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  • 09.09.2011 · IWW-Abrufnummer 112917

    Oberlandesgericht Stuttgart: Beschluss vom 04.07.2011 – 4 Ss 261/11

    In Baden-Württemberg steht einer Messung kurz vor dem Ende einer Geschwindigkeitsbegrenzung eine Verwaltungsvorschrift nicht entgegen (Aufgabe von OLG Stuttgart, Beschlüsse vom 3. Februar 2011 - 2 Ss 8/11 - und vom 16. Mai 2011 - 4 Ss 297/11).


    4 Ss 261/11

    Tenor:
    Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Waiblingen vom 17. Januar 2011 wird als unbegründet

    v e r w o r f e n .

    Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

    Gründe
    I. Das Amtsgericht setzte gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 100,-- € fest. Nach den Feststellungen fuhr er am 17. August 2010 um 15.39 Uhr in in Richtung Ortstafel (also ortsauswärts) auf der K mit einer Geschwindigkeit von 78 km/h, obwohl dort die innerorts zulässige Geschwindigkeit auf 50 km/h zu beachten ist. Die Messung erfolgte etwa 90 m vor der Ortstafel. Gegen diese Entscheidung hat der Betroffene den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt. Er macht mit der Sachrüge geltend, das Amtsgericht habe die Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums für die Sicherheitsarbeit der Polizei nicht beachtet, wonach Geschwindigkeitsmessungen nicht innerhalb von 150 m vor Aufhebung einer Beschränkung durchgeführt werden dürfen. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen und das Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben.

    II. Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen.

    Die der Geschwindigkeitsüberschreitung zugrundeliegende Messung verstieß nicht gegen die Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums Baden-Württemberg für die Verkehrssicherheitsarbeit der Polizei (VwV-VkSA) vom 19. Dezember 2006 (GABl 2007, 3; vgl. auch Sobisch DAR 2010, 48 mit einer Zusammenstellung der Richtlinien der Bundesländer zur Geschwindigkeitsüberwachung). Abschnitt 4 dieser Vorschrift lautet wie folgt:

    "Geschwindigkeitsmessungen sollen grundsätzlich in einem Abstand von 150 m zu den jeweiligen beschränkenden Verkehrszeichen stattfinden. Davon kann bei gefährlichen Stellen (Unfallstellen, Gefahrenstellen) sowie im unmittelbaren Umfeld von Schulen, Kindergärten oder Baustellen abgewichen werden."

    Die Vorschrift beschreibt somit den Abstand der Messstelle zu einem Verkehrszeichen, das den Beginn einer Geschwindigkeitsbeschränkung anzeigt wie etwa der Ortseingangstafel (Zeichen 310 der Anlage 3 zur StVO i. V. m. § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO) oder dem Zeichen 274 der Anlage 2 zur StVO. Da vor einem solchen Verkehrszeichen die Geschwindigkeit nicht beschränkt ist, bezieht sich der Abstand von 150 m auf den Bereich nach dem Zeichen. Darüber hinaus ist von dieser Regelung nicht die Geschwindigkeitsmessung bei einem solchen Verkehrszeichen erfasst, das eine Geschwindigkeitsbeschränkung aufhebt (etwa Zeichen 311 der Anlage 3 zur StVO i. V. m. § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO oder Zeichen 278 der Anlage 2 zur StVO).

    Vorliegend wurde der Betroffene 90 m vor der Ortstafel gemessen. Zwar ist erfahrungsgemäß die Ortseingangs- mit der Ortsausgangstafel verbunden, so dass die Messung weniger als 150 m vor der Ortseingangstafel und damit entgegen der o.a. Vorschrift erfolgt sein könnte. Gleichwohl wurde das Messgerät korrekt aufgestellt, denn es ist auf die Fahrtrichtung des Betroffenen abzustellen, in der es kein beschränkendes Verkehrszeichen gab; die Orteingangstafel hat hier außer Betracht zu bleiben.

    Somit hat das Amtsgericht die Geldbuße zu Recht entsprechend dem Regelsatz der Nr. 11.3.5 des Anhanges zu Nr. 11 der Anlage zur BKatV festgesetzt.

    Auf die in der angefochtenen Entscheidung angesprochenen Rechtsfrage kommt es deshalb nicht an. Unabhängig hiervon entspricht es herrschender Ansicht, dass in den in Frage stehenden Fällen über Art. 3 GG ein Verstoß gegen Verwaltungsvorschriften bei der Bemessung der Rechtsfolge zugunsten des Betroffenen zu berücksichtigen ist (OLG Stuttgart, Beschlüsse vom 3. Februar 2011 - 2 Ss 8/11 - und vom 16. Mai 2011 - 4 Ss 297/11; BayObLG VRS 90, 209; 103, 385; OLG Dresden DAR 2010, 29; OLG Köln VRS 96, 62; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 3 StVO Rn. 56 b; teilweise abweichend OLG Oldenburg VRS 91, 478).

    Die im Beschluss des OLG Stuttgart vom 3. Februar 2011 genannten Erlasse des Ministeriums für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg vom 17. März 1997 (i. V. m. dem Erlass des Innenministeriums Baden-Württemberg vom 19. Mai 1980) und vom 17. Februar 1997 sind nicht mehr in Kraft. An der in dieser Entscheidung und im Beschluss vom 16. Mai 2011 vertretenen Auffassung, dass einer Messung kurz vor dem die Geschwindigkeit aufhebenden Verkehrszeichen Verwaltungsvorschriften entgegenstehen würden, wird deshalb nicht festgehalten.