10.08.2012 · IWW-Abrufnummer 122452
Oberlandesgericht Karlsruhe: Beschluss vom 05.06.2012 – 2 (6) SsRs 279/12 AK 73/12 3 OWi 520 Js 76/12
Ist für den Betroffenen die Erklärung abgegeben worden, der Betroffene sei der Fahrzeugführer gewesen, und wird mitgeteilt, der Betroffene werde weiter nichts sagen, ist unmissverständlich klargestellt, dass von der persönlichen Anwesenheit des Betroffenen im Hauptverhandlungstermin keinerlei weitergehende Aufklärung zu erwarten ist, so dass der Betroffener auf seinen Antrag von der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung zu entbinden ist.
OBERLANDESGERICHT Karlsruhe
2. Senat für Bußgeldsachen
2 (6) SsRs 279/12 AK 73/12
3 OWi 520 Js 76/12
Bußgeldsache gegen
pp.
Beschluss vom 5. Juni 2012
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Heidelberg vom 14.03.2012 wird zugelassen.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Heidelberg vom 14.03.2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Heidelberg zurückverwiesen.
Gründe:
Das Amtsgericht Heidelberg hat mit dem angefochtenen Urteil gemäß den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 03.11.2011 gemäß § 74 Abs. 2 OWG verworfen, durch den er wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 38 km/h mit einer Geldbuße von 120- Euro belegt worden war, weil der Betroffene nicht zur Hauptverhandlung erschienen war. Sein vom Verteidiger am 15.03.2012 gestellter und in der Hauptverhandlung wiederholter Antrag, ihn von der Pflicht zum Er- scheinen zu entbinden, wurde vom Amtsgericht mit der Begründung zurückgewiesen, seine Anwesenheit sei zur Aufklärung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse erforderlich, obwohl der Betroffene seine Fahrereigenschaft eingeräumt und im Übrigen angekündigt hatte, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, und außerdem darauf hingewiesen hatte, dass sein Verteidiger ermächtigt sei, für ihn Erklärungen abzugeben.
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist nach § 80 Abs.1 Nr.2 OWiG zuzulassen, da es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs (Art. 102 Abs.1 GG) aufzuheben. Die entsprechende Verfahrensrüge ist zulässig erhoben. Sie enthält insbesondere auch den Vortrag, dass der Verteidiger für den Betroffenen gegen den Tatvorwurf mit der Behauptung verteidigt hätte, die Geschwindigkeitsmessung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt, wenn zur Sache verhandelt worden wäre.
Die Rüge ist auch begründet, denn das Amtsgericht hätte den Einspruch nicht durch Prozessurteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verwerfen dürfen, sondern hätte zur Sache verhandeln und das Vorbringen des Betroffenen ber ücksichtigen müssen. Den Antrag, den Betroffenen von der Pflicht zum Erscheinen zu entbinden, durfte das Amtsgericht nicht ablehnen. Gemäß § 73 Abs. 2 01MG befreit das Gericht den Betroffenen auf dessen Antrag, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist.
Der vertretungsbefugte Verteidiger des Betroffener hat für diesen die Erklärung abgegeben, der Betroffene sei der Fahrzeugführer gewesen, und hat mitgeteilt, der Betroffene werde weiter nichts sagen. Damit war unmissverständlich klargestellt, dass von der persönlichen Anwesenheit des Betroffenen im Hauptverhandlungstermin keinerlei weitergehende Aufklärung zu erwarten war, so dass die Spekulationen des Amtsgerichts, der Betroffene werde in der Hauptverhandlung vielleicht doch Angaben machen, jeder Substanz entbehren und keineswegs ge- eignet sind, das Erscheinen des Betroffenen zu erzwingen bzw. ein Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG zu rechtfertigen. Da somit die Voraussetzungen für eine Entbindung des Betroffenen von seiner Anwesenheitspflicht vorgelegen haben, war die Zurückweisung des dahingehenden Antrags und auch die darauf basierende Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid gemäß § 74 Abs. 2 OWiG rechtsfehlerhaft.
Ergänzend bemerkt der Senat, dass sich das Gericht bei einer Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG in den Urteilsgründen mit Einwendungen und Bedenken gegen eine Verwerfung auseinandersetzen muss, insbesondere auch mit der Zulässigkeit des Antrags und dessen Begründung, den Betroffenen von der Verpflichtung zum Erscheinen zu entbinden, sowie den Erwägungen zur Ablehnung des Antrags (OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 273; Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 74 Rdnr. 34, 35 m. w. N.).