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  • 19.10.2011 · IWW-Abrufnummer 113341

    Landgericht Erfurt: Urteil vom 10.06.2011 – 2 S 84/10

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Landgericht Erfurt
    2 S 84/10
    22 C 1076/08 Amtsgericht Gotha
    Verkündet am: 10.06.2011
    IM NAMEN DES VOLKES
    URTEIL
    In dem Rechtsstreit
    XXX
    hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Erfurt durch
    Richter am Landgericht XXX als Einzelrichter
    auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 28.04.2011
    für R e c h t erkannt:
    Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Gotha vom 27.10.2009, Az.: 22 C 1076/08, wie folgt abgeändert:
    Die Klage wird abgewiesen.
    Die Klägerin trägt die Kosten des gesamten Rechtsstreits.
    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
    Von der Darstellung der Tatsachenfeststellungen wird gem. § 540 Abs. 2 i. V. m. § 313 a ZPO abgesehen.
    Entscheidungsgründe:
    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Gotha vom 27.10.2009, Az.: 22 C 1076/08, ist gemäß den §§ 517 ff. ZPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.
    In der Sache hat das Rechtsmittel auch Erfolg und führt unter Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung zur Klageabweisung.
    Der Klägerin steht ein (weiterer) Schadenersatzanspruch in Höhe von 2.490,00 EUR aus dem Unfallereignis vom 16.05.2008 gegen die Beklagte nicht begründet zur Seite, da sie im Hinblick auf die Veräußerung des verunfallten Fahrzeuges durch Inzahlunggabe zum (Rest-) Wert in Höhe von 3.900,00 EUR gegen ihr obliegende Schadensminderungspflichten verstoßen hat, in dem sie das Restwertangebot der Fa. XXX in Höhe von 6.390,00 EUR, welches die Beklagte zuvor unterbreitet hat, unberücksichtigt gelassen hat.
    Die Klägerin muss sich deshalb bei der Berechnung der Schadenshöhe das vorgenannte Restwertangebot in Höhe von 6.390,00 EUR anrechnen lassen, weshalb ihr der eingeklagte Differenzbetrag zum vom Sachverständigen ermittelten Restwert (3.900,00 EUR) in Höhe von 2.490,00 EUR nicht begründet zusteht.
    In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass das sogenannte Wirtschaftlichkeitspostulat, d. h. die Verpflichtung des Geschädigten, bei der Schadensbehebung gem. § 249 BGB im Rahmen des ihm Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage grundsätzlich den wirtschaftlichsten Weg zu wählen, auch für die Problematik gilt, in welcher Höhe der Restwert des Unfallfahrzeuges bei der Schadensabrechnung berücksichtigt werden muss (vgl. BGH NJW 2000, 800 m. w. N.). Grundsätzlich genügt danach der Geschädigte im Allgemeinen dem Gebot der Wirtschaftlichkeit, wenn er im Totalschadensfall das Unfallfahrzeug zu dem in einem Sachverständigengutachten ausgewiesenen Restwert verkauft oder in Zahlung gibt. Weist der Schädiger respektive dessen Versicherung dem Geschädigten jedoch eine ohne Weiteres zugängliche günstigere Verwertungsmöglichkeit nach, kann der Geschädigte im Interesse der Geringhaltung des Schadens verpflichtet sein, davon Gebrauch zu machen. Denn der Geschädigte steht bei der Schadensbehebung gem. § 249 BGB nicht nur unter dem allgemeinen Gebot, einen wirtschaftlich zulässigen Weg zu wählen. Vielmehr kann er aus dem letztlich auf § 242 BGB zurück gehenden Rechtsgedanken der Schadensminderungspflicht gem. § 254 BGB auch gehalten sein, unter besonderen Umständen von einer zulässigen Verwertung Abstand zu nehmen und andere sich ihm darbietende Möglichkeiten der Verwertung im Interesse der Geringhaltung des Schadens im Rahmen des Zumutbaren zu ergreifen. Deshalb gilt der Grundsatz, dass der von einem Sachverständigen ermittelte Restwert eine geeignete Grundlage für die Schadensabrechnung bildet, nur "in aller Regel". Der Sachverständigenschätzwert ist dann nicht mehr ohne Weiteres der Schadensabrechnung zugrunde zu legen, wenn der Geschädigte bei dem Verkauf oder der Inzahlunggabe seines verunfallten Fahrzeugs ohne überobligationsmäßige Anstrengung tatsächlich einen höheren Preis erzielen kann (vgl. BGH a. a. 0.).
    So liegen die Dinge aber im vorliegenden Fall.
    Mit Fax-Schreiben vom 04.06.2008 setzte die Beklagte die Prozessbevollmächtigten der Klägerin, welche sich zuvor bei dieser mit Schreiben vom 29.05.2008 als von der Klägerin mit der Wahrnehmung ihrer Interessen in der streitgegenständlichen Verkehrsunfallangelegenheit bevollmächtigt angezeigt haben, in Kenntnis davon, dass die Fa. XXX ein bis zum 22.06.2008 befristetes verbindliches Angebot abgegeben hat, wonach das Unfallfahrzeug der Klägerin zum Preis von 6.390,00 EUR kostenfrei und unter sofortiger Barzahlung bei dieser abgeholt wird. Grundsätzlich zutreffend hat das Amtsgericht hierzu im Urteil festgestellt, dass es sich insoweit um den Nachweis einer zumutbaren Verwertungsmöglichkeit über dem vom Sachverständigen ermittelten Restwert gehandelt hat. Der Klägerin war es vor dem Hintergrund der angebotenen Barzahlung und Abholung des Fahrzeugs letztlich auch mühelos, d.h. ohne überobligationsmäßige Anstrengung, möglich, durch bloße Annahme dieses Verwertungsangebots einen wesentlich höheren Restwert als im Gutachten angeführt zu erzielen.
    Das Unterlassen dieser Möglichkeit muss sich die Klägerin entgegen der Auffassung des Amtsgerichts auch als Verletzung von Schadensminderungspflichten vorliegend zurechnen lassen.
    Zu Recht stellt die Berufung der Beklagten insoweit darauf ab, dass sich die Klägerin im Zeitpunkt der Veräußerung des Unfallfahrzeugs durch Inzahlunggabe am 06.06.2008 die zuvor am 04.06.2008 erlangte Kenntnis ihrer Prozessbevollmächtigten vom Restwertangebot der Fa. XXX gem. § 166 Abs. 1 BGB als eigene Kenntnis zurechnen lassen muss. Die Regelung des § 166 Abs. 1 BGB findet - jedenfalls soweit es sich um die rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht handelt - ihre Rechtfertigung in dem Gedanken der Zurechenbarkeit. Wer sich im rechtsgeschäftlichen Verkehr bei der Abgabe von Willenserklärungen eines Vertreters bedient oder das Handeln eines in seinem Namen auftretenden vollmachtlosen Vertreters nachträglich genehmigt, muss es im schutzwürdigen Interesse des Adressaten hinnehmen, dass .ihm die Kenntnis des Vertreters als eigene zugerechnet wird, kann sich also nicht auf eigene Unkenntnis berufen. Der BGH hat deshalb wiederholt bei einem der Interessenlage zwischen Vertreter und Vertretenem vergleichbaren Sachverhalt § 166 Abs. 1 BGB entsprechend angewendet. Aufgrund des dieser Vorschrift zu entnehmenden Rechtsgedankens muss sich - unabhängig von einem Vertretungsverhältnis - derjenige, der einen anderen mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut, das in diesem Rahmen erlangte Wissen des anderen zurechnen lassen (vgl. BGH NJW 1982, 1585 m. w. N.).
    Auch diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.
    Die Klägerin hat ihre Prozessbevollmächtigten am 28.05.2008 zur außergerichtlichen und gerichtlichen Vertretung bezüglich ihrer Ansprüche gegen die Beklagte aus dem Verkehrsunfall vom 16.05.2008 bevollmächtigt, was diese mit Schreiben vom 29.05.2008 der Beklagten angezeigt und zugleich die Schadenersatzansprüche der Klägerin (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert, Gutachterkosten, An- und Abmeldepauschale, Unkosten pauschale) mit der Aufforderung einer Regulierung beziffert haben. Mithin waren die Prozessbevollmächtigten von der Klägerin ab diesem Zeitpunkt ausdrücklich mit der Klärung und erforderlichenfalls gerichtlichen Geltendmachung ihrer Schadenersatzansprüche aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall rechtsgeschäftlich bevollmächtigt, was inhaltlich die Problematik der Höhe des in Ansatz zu bringenden Restwertes und etwaige hierzu erforderliche Verhandlungen mit einschloss.
    Danach muss sich aber die Klägerin in entsprechender Anwendung des § 166 Abs. 1 BGB die Kenntnis der von ihr bevollmächtigten Anwälte vom Restwertangebot der Fa. XXX zurechnen lassen, weshalb ihre zeitlich später erfolgte Veräußerung des Unfallfahrzeugs durch Inzahlunggabe zum vom Sachverständigen ermittelten (niedrigeren) Restwert eine Verletzung von Schadensminderungspflichten darstellt.
    Nach alledem war auf die Berufung der Beklagten die amtsgerichtliche Entscheidung, wie geschehen, abzuändern und die Klage – einschließlich der neben der Hauptforderung geltend gemachten vorprozessualen Anwaltskosten – abzuweisen.
    Die Kostenentscheidung ergeht gem. § 91 Abs. 1 ZPO.
    Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.