15.04.2008 · IWW-Abrufnummer 081140
Oberlandesgericht Düsseldorf: Urteil vom 10.03.2008 – I-1 U 175/07
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
I – 1 U 175/07
3 O 267/05 LG Krefeld
Verkündet am 10. März 2008
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 11. Februar 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. E, den Richter am Oberlandesgericht E und den Richter am Landgericht L
für R e c h t erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen - das am 5. Juli 2007 verkündete Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 55,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. August 2005 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü nd e :
Die zulässige Berufung der Beklagten ist ganz überwiegend begründet.
I.
Wegen des Verkehrsunfalls vom 9. Januar 2005 gegen 16.00 Uhr in B auf der B... Straße kann der Kläger lediglich 50 % seines Schadens in Höhe von 11.131, 30 € ersetzt verlangen, abzüglich der bereits gezahlten 5.510, 65 € also lediglich noch den zuerkannten Betrag von 55,- € nebst Zinsen. Entgegen dem Landgericht trifft den Kläger neben der – im Hinblick auf die hohe Geschwindigkeit von mindestens 88 km/h ohnehin erhöhte - Betriebsgefahr seines Motorrades ein unfallursächliches Verschulden, weil er den Pkw ... in einer unklaren Verkehrssituation überholt hat (§ 5 III Nr. 1 StVO). Dieser Mitverantwortungsanteil wiegt im Vergleich mit dem von dem Landgericht beanstandungsfrei festgestellten Verschulden der Beklagten zu 1. (Verstoß gegen die Rückschaupflicht aus § 9 I 4 StVO) und der Betriebsgefahr des von ihr geführten Pkw ähnlich schwer, so dass eine gleichmäßige Haftungsverteilung geboten ist.
Im Einzelnen ist noch folgendes auszuführen:
Der Senat vermag sich unter den gegebenen Umständen der Wertung des Landgerichts, dass ein Verstoß des Klägers gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO nicht feststellbar sei, nicht anzuschließen. Richtig ist, dass eine unklare Verkehrslage im Sinn dieser Vorschrift erst dann vorliegt, wenn der Überholende unter den gegebenen Umständen mit einem ungefährlichen Überholvorgang nicht rechnen darf (OLG Düsseldorf, NZV 1994, 446; 1996, 119; 1997, 491), die Verkehrslage also unübersichtlich ist und sich ihre Entwicklung nach objektiven Umständen nicht beurteilen lässt. Der Kläger durfte daher insbesondere nicht überholen, wenn er Anzeichen dafür hatte, dass der vorausfahrende Pkw ... möglicherweise abbiegen wollte. Zutreffend ist, dass Anzeichen hierfür vorliegend nicht in der Form feststellbar sind, dass sich der Pkw ... unter – weiterer – Reduzierung seiner Geschwindigkeit oder erkennbares Abbremsen bereits deutlich zur Fahrbahnmitte eingeordnet hatte. Nach dem Beweisergebnis kann auch nicht davon ausgegegangen werden, dass der Kläger rechtzeitig die Fahrtrichtungsanzeige an dem Pkw ... bemerken konnte. Mit dem Gutachten des Sachverständigen S ist das – aber auch das Gegenteil - nicht geklärt. Denn dieser hat auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Abbiegens des Pkw abgestellt, anstatt auf das - die Erkennbarkeit des die Linksabbiegabsicht des Pkw ... hinreichend deutlich machende - Blinken des Fahrtrichtungsanzeigers. Insoweit liegen gesicherte Erkenntnisse durch die Angaben der Beklagten zu 1. und der Zeugin G. vor, wonach die Beklagte zu 1. etwa 27 m vor der Einmündung mit dem Blinken begonnen hat. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger aber mit seinem Motorrad noch deutlich weiter entfernt, als dies der Sachverständige S für den Zeitpunkt des tatsächlichen Abbigens errrechnet hat. Insoweit ist also ungeklärt, ob der Kläger nicht doch rechtzeitig die Abbiegeabsicht der Beklagten zu 1. erkennen konnte. Der Senat kann diese Frage jedoch offen lassen, weil die Verkehrslage für den Kläger erkennbar jedenfalls deshalb schon unklar sein musste, weil die Beklagte zu 1. besonders auffällig (konstant) langsam fuhr, nämlicht lediglich – wie vom Sachverständigen S ermittelt - mit etwa 18 km/h. Diese Geschwindigkeit ist so ungewöhnlich niedrig, dass sie Misstrauen im Hinblick auf das künftige Fahrverhalten des Langsamfahrers begründen musste. Üblicherweise wird eine derart niedrige Geschwindigkeit nämlich selbst von ungeübten Fahrern oder „Spazierfahrern“ zum weiteren Fortkommen auf einer – wie hier – gerade und übersichtlich verlaufenden Straße mit zulässiger Geschwindigkeit von 100 km/h nicht gewählt. Der nachfolgende Verkehr kann daher nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass alles seine Ordnung hat, sondern muss in Betracht ziehen, dass Umstände zu dieser Fahrweise geführt haben, die ein gefahrloses Überholen in Frage stellen können, wie etwa eine eingeschränkte Fahrtüchtigkeit des Vorausfahrenden oder eine – noch nicht weiter angekündigte – Abbiegeabsicht.
Letzteres musste der ortskundige Kläger hier verstärkt in Betracht ziehen: er wusste von den beiden Zufahrten zum Friedhof. Im Hinblick auf die unklare Verkehrssituation hätte er daher nicht – wie geschehen – mit seinem Motorrad unbedenklich mit sehr hoher Geschwindigkeit an den Pkw heranfahren dürfen, sondern sich mit der gebotenen Vorsicht annähern müssen. Hätte er dies getan, hätte er ohne weiteres rechtzeitig die Fahrtrichtungsanzeige des Pkw ... wahrnehmen und seinen Überholvorgang zurückstellen müssen und können. Soweit der Kläger im Verhandlungstermin vor dem Senat angegeben hat, dass ihm die extreme Langsamfahrt der Beklagten zu 1. nicht aufgefallen sei, entlastet ihn das nicht; die Erkennbarkeit der Fahrweise der Beklagten zu 1. belegt schon die Aussage des Zeugen B, der bereits aus etwa 250 m Entfernung den konstant langsam fahrenden Pkw wahrgenommen hat.
II.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.394,39 € festgesetzt.