24.08.2009 | Unfallschadensregulierung
Reparaturkostenersatz trotz kalkulierter Kosten über 130 Prozent?
von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen
Durch die Abwrackprämie ist der Pkw-Bestand zwar deutlich verjüngt worden. Dennoch sind mehr als 40 Prozent älter als acht Jahre. Wirtschaftlicher Totalschaden ist hier schon bei mittelschweren Unfallschäden programmiert. Bis 130 Prozent kann eine Reparaturkostenabrechnung bekanntlich funktionieren. Was aber bei kalkulierten Reparaturkosten über 130 Prozent? Die Antwort fällt meist erstaunlich apodiktisch aus: Ersatzfähig sollen nur die Wiederbeschaffungskosten sein. Der Beitrag zeigt, dass die Rechtsprechung zu dieser Fallgruppe in Wirklichkeit differenzierter ist.
I. Fallbeispiele | ||||||||||
Ausgangsfall Gutachten im Auftrag des Geschädigten über, effektive Kosten einer Fremdreparatur unter 130 Prozent (BGH VA 07, 175 = NJW 07, 2917).
Abwandlungen
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II. Die BGH-Rechtsprechung: Was ist entschieden, was nicht? |
Grundsatz 1: Liegen die - voraussichtlichen (!) - Kosten der Reparatur mehr als 30 Prozent über dem (reinen) WBW, ist die Instandsetzung in aller Regel wirtschaftlich unvernünftig. Ersatzfähig sind in einem solchen Fall nur die Wiederbeschaffungskosten (BGHZ 115, 375; VA 07, 175 = NJW 07, 2917). Nach BGHZ 115, 364 ist ein merkantiler Minderwert in den Kostenvergleich (Wirtschaftlichkeitsprüfung) einzubeziehen (so jetzt auch BGH 9.6.09, VI ZR 110/08, Abruf-Nr. 092210).
Grundsatz 2: Benutzt der Geschädigte in einem Über-130-Fall sein (verkehrssicheres) Fahrzeug weiter, gleich, ob mit oder ohne Reparatur, ist bei der Abrechnung nach den fiktiven Wiederbeschaffungskosten in der Regel der vom Sachverständigen für den regionalen Markt ermittelte Restwert abzuziehen, nicht ein höherer Betrag gem. einem Internet-Angebot von Versicherungsseite (VA 07, 75 = NJW 07, 1674).
Grundsatz 3: Lässt der Geschädigte sein Fahrzeug bei voraussichtlichen Reparaturkosten über 130 Prozent reparieren, können die Kosten nicht in einen vom Schädiger auszugleichenden wirtschaftlich vernünftigen Teil (bis zu 130 Prozent des WBW) und einen vom Geschädigten selbst zu tragenden wirtschaftlich unvernünftigen Teil aufgespalten werden, vgl. BGHZ 115, 375 - Splittingverbot.
Grundsatz 4: Liegen die voraussichtlichen Reparaturkosten schon lt. Gutachten und/oder Kostenvoranschlag zwischen 100 und 130 Prozent und lässt der Geschädigte ohne Rücksprache mit dem Schädiger/Versicherer reparieren, trägt ausnahmsweise er das Risiko der Grenzüberschreitung (NJW 72, 1800 mit Erläuterung in NJW 85, 2637, 2639). Somit unrichtig die auf BGHZ 115, 364 (Unter-Hundert-Fall!) gestützte These, auch im 130 Prozent-Bereich bürde der BGH das Werkstatt- und Prognoserisiko dem Schädiger auf. Zu beachten ist allerdings die Kompromisslösung des BGH: keine Beschränkung auf den WBW oder gar den WBA, sondern Reparaturkosten bis 130 Prozent (NJW 72, 1800).
Grundsatz 5: Liegen die kalkulierten Reparaturkosten über 130 Prozent, kann der Geschädigte sich nicht auf ein unverschuldetes Werkstatt- oder Prognoserisiko berufen, wenn es nicht gelingt, das Fahrzeug mit Kosten unter 130 Prozent fachgerecht und vollständig zu reparieren (BGH VA 07, 175).
Vom BGH bislang nicht entschieden: Ausgangsfall (dort scheiterte die 130 Prozent-Abrechnung an Reparaturdefiziten; die zentrale Frage „Schätzung versus Rechnung“ blieb ausdrücklich offen, womit die im Wortlaut strikte Ablehnung einer Reparaturkosten-Abrechnung in BGH VA 07, 75 = NJW 07, 1674, relativiert ist). Gleichfalls offen: Fallvarianten a) bis d). Abwandlung e) ist dagegen geklärt (BGHZ 115, 375; VA 07, 175 = NJW 07, 2917). Entschieden (aber klarstellungsbedürftig) ist die Verteilung des Werkstatt- und Prognoserisikos bei kalkulierten Reparaturkosten zwischen 100 und 130 Prozent und unabgestimmter Reparatur (BGH NJW 72, 1800). Nicht entschieden: Old- und Youngtimerfälle. |
III. Die Instanzgerichte: Überwiegend geschädigtenfreundlich |
1. Pro Geschädigte: Maßgeblichkeit der tatsächlichen Kosten
2. Pro Schädiger/Versicherer: Maßgeblichkeit der Sachverständigenkalkulation
3. Prognosefälle: Urteile pro Geschädigte
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