09.04.2013 · IWW-Abrufnummer 131085
Amtsgericht Sigmaringen: Urteil vom 12.02.2013 – 5 OWi 15 Js 7112/12
Ein "Vier-Augen-Prinzip", nach dem eine Geschwindigkeitsmessung mit dem Lasermessgerät Riegl FG 21-P nur zur Grundlage einer Verurteilung gemacht werden kann, wenn der vom Gerät angezeigte Messwert und die Übertragung dieses Wertes in das Messprotokoll von einem zweiten Polizeibeamten kontrolliert worden sind, existiert jedenfalls in Baden-Württemberg
AG Sigmaringen Urteil vom 12.2.2013, 5 OWi 15 Js 7112/12
Tenor
1. Der Betroffene wird wegen tateinheitlich und fahrlässig begangener Ordnungswidrigkeiten des Verstoßes gegen Vorschriften der StVO über die Geschwindigkeit und der StVZO über die Bereifung zu der Geldbuße von 500,00 EUR verurteilt.
2. Er trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
1.
Der Betroffene befuhr am 22. Juni 2012 um 16.25 Uhr die L 277 aus N. kommend in Fahrtrichtung B. mit dem Kraftrad Honda . Kurz nach N. wird die zulässige Höchstgeschwindigkeit durch Zeichen 274 StVO auf 70 km/h beschränkt. Das Zeichen wird etwa 350 m später wiederholt. Innerhalb dieser Zone hielt der Betroffene infolge von Unachtsamkeit eine Geschwindigkeit von mindestens 112 km/h mit seinem Kraftrad ein. Er überschritt damit die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mindestens 42 km/h.
Bei der anschließenden Polizeikontrolle wurde festgestellt, dass bei dieser Fahrt der Hinterreifen des Motorrades nicht mehr den Vorschriften entsprach. Die vorgeschriebene Mindesttiefe des Hauptprofils von 1,6 Millimetern wurde deutlich unterschritten. Dies war dem Betroffenen infolge von Unachtsamkeit entgangen.
2. Diese Feststellungen beruhen auf dem Ergebnis der Beweisaufnahme.
Die Geschwindigkeitsüberschreitung wurde festgestellt, durch eine zuverlässige polizeiliche Geschwindigkeitsmessung mit dem Lasermessgerät Riegl FG21-P. Dabei handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte. Gemessen wurde eine Geschwindigkeit von 116 km/h. Nach Abzug der vorgeschriebenen Messtoleranz von 4 km/h verbleibt noch eine vorwerfbare Geschwindigkeit von 112 km/h.
Die Messung wurde durchgeführt von dem Zeugen PHM M. Der Zeuge hat in der Zeit vom 13.06. bis zum 14.06.2005 an der Grundschulung über Handhabung und Einsatz dieses Messgeräts mit Erfolg teilgenommen. Er hat seither mehrere hundert Messungen mit dem Gerät vorgenommen und ist daher mit der Handhabung des Geräts bestens vertraut.
Im Messprotokoll ist vermerkt: „Das Messgerät wurde entsprechend den Vorgaben des Geräteherstellers und der Dienstanweisung eingesetzt.“ Beide Vorgaben sind bei der Messung eingehalten worden. Dies hat der Sachverständige F. von der DEKRA Reutlingen, welcher die Messung überprüft hat, bestätigt. Das Messgerät war zum Zeitpunkt der Messung gültig geeicht. Dies ergibt sich aus dem Eichschein des Regierungspräsidiums Tübingen vom 12. September 2011. Danach dauerte die Gültigkeit der Eichung noch bis zum 31. Dezember 2012. Das Gerät war mit der neuesten Software ausgestattet. Der Zeuge PHM M. hat alle vorgeschriebenen Funktionstests vor Beginn der Geschwindigkeitsmessung zutreffend durchgeführt. Beim Fahrzeug des Betroffenen handelt es sich auch um ein Einzelfahrzeug, dies bedeutet, dass die Messung auch eindeutig dem Kraftrad des Betroffenen zuzuordnen ist und eine Verwechslung mit einem anderen Fahrzeug ausgeschlossen ist.
Bei der Messung der Geschwindigkeit ist auch die Dienstanweisung des Innenministeriums Baden-Württemberg für Geschwindigkeitsmessungen mit Laser-Geschwindig-keitshandmessgeräten (Stand: April 2010) beachtet worden. In dieser Dienstanweisung ist unter „Einsatz und Bedienung des Gerätes“ u.a. Folgendes vermerkt:
„Die Geräte sind nach der Gebrauchsanweisung des Herstellers, den Zulassungsbedingungen der PTB und den ergänzenden Regelungen des Innenministeriums Baden-Württemberg zu handhaben. Bei widersprüchlichen Regelungen gelten die Regeln dieser Dienstanweisung. Abweichungen von den vorgegebenen Messbedingungen im Messbetrieb stellen ein Verfahrenshindernis dar. ...
„Die Geschwindigkeitsmessungen sind grundsätzlich als Anhaltekontrollen mit mindestens zwei uniformierten Beamten/Beamtinnen (einem Messbeamten/Messbeamtin und einem zweiten Beamten/Beamtin) und als Einzelmessungen durchzuführen.
Das Messergebnis muss immer von diesen beiden Beamten/Beamtinnen abgelesen werden (Vier-Augen-Prinzip). Der zweite Beamte/Beamtin muss nicht zwingend die Laser-Schulung absolviert haben. Dies wird jedoch empfohlen.
Das aus dem Display angezeigte Geschwindigkeitsmessergebnis kann dem Betroffenen auf dessen Wunsch gezeigt werden, soweit der Messbetrieb dadurch nicht beeinträchtigt wird. ...“
Das Vier-Augen-Prinzip ist somit jedenfalls im Land Baden-Württemberg bei jeder Messung mit dem Lasermessgerät Riegl FG21-P zu beachten . Die Oberlandesgerichte Düsseldorf (Beschluss vom 13.9.2012, IV-2 RBs 129/12 , DAR 2012, S. 646 und BeckRS 2012,19400) und Hamm ( BeckRS 2012, 18144 und 18145) haben die Auffassung vertreten, dass bei derartigen Geschwindigkeitsmessungen kein Vier-Augen-Prinzip gelte. Dies ist jedenfalls für das Land Baden-Württemberg nicht zutreffend. Das Prinzip berücksichtigt die Tatsache, dass bei diesem Messverfahren kein Foto gefertigt wird, aus welchem die gemessene Geschwindigkeit abgelesen werden kann. Daher muss gewährleistet sein, dass der gemessene Wert richtig abgelesen und ins Messprotokoll eingetragen wird. Es dient somit dem Zweck, Ablese- und Übertragungsfehler zu vermeiden. Sowohl der Messbeamte als auch der Beobachter müssen das Messergebnis ablesen. Nach dem Eintrag in das Messprotokoll müssen beide kontrollieren, ob die Eintragung auch richtig erfolgt ist.
Dies ist in vorbildlicher Weise vom Messbeamten PHM M. und vom Beobachter PHM D. so erfolgt. Zusätzlich konnte der Betroffene, wie er selbst bestätigt hat, auch selbst das Messergebnis (116 km/h) ablesen. Damit ist ein Ablese- oder Übertragungsfehler ausgeschlossen.
Auch haben beide Zeugen glaubhaft bestätigt, dass das Hauptprofil des Hinterreifens des Motorrades nicht mehr die erforderliche Profiltiefe aufgewiesen hat.
3.
Damit hat sich der Betroffene tateinheitlich und fahrlässiger begangener Ordnungswidrigkeiten des Verstoßes gegen Vorschriften der StVO über die Geschwindigkeit und der StVZO über die Bereifung nach §§ 33, 41 i.V.m. Anlage 2 Nr. 49 (Z. 274), 49 Abs. 3 Abs. 4 StVO, 36 Abs. 2, 69 a Abs. 3 Nr. 8 StVZO, 24 StVO, 19 OwiG schuldig gemacht.
Der Betroffene ist im Verkehrszentralregister nicht eingetragen. Die Regelbuße nach dem Bußgeldkatalog für diesen Verstoß beträgt 160,00 EUR. Außerdem ist hierfür ein Regelfahrverbot von 1 Monat vorgesehen.
Von der Verhängung des Regelfahrverbots hat das Gericht ausnahmsweise abgesehen, nachdem das Fahrverbot für den Betroffenen eine Existenzgefährdung darstellen würde:
Der Betroffene war fast ein Jahr lang arbeitslos und hat jetzt seit dem 2. Januar 2013 wieder eine neue Arbeitsstelle gefunden. Er arbeitet jetzt als Servicetechniker für eine Firma S. und befindet sich noch in der Probezeit. Zur Zeit wird er gerade eingearbeitet, die Probezeit beträgt 6 Monate. Während der Probezeit kann er keinen Urlaub nehmen, er kann das Fahrverbot somit auch nicht im Urlaub abdienen. Im Falle der Verbüßung des Fahrverbots würde er die neue Arbeitsstelle sofort wieder verlieren.
Daher hat das Gericht ausnahmsweise von der Verhängung des Fahrverbots abgesehen. Der Betroffene ist daraufhin gewiesen worden, dass es diese Ausnahme nur ein einziges Mal gibt. Zur Einwirkung auf ihn wurde die Geldbuße angemessen auf 500,00 EUR erhöht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 565 StPO.