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  • 01.07.2006 | Unfallschadensregulierung

    Umfassender Fußgängerschutz an Haltestellen

    § 20 Abs. 1 StVO ist ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB für alle Fußgänger, die im räumlichen Bereich eines an einer Haltestelle haltenden Linienbusses, einer Straßenbahn oder eines gekennzeichneten Schulbusses unachtsam die Fahrbahn überqueren (BGH 28.3.06, VI ZR 50/05, Abruf-Nr. 061613).

     

    Sachverhalt

    Am 17.2.00 wollte der Ehemann der Klägerin eine innerstädtische Straße an einer Stelle überqueren, an der sich auf der für ihn gegenüberliegenden Seite eine Bushaltebucht befand. Dort hielt ein Linienbus (ohne eingeschaltetes Warnblinklicht). Fahrgäste stiegen ein und aus. Der Ehemann der Klägerin, der angeblich den Bus erreichen wollte, wurde beim Überqueren der Straße von einem Lkw erfasst und tödlich verletzt. Der Lkw-Fahrer hatte die Geschwindigkeit auf 33 km/h reduziert, eine Vollbremsung jedoch erst 8 m vor der endgültigen Halteposition eingeleitet. Die Klägerin verlangt Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens. Während das LG die Klage abgewiesen hat, hat das OLG die Zahlungsanträge dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und dem Feststellungsantrag stattgegeben. Die Revision hatte keinen Erfolg.  

     

    Entscheidungsgründe

    Mit dem OLG bejaht der BGH einen Verstoß des Lkw-Fahrers gegen § 20 Abs. 1 StVO. Hiernach ist an Omnibussen des Linienverkehrs, die an Haltestellen halten, vorsichtig vorbeizufahren. Nach Meinung des BGH hat der Fahrzeugführer diese Vorsicht bei jedem im räumlichen Schutzbereich der Haltestelle die Fahrbahn überquerenden Fußgänger zu beachten, unabhängig davon, ob er ausgestiegen ist oder einsteigen will. Auf die Fahrgasteigenschaft komme es entgegen einer weit verbreiteten Ansicht in Rspr. und Lit. nicht an. In dieser weitgehenden Auslegung sei § 20 Abs. 1 StVO auch ein Schutzgesetz i.S.d. 823 Abs. 2 BGB zugunsten eines jeden Fußgängers im Haltestellenbereich.  

     

    Praxishinweis

    In tatsächlicher Hinsicht ist Zweierlei wichtig: Es handelt sich um einen „Altfall“, so dass immaterieller Schadensersatz verschuldensabhängig war. Zum anderen ist es kein Fall, der nach der – bis heute für viele Kraftfahrer unverständlichen – Regelung des § 21 Abs. 4 StVO zu beurteilen ist (Bus mit eingeschaltetem Warnblinklicht). Die vom BGH überzeugend begründete Ausweitung des geschützten Personenkreises auf alle Fußgänger und die damit einhergehende Annahme eines Schutzgesetzes i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB kann Fußgängern auch bei Unfällen aus der Zeit nach dem 1.8.02 helfen. Denn ein nachgewiesenes Fahrerverschulden hat Einfluss auf die Haftungsquote. Außerdem gibt es bei deliktischer Haftung keine Haftungshöchstgrenzen. Ein Verschulden lässt sich auf dem Boden der vorliegenden BGH-Entscheidung in zweifacher Weise besser nachweisen als nach der bisher vorherrschenden Meinung: Der Einwand des Schädigers, der Verletzte sei kein Fahrgast gewesen, auch kein potentieller, sticht nicht mehr. Davon abgesehen ist der Sorgfaltsmaßstab nach § 20 Abs. 1 StVO strenger als nach der Generalklausel in § 1 Abs. 1 StVO. Zum Fußgänger-Unfall siehe ausführlich VA 04, 168 ff.