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  • 04.07.2011 · IWW-Abrufnummer 112009

    Landgericht Saarbrücken: Urteil vom 20.05.2011 – 13 S 27/11

    Zur Abrechnung auf Neuwagenbasis bei wirtschaftlichem Totalschaden


    Tenor
    1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Homburg vom 06.01.2011 - 16 C 225/10 (13) – wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.
    2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
    3. Die Revision wird nicht zugelassen.
    Gründe
    I.
    Der Kläger beansprucht restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 22.08.2010 in ... ereignet hat und für den die Beklagte als Kfz-Haftpflichtversicherer einstandspflichtig ist.
    Bei dem Unfall wurde das Fahrzeug des Klägers erheblich beschädigt, das am 23.07.2010 erstmals zugelassen worden war und zum Unfallzeitpunkt eine Laufleistung von 1.674 km hatte. Ein vorprozessual beauftragter Kraftfahrzeugsachverständiger ermittelte in seinem Gutachten vom 24.08.2010 (Bl. 6 d.A.) die Reparaturkosten mit 26.899,82 EUR brutto, den Wiederbeschaffungswert mit 14.800,- EUR und den Restwert mit 2.650,- EUR. Dieses Gutachten ist von den Parteien nicht angegriffen worden. Am 03.09.2010 erwarb der Kläger ein baugleiches Neufahrzeug zu einem Preis von 18.060,01 EUR, das am 06.09.2010 erstmals zugelassen wurde. Am 22.09.2010 veräußerte er das Unfallfahrzeug zu einem Kaufpreis von 2.650,- EUR. Die Beklagte hat dem Kläger einen Betrag von 12.150,- EUR ersetzt (Wiederbeschaffungswert 14.800,- EUR abzüglich Restwert 2.650,- EUR).
    Der Kläger hat erstinstanzlich einen Anspruch auf Ersatz der Anschaffungskosten des Neufahrzeuges abzüglich des erzielten Restwertes und der von der Beklagten erbrachten Zahlung, mithin 18.060,01 EUR - 2.650,- EUR - 12.150,- EUR = 3.260,01 EUR nebst Verzugszinsen sowie außergerichtliche Anwaltskosten auf der Grundlage einer 1,6-Geschäftsgebühr geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, dass er Anspruch auf eine Neuwagenentschädigung habe. Auch in einem Totalschadensfall müsse eine Abrechnung auf Neuwagenbasis erfolgen können. Die Voraussetzungen dieser Abrechnungsart lägen vor. Sein Fahrzeug sei zwar schon mehr als 1.000 km gefahren. Die Fahrleistung sei aber neben der Erheblichkeit des Schadens und dem Zulassungsdatum nur eines von drei Kriterien der Abrechnung auf Neuwagenbasis, das lediglich eine Faustregel, aber kein Ausschlusskriterium darstelle. Erst bei einer Laufleistung von 3.000 km werde die absolute Grenze gezogen.
    Eine Abrechnung auf Neuwagenbasis hat die Beklagte mit der Begründung abgelehnt, dass das Fahrzeug bereits eine Laufleistung von über 1.600 km gehabt habe. Darüber hinaus komme eine Abrechnung auf Neuwagenbasis nicht in Betracht, da Voraussetzung dieser Abrechnung der Eintritt eines reparaturwürdigen Schadens sei. Das sei bei einem wirtschaftlichen Totalschaden nicht der Fall.
    Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass nicht von einer Neuwertigkeit des Fahrzeugs auszugehen sei, da dessen Laufleistung zum Zeitpunkt des Unfalls bereits 1.674 km betragen habe. Der Kläger könne deshalb nur den Wiederbeschaffungsaufwand ersetzt verlangen.
    Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Anspruch in vollem Umfang weiter. Er rügt zunächst, dass sich das Amtsgericht mit der Frage, ob ein Anspruch auf Neuwagenentschädigung auch bestehe, wenn die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen, nicht auseinandergesetzt habe. Im Übrigen habe das Amtsgericht ohne nachvollziehbares Argument anhand des Überschreitens der 1.000 km-Grenze die Neuwertigkeit des Fahrzeuges verneint. Demgegenüber habe der Bundesgerichtshof eine Neuwagenentschädigung auch bei einer Laufleistung zwischen 1.000 und 3.000 km als gerechtfertigt angesehen, wenn bei objektiver Betrachtung der frühere Zustand durch eine Reparatur auch nicht annähernd wiederhergestellt werden könne.
    Die Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Eine Abrechnung auf Neuwagenbasis komme bei einer Laufleistung von 1.000 km bis maximal 3.000 km nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht. Dass ein solcher Ausnahmefall vorliege, sei nicht dargelegt worden. Eine Ausnahme liege auch deshalb nicht vor, weil ein reparaturwürdiger Schaden überhaupt nicht eingetreten sei.
    II.
    Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere als die vom Amtsgericht getroffene Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Das Amtsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger keine Abrechnung auf Neuwagenbasis verlangen kann.
    1. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Erstrichter im Ausgangspunkt angenommen, dass der Eigentümer eines Neuwagens im Falle von dessen Beschädigung unter Umständen berechtigt sein kann, Ersatz der Kosten für die Beschaffung eines gleichwertigen Neufahrzeugs zu verlangen. Nach dieser Rechtsprechung ist zunächst von folgenden Grundsätzen auszugehen:
    a) Gemäß § 249 BGB hat der zum Schadensersatz Verpflichtete den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Ist wegen der Verletzung einer Person oder der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Für die Berechnung von Fahrzeugschäden stehen dem Geschädigten regelmäßig zwei Wege der Naturalrestitution zur Verfügung: Reparatur des Unfallfahrzeugs oder Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs. Zwischen diesen Wegen kann der Geschädigte grundsätzlich frei wählen (st. Rspr.; BGHZ 181, 242, 246). Dabei hat er allerdings das in § 249 Abs. 2 S. 1 BGB verankerte Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten. Dieses verlangt, den Schaden auf diejenige Weise zu beheben, die sich in der individuellen Lage des Geschädigten als die wirtschaftlich vernünftigste darstellt, um sein Vermögen in Bezug auf den beschädigten Bestandteil in einen dem früheren gleichwertigen Zustand zu versetzen. Verursacht von mehreren zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten eine den geringeren Aufwand, so ist der Geschädigte grundsätzlich auf diese beschränkt. Nur der für diese Art der Schadensbehebung nötige Geldbetrag ist im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zur Herstellung erforderlich. Darüber hinaus findet das Wahlrecht des Geschädigten seine Schranke an dem Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern. Er soll zwar vollen Ersatz verlangen, aber an dem Schadensfall nicht verdienen (st. Rspr.; BGHZ 181, 242, 247 mwN.)
    b) Diese schadensrechtlichen Grundsätze stehen zueinander in einer Wechselbeziehung. Dementsprechend darf durch das Wirtschaftlichkeitsgebot und das Bereicherungsverbot das Integritätsinteresse des Geschädigten, das aufgrund der gesetzlich gebotenen Naturalrestitution Vorrang genießt, nicht verkürzt werden. In Ausnahmefällen kann das Wirtschaftlichkeitsgebot daher eine Einschränkung erfahren und hinter einem besonderen Integritätsinteresse des Geschädigten an einer an sich unwirtschaftlichen Restitutionsmaßnahme zurücktreten (st. Rspr.; BGHZ 181, 242, 247). Eine solche Einschränkung des Wirtschaftlichkeitsgebots ist auch in dem Fall der Schadensabrechnung auf Neuwagenbasis geboten (BGH aaO). Danach kann der Geschädigte in den Grenzen des § 251 Abs. 2 BGB ausnahmsweise die im Vergleich zum Reparaturaufwand höheren Kosten für die Beschaffung eines Neuwagens beanspruchen, wenn ein fabrikneues Fahrzeug erheblich beschädigt wird mit der Folge, dass es trotz Durchführung einer fachgerechten Reparatur den Charakter der Neuwertigkeit verliert. Angesichts der schadensrechtlichen Bedeutung der Neuwertigkeit ist es dem Geschädigten in einer derartigen Situation grundsätzlich nicht zuzumuten, sich mit der Reparatur des erheblich beschädigten Fahrzeugs und der Zahlung eines den merkantilen Minderwert ausgleichenden Geldbetrags zu begnügen. Vielmehr rechtfertigt sein besonderes, vermögensrechtlich zu qualifizierendes Interesse am Eigentum und an der Nutzung eines Neufahrzeugs ausnahmsweise die Wahl der im Vergleich zur Reparatur teureren Restitutionsmaßnahme (BGHZ 181, 242, 248 mwN.).
    2. Ob die vorstehenden Grundsätze zur Abrechnung auf Neuwagenbasis auch dann Anwendung finden, wenn der Geschädigte - so wie hier - aufgrund eines wirtschaftlichen Totalschadens lediglich Ersatz des Wiederbeschaffungsaufwands (Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert des beschädigten Fahrzeuges) als Form der Wiederherstellung iSd. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB verlangen kann (vgl. zu dieser Schadensberechnung nur BGHZ 169, 263 mwN.), ist bislang nicht höchstrichterlich geklärt. Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Abrechnung auf Neuwagenbasis betrafen ersichtlich nur die Fälle, in denen der Geschädigte zur Abrechnung auf Reparaturkostenbasis berechtigt war (vgl. BGH, Urteil vom 04.03.1976 – VI ZR 14/75, VersR 1976, 732; Urteil vom 03.11.1981 – VI ZR 234/80, VersR 1982, 163; Urteil vom 14.06.1983 – VI ZR 213/81, VersR 1983, 758; Urteil vom 29.03.1983 – VI ZR 157/81, VersR 1983, 658; Urteil vom 25.10.1983 – VI ZR 282/81, VersR 1984, 46; BGHZ 181, 242 ff). Die Frage bedarf auch vorliegend keiner abschließenden Klärung. Denn auch bei entsprechender Anwendung der Grundsätze zur Abrechnung auf Neuwagenbasis liegen die Voraussetzungen für eine solche Schadensabrechnung hier nicht vor.
    a) Der Bundesgerichtshof geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der Instanzgerichte davon aus, dass eine Abrechnung auf Neuwagenbasis im Regelfall nur erfolgen kann, wenn das beschädigte Fahrzeug höchstens 1.000 km gelaufen ist. Dieser Regelfall, in dem das Integritätsinteresse des Geschädigten eine Abrechnung auf Neuwagenbasis und damit eine höhere als die eigentlich erforderliche Ersatzleistung rechtfertigt, ist vorliegend unstreitig nicht gegeben.
    b) Soweit nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung daneben eine Abrechnung auf Neuwagenbasis auch bei einer Laufleistung zwischen 1.000 km und 3.000 km in Betracht kommt, setzt dies voraus, dass bei objektiver Beurteilung der frühere Zustand durch die Reparatur auch nicht annähernd wiederhergestellt werden kann. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass dem Geschädigten die nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB aus wirtschaftlichen Gründen gebotene Restitutionsmaßnahme nicht zugemutet werden kann, wenn dadurch der Wert nicht voll ausgeglichen wird, den das unfallbeschädigte Fahrzeug als praktisch neues für seinen Eigentümer noch gehabt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 03.11.1981 – VI ZR 234/80, VersR 1982, 163; bestätigt durch BGHZ 181, 242; Saarländisches OLG, DAR 1989, 345; OLG Karlsruhe, ZfS 1992, 12; OLG Stuttgart, Schaden-Praxis 1994, 214; OLG Schleswig, Schaden-Praxis 1998, 109; OLG Hamm, NZV 2000, 170; OLG Düsseldorf, SVR 2010, 181). Dies wurde etwa für den Fall bejaht, dass
    - Teile beschädigt worden sind, die für die Sicherheit des Fahrzeugs von Bedeutung sind, und trotz Reparatur ein Unsicherheitsfaktor bleibt,
    - nach durchgeführter Reparatur erhebliche Schönheitsfehler am Pkw zurückbleiben (verzogene oder nicht mehr schließende Türen bzw. Kofferraum- oder Motorhaubendeckel, sichtbare Schweißnähte, Verformungen bestimmter Fahrzeugteile usw.) oder
    - eine Beschädigung stattgefunden hat, welche die Garantieansprüche des Eigentümers zumindest beweismäßig gefährden kann und der Haftpflichtversicherer des Schädigers nicht alsbald nach dem Unfall verbindlich seine Einstandspflicht für einen solchen Fall anerkennt (BGH, Urteil vom 03.11.1981 aaO).
    Einen solchen Ausnahmefall hat der Kläger, dessen Fahrzeug zum Zeitpunkt des Unfalls bereits 1.674 km gelaufen war, weder dargelegt noch unter Beweis gestellt (vgl. zur Darlegungs- und Beweislast nur KG, Beschluss vom 02.08.2010 – 12 U 49/10, juris). Denn vorliegend war die nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB gebotene Restitutionsmaßnahme eine Ersatzbeschaffung, die zum Erwerb eines gleichwertigen Ersatzfahrzeuges führen würde. Nach den Feststellungen des Sachverständigen in dem von den Parteien nicht angegriffenen Schadensgutachten hätte ein Fahrzeug wie das klägerische in dessen Zustand vor dem Unfallereignis am Markt beschafft werden können. Der Kläger hätte daher im Rahmen des Schadensersatzes ein Fahrzeug erhalten, das in gleichem Maße wie sein beschädigtes Fahrzeug vor dem Unfall neuwertig und ohne den Makel einer Reparatur gewesen wäre. Gründe dafür, warum die Anschaffung eines solchen gleichwertigen Fahrzeuges als Restitutionsmaßnahme unzumutbar sein könnte, hat der Kläger nicht aufgezeigt und sind auch für die Kammer nicht ersichtlich.
    III.
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO iVm. § 26 Nr. 8 EGZPO.
    Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).

    RechtsgebieteUnfallregulierung, TotalschadenVorschriften§ 249 BGB