oder zu klingeln, s. BGH VA 09, 21; OLG Oldenburg NZV 08, 527; KG 11.8.10, 12 U 179/09, Abruf-Nr. 104132.
4. Radwegbenutzungspflicht (Personen über 10 Jahre) Eine Benutzungspflicht der Radwege in der jeweiligen Fahrtrichtung besteht nur, wenn Zeichen 237, 240 oder 241 angeordnet ist (§ 2 Abs. 4 S. 2 StVO 2009). Zu den Voraussetzungen BVerwG DAR 11, 277 in einem Musterprozess eines bayerischen Bürgers, der sich erfolgreich gegen das Zeichen 240 zur Wehr gesetzt hat. Rechte Radwege ohne die Zeichen 237, 240 oder 241 dürfen nach § 2 Abs. 4 S. 3 StVO 2009 benutzt werden. Der Radfahrer darf aber auch auf der Fahrbahn fahren. Ob er damit eine Obliegenheit i.S.d. § 254 Abs. 1 BGB verletzt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (OLG Düsseldorf 15.12.03, 1 U 51/02, Abruf-Nr. 042612). Die Benutzungspflicht ist aufgehoben, wenn der Radweg aus baulichen Gründen (z.B. aus dem Boden brechende Baumwurzeln) oder witterungsbedingt (Schnee/Eis) nicht gefahrlos befahren werden kann (vgl. Burmann/Heß/Jahnke, 21. Aufl., § 2 StVO Rn. 58 mit Rspr.).
5. Linker Radweg Linke Radwege ohne die Zeichen 237, 240 oder 241 dürfen nur benutzt werden, wenn dies durch das Zusatzzeichen „Radverkehr frei“ allein angezeigt ist (§ 2 Abs. 4 S. 4 StVO 2009). Zur schwer verständlichen Neuregelung Scheidler NZV 10, 230.
6. Gemeinsamer Rad-/Fußweg (Zeichen 240) und getrennter Rad-/Fußweg (Zeichen 241) Zur Sorgfaltspflicht eines Radfahrers gegenüber Fußgängern auf - lediglich farblich getrennten - Rad- und Fußwegen i.S.d. Zeichens 241 (senkrechter Trennstrich) s. BGH VA 09, 21 mit abschließender Entscheidung OLG Düsseldorf VA 09, 129; s. auch OLG München 23.10.09, 10 U 2809/09, Abruf-Nr. 112036; ferner KG 11.8.10, 12 U 179/09, Abruf-Nr. 104132 (einfacher Radweg).
7. Radfahren auf dem Gehweg Personen über zehn Jahren ist das Befahren von Gehwegen nur bei ausdrücklicher Freigabe („Radfahrer frei“) gestattet. Für Kinder unter zehn Jahren besteht eine Sonderregelung (§ 2 Abs. 5 StVO). Wer als Erwachsener einen nicht freigegebenen Gehweg mit dem Rad befährt, handelt i.d.R. grob verkehrswidrig und muss seinen Schaden allein tragen (siehe Quotentabelle II).
8. Fußgängerüberwege bzw. -furten Sie dürfen von Radfahrern nicht befahren werden. Absteigen ist Pflicht. Fahrende Radfahrer nehmen am Fußgänger-Vorrang nicht teil (KG NZV 10, 254; LG Frankenthal SVR 11, 182).
9. Beleuchtung Ein Verstoß gegen § 17 Abs. 1 StVO begründet den Anscheinsbeweis der Unfallkausalität (OLG Frankfurt SP 10, 243, 279).
10. Helmpflicht Am 7.4.11 haben die Verkehrsminister der Länder sich gegen eine Helmpflicht entschieden. Ob und ggf. unter welchen Umständen Radfahrer ein Mitverschulden trifft, wenn sie keinen Helm tragen, hat der BGH bisher nicht geklärt. Die Instanzgerichte urteilen unterschiedlich. Nach der Rspr. des OLG Düsseldorf ist zu differenzieren: Das Nichttragen eines Helms braucht sich ein erwachsener Radfahrer, der innerorts mit einem „normalen“ Fahrrad unterwegs ist, nicht als Mitverschulden anrechnen zu lassen (VA 07, 135). Helmpflicht dagegen für (erwachsenen) Rennradfahrer (VA 07, 63 = NJW 07, 3075), konsequenterweise dann auch für E-Biker (noch keine Rspr.); keine Helmpflicht auf Privatgelände (Garagenhof) für einen 10-jährigen Mountainbiker (OLG Düsseldorf VA 06, 169). Diese differenzierende Beurteilung ist auf Zustimmung (OLG Saarbrücken SP 09, 136 = DAR 08, 210 m. Anm. Schubert), aber auch auf Kritik gestoßen (z.B. Kettler NZV 07, 603). Bei Bejahung eines Mitverschuldens muss geprüft werden, ob die Unfallverletzungen beim Tragen eines Helms ganz ausgeblieben oder weniger schwer gewesen wären (BGH VA 09, 21; s. auch BGH NJW 08, 3778 - Quad). |
II. Haftungsverteilung kreuzender Verkehr und Gegenverkehr (Rad/Kfz) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
Möchten Sie diesen Fachbeitrag lesen?
Kostenloses VA Probeabo
0,00 €*
- Zugriff auf die neuesten Fachbeiträge und das komplette Archiv
- Viele Arbeitshilfen, Checklisten und Sonderausgaben als Download
- Nach dem Test jederzeit zum Monatsende kündbar
* Danach ab 16,70 € / Monat
Tagespass
einmalig 10 €
- 24 Stunden Zugriff auf alle Inhalte
- Endet automatisch; keine Kündigung notwendig