Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 08.02.2013 · IWW-Abrufnummer 130353

    Amtsgericht Gießen: Beschluss vom 04.01.2013 – 5602 OWi 311/12

    Die Übersendung einer Kopie der Bedienungsanleitung an den Verteidiger des Betroffenen in einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren kann vom Hersteller nicht von der Zahlung einer Schutzgebühr abhängig gemacht werden.


    Amtsgericht Gießen 04.01.2013
    Strafprozessabteilung - 5602 OWi 311/12

    Beschluss
    In der Bußgeldsache XXX
    wegen OWi nach der StVO
    hat das Amtsgericht - Strafprozessabteilung - Gießen durch die Richterin am 04.01.2013 beschlossen:
    Die Verwaltungsbehörde ist verpflichtet, dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers nach Beiziehung einer Kopie der Bedienungsanleitung des Lasergeschwindigkeitsmessgeräts Leivtec XV3 des Herstellers LEIVTEC Verkehrstechnik GmbH (Wetzlar) zu den Akten, Einsicht durch deren Übersendung in die Kanzleiräume des Verfahrensbevollmächtigten zu gewähren.
    Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Antragstellers hat die Staatskasse zu tragen.

    Gründe:
    Gegen den Antragsteller ist bei dem Regierungspräsidium Kassel ein Bußgeldverfahren wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften anhängig. Die dem Antragsteller zur Last gelegte überhöhte Geschwindigkeit wurde mit einem Lasergerät Leivtec XV3des Herstellers LEIVTEC Verkehrstechnik GmbH (Wetzlar) gemessen, welches von einem Polizeibeamten bedient wurde.

    Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers hat mit Schreiben vom 20.11.2012, 30.11.2012 und 07.12.2012, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, beantragt, ihm Einsicht in die Bedienungsanleitung des eingesetzten Lasergeräts zu gewähren und zwar in dessen Kanzleiräumen und nicht vor Ort in den Räumlichkeiten des Polizeipräsidiums Mittelhessen in Gießen. Mit Schreiben vom 07.12.2012 rügte der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers die Verletzung des Grundsatzes eines fairen Verfahrens.

    Die Verwaltungsbehörde hatte mit Schreiben vom 27.11.2012 die Übersendung einer Fotokopie der Bedienungsanleitung des Lasergeräts unter Hinweis darauf, dass kein Anspruch auf Übersendung bestehe, abgelehnt. Sie hat auf die Möglichkeit verweisen, die Bedienungsanleitung nach Terminsabstimmung vor Ort einzusehen oder direkt über den Hersteller anzufordern. Der Hersteller hatte auf Anfrage des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers vom 30.11.2012 eine Übersendung der Bedienungsanleitung des Lasergeräts nur gegen Zahlung einer „Schutzgebühr" von EUR 25,00 zzgl. MwSt. und Versand in Aussicht gestellt.

    Mit Schreiben vom 20.11.2012 und 30.11.2012 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers die gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWiG mit der Feststellung, dass die Verwaltungsbehörde verpflichtet sei, ihm zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens die Bedienungsanleitung für das Lasergerät Leivtec XV3 durch deren Übersendung in die Kanzleiräume, auch in Form einer Kopie oder eines Datensatzes per E-Mail, zur Verfügung zu stellen.

    Der nach §§ 62, 69 OWiG zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist begründet.

    Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers hat im Rahmen des Bußgeldverfahrens, das eine Geschwindigkeitsüberschreitung zum Gegenstand hat, ein Recht auf Akteneinsicht in alle Unterlagen, die auch dem Gericht oder dem Sachverständigen zur Verfügung gestellt werden. Zu den Unterlagen im Bußgeldverfahren gehören sämtliche verfahrensbezogenen Unterlagen der Verwaltungsbehörde, die zu den Akten genommen werden und auf die der Vorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird. Dieses Recht umfasst auch den Einblick in die Bedienungsanleitung des Messgeräts, mit dem die Geschwindigkeitsmessung erfolgte, damit die bestimmungs- und ordnungsgemäße Bedienung und Aufstellung des Messgeräts nachvollzogen werden kann.

    Die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung am jeweiligen Ort der Polizeidienststelle, welche die Messung durchgeführt hat, ist im Hinblick auf die Vielzahl der Verfahren und die auch vorliegend gegebene große Entfernung des Wohnorts des Antragstellers, bzw. des Orts der Kanzleiräume des Verfahrensbevollmächtigten zum Tatort, nicht zumutbar. Ebenfalls nicht zumutbar für den Antragsteller ist die Zahlung eines Entgelts an den Hersteller des Lasergeräts in Höhe von EUR 25,00 zzgl. MwSt. und Versand für die Übersendung von Kopien der Bedienungsanleitung.

    Hingegen ist zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Verteidigung des Antragstellers die Übersendung von Fotokopien der Bedienungsanleitung oder auch eines Datensatzes per E- Mail der Verwaltungsbehörde zur zumutbar. Der Übersendung von Kopien stehen keine wichtigen Gründe entgegen.

    Urheberrechtliche Bedenken gegen die Fertigung einer Kopie der Bedienungsanleitung bestehen nicht, da die Bedienungsanleitung für das Lasergerät lediglich die vorgegebenen technichen Zusammenhänge auf eine handwerklich definierbare Weise beschreibt und keine eigenständige Schöpfung ihres Autors darstellt (vgl. LG Ellwangen, Beschluss vom 25.10.2012, AZ 1 Qs 166/09). Sofern die Bedienungsanleitung z.B. Kapitel mit technischen Angaben enthalten sollte, die mit der Aufstellung, Bedienung und Überprüfung der ordnungsgemäßen Funktion des Geräts durch die Messbeamten nicht in direktem Zusammenhang stehen, kann jedoch von der Fertigung einer Kopie abgesehen werden. Die Ordnungsgemäßheit der Messeinrichtung als solcher wird durch die Eichordnung hinreichend gewährleistet.
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 62 Abs. 2 Satz 2 OWG in Verbindung mit § 467 Abs. 1 StPO.

    Diese Entscheidung ist gemäß § 62 Abs. 2 Satz 3 OWiG unanfechtbar.