24.11.2010 | Unfallschadensregulierung
Überschreitung der Richtgeschwindigkeit: Mithaftung auch bei Verschulden des Unfallgegners
Bei deutlicher Überschreitung der BAB-Richtgeschwindigkeit (hier: 160 km/h) tritt die Haftung aus Betriebsgefahr auch bei erheblichem Verschulden des Unfallgegners regelmäßig nicht zurück. Ein „Idealfahrer“ fährt nicht schneller als die Richtgeschwindigkeit (OLG Nürnberg 9.9.10, 13 U 712/10, Abruf-Nr. 103686). |
Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Nur wenige Sekunden nach dem Einfahren auf die Autobahn wechselte der Fahrer des Kl.-Fz. bei Dunkelheit auf die linke Fahrspur. Das veranlasste die dort mit mind. 160 km/h fahrende Bekl. zu einer Vollbremsung. Im Zeitpunkt des Aufpralls hatte das Kl.-Fz. mind. 85 km/h erreicht. Bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit habe die Bekl. die Kollision mühelos vermeiden können, so das OLG. Den Beweis der Unabwendbarkeit (§ 17 Abs. 3 StVG) sieht es als nicht geführt an. Auf die Unabwendbarkeit eines Unfalls könne sich ein Kraftfahrer, der die Richtgeschwindigkeit überschritten habe, regelmäßig nicht berufen. Eine Ausnahme gelte nur, wenn er nachweise, dass der Unfall für ihn auch bei Tempo 130 nicht zu vermeiden war und es somit auch bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit zu dem Unfall mit vergleichbar schweren Folgen gekommen wäre. Diesen Entlastungsbeweis konnten die Bekl. nicht führen. Vielmehr stand fest, dass bei Tempo 130 schon ein moderates Abbremsen die Kollision verhindert hätte.
Der Senat verteilt die Haftung 75 : 25 zugunsten der Bekl. Dieser falle zwar kein unfallursächliches Verschulden zur Last, obgleich eine Geschwindigkeit von mind. 160 km/h bei Dunkelheit und hohem Verkehrsaufkommen nahe an eine verkehrswidrige Fahrweise heranreiche. Die durch die deutliche Überschreitung der Richtgeschwindigkeit gesteigerte Betriebsgefahr könne indes nicht völlig zurücktreten. Daran ändere nichts der Umstand, dass der Fahrer des Kl.-Fz. seine gesteigerte Sorgfaltspflicht (§ 5 Abs. 4 S. 1 StVO) verletzt und damit die Hauptursache für die Kollision gesetzt habe.
Praxishinweis
Die Entscheidung bewegt sich in den gesicherten Bahnen einer Spruchpraxis, für die nach wie vor BGH NJW 92, 1684 grundlegend ist. Allerdings sagt das Thür. OLG: Der auf eine Autobahn Einfahrende haftet i.d.R. voll, erst recht, wenn er nach dem Einfahren auf die Überholspur wechselt (NZV 10, 29). Tempo 160/170 war für dieses OLG kein Kürzungsgrund. Dagegen OLG Stuttgart NZV 10, 346: 20 Prozent Mithaftung bei 170 km/h. Auf dieser richtgeschwindigkeitstreuen Linie liegt die hier vorgestellte Entscheidung. An ihr sollte sich der Anwalt bei einem BAB-Unfall vergleichbarer Art orientieren (s. auch OLG München 9.10.09, 10 U 2965/09, Abruf-Nr. 103687; zur Bedeutung der Richtgeschwindigkeit ferner OLG Schleswig 30.7.09, 7 U 12/09, Abruf-Nr. 103688; OLG Brandenburg 2.10.08, 12 U 46/08, Abruf-Nr. 083328).
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