13.03.2013 · IWW-Abrufnummer 130850
Oberlandesgericht Rostock: Urteil vom 22.10.2010 – 5 U 205/09
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OLG Rostock
22.10.2010
5 U 205/09
In dem Rechtsstreit
Axxxx Sxxxxxxxx,
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx,
- Klägerin und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte xxxx
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx,
g e g e n
Land xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx,
vertreten durch das Finanzministerium,
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx,
- beklagtes und berufungsbeklagtes Land -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte xxxxxxxxxxxxxxxx,
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx,
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Rostock
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24.09.2010
für R e c h t erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 07.09.2009 verkündete Urteil des Landgerichts Stralsund teilweise - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen - geändert und neu gefasst:
Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 521,40 € nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.03.2006 sowie vorgerichtliche Kosten i.H.v. 83,59 € nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.08.2008 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 70 % und das beklagte Land zu 30 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gegenstandswert des Berufungsverfahrens: 1.737,78 €.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin macht Ansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalles geltend, der sich am 10.02.2006 gegen ca. 11.00 Uhr auf der Bundesstraße xxxxxx (heute xxxxx) ereignete. Zu den Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat Bezug auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, mit dem das Landgericht die Klage abgewiesen hat. Zur Begründung führt der Einzelrichter aus, der Klägerin stünden weder Ansprüche gem. § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG noch solche gem. §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG zu. Das beklagte Land habe bewiesen, dass der Zeuge Bxxxx seinen Pflichten gem. § 9 Abs. 1 StVO nachgekommen sei.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie den Sachschaden i.H.v. netto 1.712,78 €, eine Unkostenpauschale von 25,00 € sowie vorgerichtliche Anwaltskosten geltend macht.
Zur Begründung führt sie aus, das Landgericht habe bei seiner Entscheidung die Beweislast verkannt. Zu Gunsten der Klägerin greife der Beweis des ersten Anscheins. Bei Zusammenstößen zwischen einem linksabbiegenden Kfz und einem in gleiche Richtung fahrenden, den Linksabbieger überholenden Pkw spreche dieser Beweis wegen der dem Linkabbieger abverlangten äußersten Sorgfalt für ein Verschulden des Linksabbiegers.
Der Zeuge Bxxxx habe widersprüchlich ausgesagt. Damit sei nicht bewiesen, dass er sich gem. § 9 StVO durch Rückschau davon überzeugt habe, dass die Überholspur frei sei. Der Zeuge habe erklärt, dass in dem Moment des Linksabbiegens die Blickweite nach hinten etwa 1 km betragen habe. Als aus Sicht des Zeugen alles frei gewesen sei, habe er begonnen, nach links zu fahren. Diese Schilderung könne schon unter physikalischen Gesichtspunkten nicht der Wahrscheinlichkeit entsprechen.
Eine unklare Verkehrslage habe nicht bestanden. Dagegen spreche die am Beklagtenfahrzeug eingeschaltete Lichtanlage. Dort seien sowohl die Rundumleuchten als auch die Blitzleuchten eingeschaltet gewesen, was gem. § 38 Abs. 2 S. 3 StVO nur zulässig sei, wenn vor Arbeits- oder Unfallstellen, vor ungewöhnlich langsam fahrenden Fahrzeugen, vor Fahrzeugen mit ungewöhnlicher Breite oder Länge oder mit ungewöhnlicher breiter oder langer Ladung gewarnt werden solle. Dies sei hier nicht der Fall gewesen, so dass das gelbe Blinklicht nicht hätte eingeschaltet werden dürfen.
Die Klägerin beantragt,
1. unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Stralsund vom 07.09.2009 das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin 1.737,78 € nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.03.2006 zu zahlen,
2. das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Kosten von 229,55 € nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Es verteidigt das angefochtene Urteil unter Vertiefung und Wiederholung seines erstinstanzlichen Vortrages. Die Klägerin habe beweisen müssen, dass der Fahrer des beklagten Fahrzeuges gegen die Pflichten des § 9 Abs. 1 StVO verstoßen habe. Diesen Beweis habe sie nicht erbringen können. Das Fahrzeug des beklagten Landes habe sich im Arbeitseinsatz befunden. Eine unzulässige Beleuchtung sei nicht in Betrieb gewesen.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung die Klägerin persönlich angehört und die Zeugen Bxxxx und Bxxxxx zum Unfallhergang vernommen.
II. Die zulässige Berufung der Klägerin hat teilweise Erfolg. Die Klage ist in Höhe einer Quote von 30 % ihres Schadens begründet.
a) Das beklagte Land haftet gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG.
Unstreitig befuhr der Zeuge Bxxxx mit dem Fahrzeug des Landes die xxxxxx im Rahmen hoheitlicher Tätigkeit. Dabei verletzte der Zeuge fahrlässig die ihm der Klägerin gegenüber obliegende Amtspflicht.
Die Rechtsprechung hat bei einer Kollision des überholenden Fahrzeuges mit einem Linksabbieger den Grundsatz aufgestellt, dass der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Linksabbiegers spricht (OLG Oldenburg, VersR 1974, 762; KG MZV 2006, 309; NJW-RR 1987, 1251). Der dem beklagten Land obliegende Gegenbeweis, dass der Zeuge seiner doppelten Rückschaupflicht genügte, ist nicht gelungen. Vielmehr steht fest, dass der Zeuge das Fahrzeug der Klägerin schlicht übersehen hat oder aber, dass er trotz Erkennen des Fahrzeuges den Abbiegevorgang einleitete. Damit ist der Sorgfaltsverstoß des Zeugen Bxxxx eindeutig erwiesen. Selbst wenn man zu Lasten der Klägerin unterstellt, dass sie unbeachtet der Geschwindigkeitsbeschränkung im Baustellenbereich durchgängig mit 100 km/h gefahren ist - was nicht bewiesen ist -, dann war sie mit ihrem Fahrzeug 5 sek vor der Kollision keine 150 m von der späteren Unfallstelle entfernt.
Aufgrund der in erster Instanz durchgeführten und vor dem Senat wiederholten Beweisaufnahme steht zwar fest, dass der Zeuge vor Einleitung des Abbiegevorganges den linken Blinker betätigte. Dies haben sowohl der Zeuge Bxxxx als auch die Zeugen Jxxxxxx und Cxxxxx glaubhaft bestätigt.
Es ist jedoch nicht bewiesen, dass der Zeuge Bxxxx seiner doppelten Rückschaupflicht gem. § 9 Abs. 1 S. 4 StVO in ausreichender Weise nachkam. Aus dessen Aussage ergibt sich vielmehr, dass er insoweit fahrlässig handelte. Er gab an, dass er bei dem Abbiegevorgang etwa 1 km weit zurückblicken konnte. Dort sei aus seiner Sicht kein Fahrzeug zu sehen gewesen, welches den Abbiegevorgang gefährdet hätte. Diese Aussage ist aus physikalischer Sicht nicht nachvollziehbar. Aus der Aussage des Zeugen Bxxxx geht hervor, dass er das Fahrzeug der Klägerin schlicht übersehen hat. Im Laufe des nur wenige Sekunden andauernden Abbiegevorganges des Zeugen kann die Klägerin nicht eine Strecke von 1 km mit ihrem Fahrzeug zurückgelegt haben. Sie muss sich bereits kurz vor dem abbiegenden Fahrzeug des Zeugen in dessen Blickfeld oder im toten Winkel befunden haben, als dieser den Abbiegevorgang einleitete. Zur Rückschau ist der Außen- und Innenspiegel zu benutzen, unter Berücksichtigung des toten Winkels. Die Sichtverhältnisse aus seinem Kraftfahrzeug (toter Winkel) muss jeder Fahrer kennen und berücksichtigen. Je länger das abbiegende Fahrzeug ist, umso größere Sorgfalt und Rücksicht auf den Verkehr ist notwendig (Hentschel/König/Dauer, StVO, 40. Aufl., Rn. 24 zu § 9 StVO m.w.N.) Gegen diese Gebote verstiess der Zeuge Bxxxx. Er gab im weiteren Verlauf seiner Vernehmung auch an, dass er das Fahrzeug der Klägerin schlecht gesehen habe, eventuell habe er einen kleinen roten Punkt festgestellt. Diesen habe er im Spiegel noch nicht gesehen aber beim Schulterblick. Wenn dem so war, so hätte der Zeuge seinen Abbiegevorgang nicht einleiten dürfen.
Gem. § 254 Abs. 1 BGB ist jedoch ein erhebliches Mitverschulden der Klägerin zu berücksichtigen. Sie hat bei unklarer Verkehrslage überholt (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO). Auf Grund der Beweisaufnahme steht fest, dass das Fahrzeug des beklagten Landes sich mittig eingeordnet und der Fahrer des Fahrzeuges den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt hatte, als die Klägerin überholte. Allein aus dem Umstand, dass sich unmittelbar vor ihr ein mittig eingeordnetes Fahrzeug mit verschiedenen Blinkzeichen befand, hätte die Klägerin - selbst wenn sie das Blinken nicht hätte bemerken können - dazu anhalten müssen, langsamer zu fahren und hinter diesem Fahrzeug zu verbleiben. Auf die Rechtsfrage, ob das Beklagtenfahrzeug die Rundumleuchten und die Blitzleuchten einschalten durfte, kommt es für die Frage der unklaren Verkehrslage jedenfalls zu Gunsten der Klägerin nicht an. Vielmehr spricht dies dafür, der Klägerin eine nochmals gesteigerte Sorgfaltspflicht aufzuerlegen. Ein derartiges mittig auf der Straße eingeordnetes Fahrzeug durfte die Klägerin nicht einfach überholen, sondern hätte den beabsichtigten Überholvorgang zunächst einmal zurückstellen und abwarten müssen, was das vor ihr fahrende Beklagtenfahrzeug sogleich tun werde.
Bei einem Zusammenstoß mit einem Linksabbieger, der lediglich seine zweite Rückschaupflicht aus § 9 Abs. 1 S. 4 StVO verletzt und einen nachfolgenden Überholer kommt in der Regel eine Schadensteilung im Verhältnis 1 : 2 zu Lasten des Überholers in Betracht (Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 11. Aufl., Rdn. 161 m.w.N.). Dort finden sich zahlreiche unterschiedliche Haftungsquoten, sowohl 100 % zu Lasten des Überholenden (OLG Celle VersR 86, 349), als auch 100 % zu Lasten des Abbiegenden (OLG Frankfurt NZV 2000, 211). Der Senat hält hier eine Quote von 30 : 70 zu Lasten der Klägerin für angemessen. Sie machte einen groben Fahrfehler, in dem sie bei sehr unklarer Verkehrslage mit unverminderter Geschwindigkeit überholte. Sie hätte sich vorsichtig verhalten müssen und mit mäßiger Geschwindigkeit an dem Fahrzeug des beklagten Landes vorbeifahren müssen oder hinter diesem anhalten. Demgegenüber ist das Verschulden des Fahrers des beklagten Landes eher gering. Es kann sein, dass sich das klägerische Fahrzeug im toten Winkel befand. Der Fahrer des beklagten Fahrzeuges hat lediglich übersehen, dass die Klägerin als letztes Fahrzeug von mehreren überholenden Pkw's noch an ihm vorbeifahren wollte.
b) Das beklagte Land haftet außerdem gem. §§ 7, 17 Abs. 1 und 2 StVG. Der Verkehrsunfall ereignete sich bei dem Betriebe beider beteiligter Fahrzeuge und es lag keine höhere Gewalt vor (§ 7 Abs. 1 und 2 StVG).
Demgemäß ist hier eine Quote gem. §§ 17 Abs. 1, 2 StVG zu bilden. Ein unabwendbares Ereignis i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG lag für keinen der beteiligten Fahrzeugführer vor. Beide trifft ein Verschulden, denn die Klägerin hat bei unklarer Verkehrslage überholt und der Zeuge Bxxxx hat seine doppelte Rückschaupflicht verletzt und das Fahrzeug der Klägerin nicht wahrgenommen.
c) Der Schaden der Klägerin ist der Höhe nach unstreitig. Sie kann Reparaturkosten von netto 1.712,78 € sowie eine Auslagenpauschale von 25,00 € geltend machen. 30 % hiervon machen 521,40 € aus.
Die gem. § 249 BGB zu erstattende vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr nebst Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer beträgt nach diesem Wert 83,59 €.
Die Zinsentscheidung ergeht gem. den §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1, 291 BGB. Die Klage wurde dem beklagten Land am 14.08.2008 zugestellt. Zinsen aus den vorgerichtlichen Kosten sind deswegen seit dem darauffolgenden Tag zu entrichten (§ 187 Abs. 1 BGB).
III. Die Nebenentscheidungen ergehen gem. den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Anlass zur Zulassung der Revision bestand nicht.