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  • Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis

    Verteidigung gegen vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis

    von RiOLG Detlef Burhoff, Ascheberg/Hamm

    Der Verteidiger muss sich fast täglich mit Fragen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 111a StPO auseinandersetzen. Diese sind für den Mandanten i.d.R. von herausragender Bedeutung, da er ohne Führerschein entweder seinen Beruf überhaupt nicht mehr ausüben kann oder zumindest erhebliche Schwierigkeiten hat, ohne Pkw zur Arbeitsstelle zu gelangen. Deshalb muss der Verteidiger in diesen Fällen besonders sorgfältig und schnell arbeiten. Dabei sollen die nachfolgenden Ausführungen Hilfestellung leisten.

    Was ist Grundlage der vorläufigen Entziehung?

    Nach § 111a Abs. 1 S. 1 StPO kann die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden, wenn dringende Gründe für die Annahme sprechen, dass die Fahrerlaubnis gem. § 69 StGB entzogen wird. Diese liegen vor, wenn ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad gegeben ist, dass das Gericht den Beschuldigten für ungeeignet zum Führen von Kfz halten und ihm daher die Fahrerlaubnis entziehen wird (OLG Düsseldorf StV 92, 219; BVerfG VRS 90, 1; KMG, § 111a Rn. 2 m.w.N.). Der Begriff der „dringenden Gründe“ entspricht damit dem des „dringenden Tatverdachts“ i. S.d. § 112 StPO. Das wird häufig übersehen, ist aber ggf. von besonderer Bedeutung, wenn der Mandant die ihm zur Last gelegte Tat bestreitet.

    Praxishinweis: Das Vorgehen des Verteidigers richtet sich nach dem Verfahrensstadium, in dem er eingeschaltet wird. Ist die Fahrerlaubnis noch nicht vorläufig entzogen, kann er das ggf. (noch) verhindern. Ist die Fahrerlaubnis hingegen bereits von der Polizei sichergestellt und/oder die vorläufige Entziehung möglicherweise schon richterlich angeordnet, muss er sich überlegen, ob und mit welchen Rechtsmitteln er vorgehen will. Schließlich muss der Verteidiger immer auch im Auge behalten, ob die angeordnete Maßnahme ggf. wegen Zeitablaufs wieder aufgehoben werden muss.

    Erster Fall: Fahrerlaubnis ist noch nicht vorläufig entzogen

    Der Verteidiger muss zunächst die ihm bekannte Einlassung des Mandanten darauf prüfen, ob überhaupt dringender Tatverdacht hinsichtlich einer so genannten Katalogtat des § 69 Abs. 2 StGB vorliegt. Hierunter fallen nur Verkehrsdelikte, nämlich

    • Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB);
    • Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB);
    • Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort gem. § 142 StGB, wenn der Täter weiß oder wissen kann, dass bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist (vgl. dazu Burhoff VA 02, 13);
    • Vollrausch (§ 323a StGB), wenn als Rauschtat eine der vorgenannten Taten vorliegt.

    Drogenbeschaffungsfahrten gehören nicht zum Katalog des § 69 Abs. 2 StGB. Das OLG Düsseldorf verlangt bei ihnen – abweichend von der übrigen obergerichtlichen Praxis – hinsichtlich der Frage der Entziehung eine umfassende Gesamtabwägung aller maßgeblichen Umstände (VA 02, 108, Abruf-Nr. 020601, vgl. dazu auch Molketin, zfs 02, 209).

    Praxishinweis: Eine Einlassung wird der Verteidiger in der Regel auch in diesen Fällen nach Möglichkeit erst abgeben, wenn er Akteneinsicht gehabt hat.

    Checkliste: Worauf muss der Verteidiger besonders achten?

    Steht der Mandant als Fahrer fest? Wenn nicht, muss überlegt werden, ob ihm die Fahrereigenschaft nachgewiesen werden kann und welche Einlassung abgegeben werden soll.

    Sind die vorliegenden Beweismittel verwertbar? Die Entziehung der Fahrerlaubnis kann z.B. ausscheiden, wenn die Mandantenangaben gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten unverwertbar sind. Das kann bei Angaben in einem nur „informatorischen Gespräch“ der Fall sein, wenn der Mandant nicht belehrt wurde und sich nun nicht mehr zur Sache äußern will (LG München StV 99, 143; zu Beweisverwertungsverboten s. auch Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 2. Aufl., Rz. 658 ff., 662 ff.).

    Ist dem (alkoholisierten) Mandanten eine Blutprobe entnommen worden? Hier muss der Verteidiger umgehend das Ergebnis erfahren, damit er ggf. ein Vergehen nach §§ 315c, 316 StGB ausschließen kann. Er muss klären, ob die von seinem Mandanten genommene Blutprobe verwertbar ist (zu Fehlerquellen bei Blutproben und sich daraus ergebenden Ansatzpunkten für die Verteidigung Harbort ZAP F. 9, S. 357; Burhoff, a.a.O., Rz 453).

    Beruht die Fahruntüchtigkeit auf der Einnahme anderer berauschender Mittel (z.B. Drogen oder Medikamente)? Allein der Nachweis von Drogenwirkstoffen im Blut rechtfertigt noch nicht die Annahme der Fahruntüchtigkeit. Hierfür bedarf es weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen (BGH NJW 99, 226, zu den Indikatoren für rauschmittelbedingte Fahrunsicherheit Harbort NZV 96, 219 m.w.N.; zur Feststellung der absoluten Fahruntüchtigkeit nach Amphetamingenuss OLG Düsseldorf StV 99, 22).

    Bei unerlaubtem Entfernen vom Unfallort gem. § 142 StGB muss sich der Verteidiger mit den Fragen der Wartepflicht (vgl. dazu Burhoff VA 01, 153) und ggf. des bedeutenden Sachschadens auseinandersetzen (Burhoff VA 02, 10; siehe dazu auch LG Bielefeld VA 02, 63 (bedeutender Sachschaden erst ab 1.250 EUR).

    Liegen die Voraussetzungen für den vorläufigen Entzug grundsätzlich vor, muss geprüft werden, ob ausnahmsweise von der Entziehung abgesehen werden kann. Das kann sein, wenn wegen Besonderheiten der Tat die Indizwirkung des § 69 Abs. 2 StGB entfällt. Dazu muss die Tat einen Ausnahmefall darstellen, der die (spätere) Anordnung der Maßregel entbehrlich macht. Es müssen aber besondere Umstände vorliegen, die den an sich schweren Verstoß in einem günstigeren Licht erscheinen lassen (Tröndle-Fischer, StGB, § 69 Rn. 12a; LG Gera VA 00, 103; LG Potsdam VA 02, 79, Abruf-Nr. 020417).

    Praxishinweis: Möglich ist es nach § 111a Abs. 1 S. 2 StPO auch, bestimmte Arten von Kfz von der vorläufigen Entziehung auszunehmen. Die Voraussetzungen dafür entsprechen denen des § 69a Abs. 2 StGB (KMG, § 111a Rn. 4; Burhoff, a.a.O., Rz. 959). Dazu muss der Verteidiger in seinem Antrag besondere Umstände zum Nachweis darlegen, dass der Zweck der vorläufigen Entziehung dadurch nicht gefährdet wird. Die Umstände müssen den Schluss zulassen, dass eine Gefährdung der Allgemeinheit nicht gegeben ist. Dies kann sein, wenn der zum Führen von Kfz an sich ungeeignete Beschuldigte nur bestimmte Fahrzeuge benutzt (LG Dessau zfs 98, 484; Orlich NJW 77, 1182). Deshalb reichen wirtschaftliche Gründe allein grundsätzlich nicht aus (KK-Nack, § 111a Rn. 5).

    Zweiter Fall: Führerschein ist polizeilich sichergestellt oder vorläufig entzogen

    Zunächst ist zu entscheiden, ob gegen die Sicherstellung oder Entziehung der Fahrerlaubnis überhaupt Rechtsmittel eingelegt werden soll. Das ist für den Mandanten wegen der Gefahr der Verfahrensverzögerung nicht risikolos. Auch könnte eine (erfolglose) Beschwerde und die nachteilige Entscheidung des Beschwerdegerichts das später entscheidende Gericht in seiner Entscheidung beeinflussen. Deshalb sollte sich der Verteidiger überlegen, ob er nicht nur einen Aufhebungsantrag stellt oder, wenn er gute Argumente gegen die Entziehung zu haben glaubt, Gegenvorstellung erhebt.

    Praxishinweis: Der Verteidiger muss seinen Mandanten darüber belehren, dass er nach Bekanntgabe des Beschlusses über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mehr am Straßenverkehr teilnehmen darf. Tut der Mandant dies dennoch, kann er (auch noch) nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 StVG wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis bestraft werden (BGH NJW 62, 2104). Es besteht die Gefahr, dass sein Fahrzeug nach § 21 Abs. 3 Nr. 1 StVG eingezogen wird, zudem fährt er ohne Versicherungsschutz (BGH NJW 82, 182). Das gilt auch bei der Beschlagnahme durch die Polizei gem. § 94 Abs. 3 StPO.

    Checkliste: Worauf muss der Verteidiger besonders achten?


    Es soll Rechtsmittel eingelegt werden:

    Ist die Fahrerlaubnis von der Polizei wegen „Gefahr im Verzug“ beschlagnahmt worden (§§ 98 Abs. 1 S. 1, 94 Abs. 3 StPO), muss dagegen gem. §§ 98 Abs. 2 S. 2, 111a Abs. 4 StPO die richterliche Entscheidung beantragt werden.

    Gegen die auf diesen Antrag ergehende richterliche Entscheidung ist die Beschwerde nach § 304 StPO zulässig.

    Liegt bereits eine richterliche Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis vor, ist für den Beschuldigten sofort die Beschwerde nach § 304 StPO gegeben. Beschwerde kann er auch einlegen, wenn seine Fahrerlaubnis vom Ermittlungsrichter ohne Antrag der StA von Amts wegen beschlagnahmt worden ist. Dieser Verfahrensfehler kann aber im Beschwerdeverfahren geheilt werden (LG Gera NStZ-RR 96, 235).

    Es soll (zunächst) kein Rechtsmittel eingelegt werden:

    Der Verteidiger muss den Zeitablauf im Auge behalten und darauf achten, ob die Maßnahme ggf. nicht gem. § 111a Abs. 2 StPO wieder aufgehoben werden muss. Dazu ist auf Folgendes hinzuweisen: Ein Aufhebungsgrund kann sich aus einem Wegfall der zur Anordnung der Maßnahme führenden Gründe ergeben. Dies ist insbesondere der Fall, 

    wenn kein dringender Tatverdacht (mehr) besteht;

    eine besonders lange Verfahrensdauer dazu führt, dass die Feststellung der mangelnden Eignung in der Hauptverhandlung nicht (mehr) wahrscheinlich ist und deshalb die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben werden muss (BayObLG NJW 71, 206; KG VRS 60, 109, 111; OLG Hamm MDR 75, 167; LG Dresden zfs 99, 122 [seit der Tat 10 Monate beanstandungsfreie Teilnahme des Beschuldigten]; LG Zweibrücken VRS 98, 22; s. aber auch OLG Dresden OLG-NL 97, 71; OLG Köln StV 91, 248, OLG Frankfurt NStZ-RR 98, 76, sowie OLG Düsseldorf StraFo 00, 56 [beide für Ablauf der Sperrfrist während des Rechtsmittelverfahrens]). Allerdings dürfte das wohl nur in Ausnahmefällen gelten (s. dazu LG Köln zfs 80, 124; zu allem auch Schulz NZV 97, 62 m.w.N.).

    Der Verteidiger wird daher immer die bei seinem („Stamm-“)Gericht übliche Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis berücksichtigen und nach Ablauf dieser Frist, ohne dass eine Hauptverhandlung stattgefunden hat, die Aufhebung der Maßnahme beantragen. Er muss auch darauf achten, dass Verfahren, in denen die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen worden ist – ebenso wie Haftsachen – beschleunigt zu führen sind (OLG Hamm VA 02, 20, Abruf-Nr. 020047; zfs 02, 199).

    Praxishinweis: Soll dem Mandanten die Fahrerlaubnis erst längere Zeit nach der Tat entzogen werden, ist das zwar grundsätzlich zulässig. In diesen Fällen ist aber der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besonders zu beachten (OLG Hamm, a.a.O., m.w.N.). Das OLG Hamm (a.a.O.) hat die Entziehung der Fahrerlaubnis auch noch zehn Monate nach der Tat als zulässig angesehen. Andere Gerichte sehen das strenger (LG Dresden zfs 99, 122 [10 Monate], AG Homburg zfs 91, 214 [8 Monate], LG Ravensburg zfs 95, 314 [6 Monate], LG Saarbrücken zfs 96, 153 [5 Monate] und LG Tübingen zfs 98, 484 [41 ½ Monate].

    Quelle: Verkehrsrecht aktuell - Ausgabe 07/2002, Seite 105

    Quelle: Ausgabe 07 / 2002 | Seite 105 | ID 107008