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  • 25.06.2008 | Unfallschadensregulierung

    Trotz Nichtanschnallens keine Mithaftung

    1. Wer entgegen § 21a Abs. 1 S. 1 StVO den Sicherheitsgurt nicht anlegt, den trifft grundsätzlich ein Mitverschulden gem. § 254 Abs. 1 BGB.  
    2. Bei schweren Frontalkollisionen mit hohen Geschwindigkeiten ist die Ursächlichkeit der erlittenen Unfallverletzungen jedoch nicht zu vermuten, wenn der Verletzte den Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte, sondern in den Airbag geprallt ist.  
    3. Vielmehr muss der Schädiger beweisen, dass dieselben Verletzungen bei Anlegen des Sicherheitsgurts nicht eingetreten wären.  
    (OLG Naumburg 27.2.08, 6 U 71/07, Abruf-Nr. 081849)  

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Aus Gründen, die der beklagte Fahrer allein verschuldet hat, kollidierte dessen Fahrzeug frontal mit dem entgegenkommenden Pkw des Klägers. Im Schmerzensgeldprozess verteidigte sich der Beklagte damit, der Kläger müsse sich wegen des – unstreitigen – Nichtanlegens des Gurts ein Mitverschulden von 30 Prozent anrechnen lassen. Dieselben Verletzungen wären auch eingetreten, wenn er angeschnallt gewesen sei, so der Kläger.  

     

    Das OLG hat auf volle Haftung des Beklagten erkannt. Selbst wenn den Kläger ein Mitverschulden wegen Nichtanlegens des Gurts träfe, müsse dies angesichts des groben Verschuldens des Beklagten (Fahren auf der Gegenfahrbahn mit hoher Geschwindigkeit bei Nässe und Dunkelheit) völlig zurücktreten. Beurteile man dies anders, sei der Kläger gleichwohl von einer Mithaftung freigestellt. Denn der Beklagte hätte nicht bewiesen, dass zwischen dem Nichttragen des Gurts und den Unfallverletzungen der erforderliche Ursachenzusammenhang bestehe. Zwar gebe es insoweit einen Anscheinsbeweis. Bei schweren Frontalkollisionen mit hohen Geschwindigkeiten bestehe er jedoch nicht. Deshalb müsste der Beklagte beweisen, dass dieselben Verletzungen bei Anlegen des Gurts nicht eingetreten wären. Das sei ihm nicht gelungen, obgleich nach einer Studie, die der Gerichtssachverständige herangezogen habe, die Wahrscheinlichkeit, als unangeschnallter Pkw-Insasse auf den Vordersitzen bei einer Geschwindigkeit von 56 km/h eine Hüftluxation zu erleiden, auf über 40 Prozent ansteige. Daraus könne aber laut Gutachten nicht gefolgert werden, dass der Gurt eine hintere Hüftluxation mit Acetabulumfraktur verhindert hätte.  

     

    Praxishinweis

    In Gurtfällen muss der Schädiger/Versicherer ein Zweifaches darlegen und beweisen: Zunächst die anlegepflichtbegründenden Tatsachen und das Nichtanschnallen, sodann die Kausalität dieses Unterlassens. In beiden Punkten kann dem Schädiger ein Anscheinsbeweis helfen. Mit dem Anscheinsbeweis für die Ursächlichkeit des Nichtanschnallens behandelt das OLG Naumburg das schwierigere der beiden Anscheinsbeweisthemen. Zumal bei Frontalkollisionen ist die Rspr., begründet vor Einführung des Airbags, alles andere als gradlinig (Nachw. in VA 06, 60, 62). Nach wie vor optimal informiert der Beitrag von Weber (VRiBGH) in NJW 86, 2667.