11.09.2012 · IWW-Abrufnummer 122743
Landgericht Frankfurt/Oder: Beschluss vom 23.07.2012 – 23 Qs 54/12
Der Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Versagung der Akteneinsicht in noch nicht bei der Akte befindlichen Unterlagen (Bedienungsanleitung, Lebensakte und Beschilderungsplan) steht § 305 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG entgegen.
Sofern sich Unterlagen, die für den Betroffenen belastend oder entlastend relevant sein können, nicht in den Ermittlungs- oder Sachakten, sondern in anderen Akten oder bei anderen Behörden befinden, müssen auch diese den Akten und damit allen Verfahrensbeteiligten zugänglich gemacht werden.
23 Qs 54/12 Landgericht Frankfurt (Oder)
Landgericht Frankfurt (Oder)
Beschluss
In der Bußgeldsache
gegen pp.
- Verteidiger: Rechtsanwalt Olav Sydow, Mehringdamm 32, 10961 Berlin -
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hat die 3. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) — als Beschwerdekammer — durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Landgericht und den Richter am Landge-richt am 23. Juli 2012 beschlossen:
Die Beschwerde des Betroffenen vom 23. März 2012 gegen die amtsgerichtliche Entscheidung vom gleichen Tag — Az: 14 OWi 295 Js-OWi 2179/12 (58/12) — wird als unzulässig verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe:
I.
Gegen den Betroffenen wird vor dem Amtsgericht Strausberg zum Az.: 14 OWi 295 Js-OWi 2179/12 (58/12) ein Bußgeldverfahren wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften geführt. Die Messung der dem Betroffenen zur Last gelegten Geschwindigkeit wurde mit einem Verkehrsradargerät Traffipax SpeedoPhot—digital mit SmartCamera des Herstellers Robot Visual Systems GmbH vorgenommen.
Der Verteidiger des Betroffenen hat zur Vorbereitung der Hauptverhandlung u.a. mit Schriftsatz vom 22. März 2012 Einsicht in die Bedienungsanleitung des verwendeten Geschwindigkeitsmessgerätes und die so genannte Lebensakte des Gerätes sowie den Beschilderungsplan der B 1 Abschnitt 250 in Fahrtrichtung Vogelsdorf beantragt. Die vorgenannten Unterlagen befinden sich nicht bei der Verfahrensakte. Mit Schreiben des Amtsgerichts Strausberg vom 23. März 2012 ist die durch den Verteidiger konkludent beantragte Beiziehung dieser Unterlagen mit der Begründung, dass „ im gegenwärtigen Verfahrensstadium ... noch keine Erforderlichkeit (bestehe) zu prüfen, ob weitere Unterlagen beizuziehen sind" abgelehnt worden.
Hiergegen wendet sich der der Betroffene mit seiner Beschwerde vom 23. März 2012. Zur Ver-meidung von Wiederholungen wird auf den Inhalt des Schriftsatzes verwiesen.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache der Beschwerdekammer des Landgerichts zur Entscheidung vorgelegt.
II.
1.
Die Beschwerde des Betroffenen hat keinen Erfolg.
Sie ist bereits unzulässig. Der Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Versagung der Akteneinsicht in die noch nicht bei der Akte befindlichen Unterlagen (Bedienungsanleitung, Lebensakte und Beschilderungsplan) steht § 305 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG entgegen (vgl. OLG Frankfurt in NStZ-RR 2001, 374 und 2003, 177 und in StV 2004, 362; OLG Hamm in NStZ 2005, 226; LG Limburg in NStZ-RR 2011, 378 und Verkehrsrecht aktuell 2011, 194).
Nach § 305 Satz 1 StPO unterliegen Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Ur-teilsfällung vorausgehen, nicht der Beschwerde. Dies gilt auch für Verfügungen des Vorsitzenden, die - wie hier - im Bußgeldverfahren nach gerichtlicher Anhängigkeit getroffen werden, wenn sie der Urteilsvorbereitung dienen, bei der Urteilsfällung selbst der nochmaligen Prüfung unterliegen und vom Revisionsgericht unter bestimmten Voraussetzungen überprüft werden können (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., Rdnr. 1 zu § 305).
Im vorliegenden Fall macht der Verteidiger sein Akteneinsichtsrecht gemäß § 147 StPO gel-tend, das den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren, speziell auf Waffengleichheit, gewährleisten und das vornehmlich der Vorbereitung und/oder Begründung von Beweisanträgen bzw. Beweisanregungen in der bevorstehenden Hauptverhandlung dienen und damit eine effektiven Verteidigung ermöglichen soll (vgl. OLG Frankfurt in NStZ-RR 2001, 374 m.w.N.). Da die Gewährleistung dieser grundlegenden Prozessrechte vorrangige Aufgabe jedes Gerichtes ist, muss diese Entscheidung durch das erkennende Gericht vor der Urteilsfällung erneut auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden. Die Verletzung der Prozessgrundrechte aus Art. 103 Abs. 1 GG und des Rechts auf ein faires Verfahren wird — unter bestimmten Voraussetzungen - auch durch den Revisionsgrund des § 338 Nr. 8 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG geschützt. Wird somit die Akteneinsicht — nach Eingang der Akte beim zuständigen Gericht — versagt, steht diese Entscheidung in engem inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung und ist damit nicht beschwerdefähig im Sinn des § 305 Satz 1 StPO.
Ob und inwieweit sich aus § 147 StPO des Weiteren ein Anspruch auf Beiziehung jedweder Unterlagen ergibt, denen — nach der Einschätzung der Verteidigung — eine unmittelbare oder auch nur entfernte potentielle Beweisbedeutung zukommen könnte, was letztlich zu einem Recht der Verteidigung zur Einwirkung und Gestaltung des Inhaltes der Ermittlungsakten führen würde, kann vorliegend dahinstehen.
2.
Rein vorsorglich merkt die Kammer noch Folgendes an:
Dem Verteidiger des Betroffenen steht gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 147 StPO ein Akten-einsichtsrecht zu, das alle Akten und Aktenteile umfasst, auf die der Schuldvorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird, die zur Aufklärung des Sachverhaltes beitragen und die zur Begründung des Ausspruchs über die Rechtsfolgen herangezogen werden (vgl. Karlsruher Kommentar zum OWiG; 3. Aufl., Rdnr. 97 zu § 60).
Dies dürfte insbesondere für den Beschilderungsplan den Tatort betreffend als auch für die Bedienungsanleitung des im vorliegenden Fall verwendeten Messgerätes gelten.
Sofern sich Unterlagen, die für den Betroffenen belastend oder entlastend relevant sein können, nicht in den Ermittlungs- oder Sachakten, sondern in anderen Akten oder bei anderen Behörden befinden, müssen auch diese den Akten und damit allen Verfahrensbeteiligten zugänglich gemacht werden. Ansonsten könnte der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt werden. Denn ohne Kenntnis von der Bedienungsanleitung des Messgerätes ist es dem Verteidiger unmöglich, den Polizeibeamten, der die betreffende Geschwindigkeitsmessung vorgenommen hat, als Zeugen zur ordnungsgemäßen Handhabung des Messgerätes zu befragen (vgl. LG Ellwangen in DAR 2011, 418 ff; LG Lübeck in DAR 2011, 713).
Entsprechendes gilt für den Beschilderungsplan des Tatortes, aus dem sich die Aufstellung von Verkehrszeichen zur Tatzeit ersehen lässt und der damit erst eine korrekte Einordnung der Tatgeschehnisse ermöglicht.
Da davon auszugehen ist, dass sich das Original der Bedienungsanleitung für das Messgerät bei der Verwaltungsbehörde — hier der Bußgeldstelle der Gemeinde Hoppegarten — befindet und dort im Hinblick auf andere Bußgeldverfahren auch verbleiben muss, dürfte aus Praktikabilitätsgründen die Beiziehung einer beglaubigten Kopie der Bedienungsanleitung ausreichend sein, die zur Akte genommen werden kann
Hiergegen dürften auch keine durchgreifenden Bedenken urheberrechtlicher Art bestehen, denn die Bedienungsanleitung für das hier verwendete Messgerät beschreibt lediglich vorgegebene technische Zusammenhänge auf eine handwerklich definierbare Weise und ist keine eigenständige geistige Schöpfung ihres Autors (vgl. LG Ellwangen, a.a.O.). Darüber hinaus ist von einer zumindest konkludenten Einräumung entsprechender Nutzungsrechte durch den Hersteller mit dem Verkauf des Messgerätes an die Verwaltungsbehörde auszugehen (§ 31 Abs. 5 UrhG), da jedem Hersteller von solchen Geräten bekannt ist, dass die mit den Geräten durchgeführten Messungen Gegenstand von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sind und insofern der Prüfung — auch durch Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung — unterliegen (vgl. AG Hildesheim in juris: Beschluss vom 29.12.2011 zum Az: 31 OWi 27/11).
Über das Begehren des Verteidigers auf Beiziehung dieser Unterlagen, das als Anregung einer Beweisermittlung im weiteren Sinn verstanden werden kann, hat das Amtsgericht im Rahmen der Vorbereitung der Hauptverhandlung und der dort zu treffenden Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (§ 219 StPO). Sollte der Anregung des Verteidigers vor der Hauptverhandlung nicht entsprochen werden, bleibt es diesem unbenommen, in der Hauptverhandlung einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen.
Soweit der Verteidiger auch die Beiziehung und damit die Einsichtnahme in die so genannte Lebensakte des Messgerätes bzw. in die entsprechenden Aufzeichnungen über Reparaturen im Zeitraum zwischen der letzten Eichung des Gerätes und dem Tatzeitpunkt begehrt, könnte dem Erfolg eines entsprechenden Beweisantrags in der Hauptverhandlung entgegenstehen, dass vorliegend nicht bekannt ist, ob eine solche Lebensakte überhaupt existiert, so dass tatsächlich von einem bloßen Beweisermittlungsantrag auszugehen sein könnte.
Schließlich bleibt noch darauf hinzuweisen, dass die Vorschriften über den Eintritt der Verfol-gungsverjährung (§§ 31 ff OWiG) — vorliegend insbesondere die Vorschriften über die Unter-brechung derselben - jederzeit von Amts wegen zu beachten sind.
Die Auslagenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 464, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.