01.08.2006 | Unfallschadensregulierung
Weiternutzung ohne Reparatur: mind. 6 Monate
Der Geschädigte kann zum Ausgleich des durch einen Unfall verursachten Fahrzeugschadens, der den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigt, die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts ohne Abzug des Restwerts verlangen, wenn er das Fahrzeug – ggf. unrepariert – mindestens sechs Monate nach dem Unfall weiter nutzt, Fortführung von BGHZ 154, 395 ff. (BGH 23.5.06, VI ZR 192/05, Abruf-Nr. 061832). |
Sachverhalt
Ohne seinen zwar beschädigten, aber funktionsfähigen und verkehrssicheren Pkw zu reparieren, benutzte der Kläger ihn ca. vier Monate nach dem Unfall weiter, bevor er ihn veräußerte; angeblich entgegen seiner ursprünglichen Absicht und nur wegen eines weiteren, unfallunabhängigen Schadens. Die Versicherung lehnte eine Abrechnung auf der Basis der gutachterlich geschätzten Netto-Reparaturkosten i.H.v. 3.216,35 EUR ab. Sie ermittelte einen Restwert von 3.460 EUR und erstattete nur die Differenz zu einem Netto-Wiederbeschaffungswert von 5.086,21 EUR (Gutachtenwert brutto 5.900 EUR). Der Kläger machte den Mehrbetrag von 1.606,21 EUR gerichtlich geltend. AG und LG wiesen die Klage ab. Die zugelassene Revision blieb erfolglos.
Entscheidungsgründe
Der BGH hat die Ansicht, dem Kläger stehe nur der Wiederbeschaffungsaufwand (= Wiederbeschaffungswert ./. Restwert) zu, im Ergebnis gebilligt. Entgegen getreten ist er jedoch der Begründung des LG, die bloße Weiternutzung des – unreparierten – Fahrzeugs genüge nicht, um statt des Wiederbeschaffungsaufwands die höheren Reparaturkosten liquidieren zu können. Um bei geschätzten Reparaturkosten unter dem Wiederbeschaffungswert den erforderlichen Reparaturaufwand beanspruchen zu können, sei der Geschädigte nicht in jedem Fall zur Reparatur verpflichtet. In Fortführung seines Urteils vom 29.4.03 (BGHZ 154, 395 = VA 03, 78, Abruf-Nr. 031070) stellt der BGH jetzt klar: Für den Anspruch auf Ersatz der fiktiven Reparaturkosten ohne Berücksichtigung des Restwerts ist entscheidend, dass der Geschädigte das Fahrzeug weiter nutzt, sei es auch in beschädigtem, aber noch verkehrstauglichem Zustand. Solange dies der Fall sei, bleibe der Restwert ein nur hypothetischer Rechnungsposten. Bei alsbaldiger Veräußerung nach dem Unfall realisiere der Geschädigte unter Aufgabe seines Integritätsinteresses den Restwert mit der Folge einer Anrechnungspflicht. Im Regelfall werde ein nachhaltiges Interesse an der Weiternutzung zum Ausdruck gebracht, wenn sie sich über mind. sechs Monate erstrecke. Da der Kläger seinen Pkw bereits nach ca. vier Monaten veräußert habe, stehe ihm nur der Wiederbeschaffungsaufwand zu.
Praxishinweis
Die Formel „reparieren und behalten“ im BGH-Urteil vom 29.4.03 (a.a.O.) haben die Versicherer wörtlich genommen und Anspruchsteller auch außerhalb von 130 %-Konstellationen reihenweise auf den geringeren Wiederbeschaffungsaufwand gesetzt, wenn keine Instandsetzung oder nur eine Minimalreparatur nachgewiesen werden konnte. Die Instanzgerichte sind dem vielfach gefolgt. Die fällige Klarstellung durch den BGH ist zu begrüßen. Wenn das Fahrzeug trotz des Unfalls funktionsfähig geblieben ist, kommt es in der Tat entscheidend auf die Weiternutzung an, nicht auf die Reparatur. Die Sechsmonatsfrist, im Schrifttum mehr als taktische Sicherheitsgrenze empfohlen (vor allem in 130 %-Fällen), bezeichnet der BGH ausdrücklich als Regelfrist; Ausnahmen sind also möglich. Wichtig ist, dass es dem BGH nicht auf den bloßen Willen zur Reparatur bzw. Weiternutzung ankommt. Das Motiv für eine ursprünglich nicht beabsichtigte Veräußerung will er gleichfalls nicht erforscht sehen.
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