09.04.2013 · IWW-Abrufnummer 131088
Landgericht Stuttgart: Beschluss vom 13.03.2013 – 18 Qs 14/13
Zur Verhältnismäßigkeit der (weiteren) Andauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis, wenn bereits eine zögerliche Sachbehandlung festzustellen ist und nicht abzusehen ist, wann die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten stattfinden kann.
18 Qs 14/13
Landgericht Stuttgart
18. Große Strafkammer
Beschluss
vom 13. März 2013
Beschwerdesache des pp.
Verteidiger: RA Martin Ellinger, 70567 Stuttgart
wegen Straßenverkehrsgefährdung
Auf die Beschwerde des Angeklagten gegen den ihm die Fahrerlaubnis vorläufig entziehenden Beschluss des Amtsgerichts Böblingen vom 07.02.2013 wird diese Entscheidung aufgehoben.
Der Führerschein des Angeklagten ist an ihn herauszugeben.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch verursachten notwendigen Auslagen des An-geklagten trägt die Staatskasse (§ 467 Abs. 1 StPO analog).
Gründe:
Der Angeklagte ist weiterhin dringend verdächtig, sich zumindest im Sinne des im Strafbefehl des Amtsgerichts Böblingen vom 15.01.2013 zugrunde gelegten Sachverhalts am 04.05.2012 gegen 16.50 Uhr auf der Bundesautobahn 8, Fahrtrichtung München, auf Sindelfinger Gemarkung am Steuer des Fahrzeugs Audi A 4, amtliches Kennzeichen XXXXX, durch sein Fahrverhalten der vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung durch falsches Überholen gemäß § 315 c Abs. 1 Nr. 2 Alt. b, Abs. 3 Nr. 1 StGB schuldig gemacht zu haben.
Das ergibt sich vor allem aus den - bei vorläufiger Bewertung - glaubhaften Angaben des Zeugen X, den Ermittlungen des Autobahnpolizeireviers Stuttgart sowie den Angaben des Zeugen X2 vom Polizeirevier Filderstadt, der den Beschuldigten am 14.06.2012 vernommen hat. Die Tatsache, dass im Verlauf des weiteren Verfahrens auch noch die vom Verteidiger benannten weiteren Zeugen pp. zu vernehmen sein werden, stehen dem dringenden Tatverdacht nicht entgegen. Die vom Zeugen X. abgegebene Personenbeschreibung des Angeklagten vom 14.06.2012 deckt sich weitgehend mit der Beschreibung des Fahrers des PKW Audi A 4 zur mutmaßlichen Tatzeit.
Hiernach sprechen dringende Gründe für die Annahme, dass dem Angeklagten die Fahrerlaubnis zu entziehen sein wird. Er ist dringend verdächtig, einen Regelfall für die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB verwirklicht zu haben. Ausnahmen von der Regel sind nicht ersichtlich. Eine längere unbeanstandete Verkehrsteilnahme vor und nach der Tat steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nicht entgegen, auch wenn das mutmaßliche Tatgeschehen - wie vorliegend der Fall - inzwischen 10 Monate zurück liegt.
Unbeschadet des fortbestehenden dringenden Tatverdachts und unabhängig von der Frage, ob der mutmaßliche Eignungsmangel im Sinne des § 69 StGB weiter besteht und deshalb - was zu bejahen ist - gemäß § 111 a StPO dringende Gründe für die Annahme sprechen, dass dem Angeklagten die Fahrerlaubnis zu entziehen sein wird, erscheint die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis vorliegend aber wegen auf einer sachwidrigen Behandlung unter Verletzung des Beschleunigungsgebots beruhenden Verzögerung des Verfahrens unverhältnismäßig (vgl. dazu OLG Karlsruhe, NStZ 2005, 402 f.).
Die Belastung aus einem Eingriff in den grundrechtlich geschützten Bereich muss in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenen Vorteilen stehen. Das gilt bei der Anordnung, Vollziehung und Fortdauer derartiger Maßnahmen, auch bei der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis.
Nach dem mutmaßlichen Vorfall vom 04.05.2012 erfolgten die Anzeige des Zeugen X und dessen polizeiliche Vernehmung am 08.05.2012. Am 14.06.2012 wurde auch der Angeklagte von der Polizei gehört und zugleich sein Aussehen mit der vom Zeugen X. abgegebenen Beschreibung des Fahrers des Audi A 4 mit dem amtlichen Kennzeichen xxxxx am 04.05.2012 abgeglichen. Erst am 27.09.2012 ging der Anzeigevorgang bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart ein, ohne dass zuvor von der Polizei weitere Ermittlungsmaßnahmen ergriffen worden wären. Nach dem Verstreichen von weiteren Wochen wurden von der Staatsanwaltschaft am 08.11.2012 Nachermittlungen zur Beschaffenheit des Fahrbahnrands an der mutmaßlichen Tatörtlichkeit am 04.05.2012 in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse am 06.12.2012 vorgelegt wurden.
Am 09./11. 01.2013 - wiederum einen Monat später - wurde dann von der Staatsanwaltschaft ein Strafbefehl gegen den Angeklagten und für den Fall des Einspruchs die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis beantragt. Der Strafbefehl wurde vom Amtsgericht Böblingen am 15.01.2013 erlassen. Am 21.01.2013 hat der Angeklagte rechtzeitig dagegen Einspruch eingelegt. Die angefochtene Entscheidung erließ das Amtsgericht Böblingen am 07.02.2013. Die ursprünglich auf den 28.03.2013 terminierte Hauptverhandlung wurde wegen Abwesenheit des Zeugen X. am Tag der vorgesehenen Hauptverhandlung abgesetzt, ohne dass zugleich ein neuer Termin bestimmt worden wäre. Der Zeuge selbst, der weitere Abwesenheitszeiten in der 14., 15., 16., 18. 19., 20., 21. und 22. Kalenderwoche geltend gemacht hat, hat um einen Termin ab der 23. Kalenderwoche 2013, also ab Juni 2013. gebeten, stünde aber auch in der 17. Kalenderwoche zur Verfügung. Unabhängig davon hat der Angeklagte aber Anspruch auf baldige Klärung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe, notfalls ohne Teilnahme des Zeugen an der Hauptverhandlung.
Ihn auf - aus derzeitiger Sicht - unabsehbare Zeit auf der Grundlage vorläufiger Erkenntnisse ohne Fahrerlaubnis zu belassen, widerspricht jedenfalls vor dem Hintergrund der bereits vor dem 07.02.2013 zögerlichen Sachbehandlung dem Rechtsstaatsgebot.
Aus diesem Grunde ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis als unverhältnismäßig aufzuheben, auch wenn sie erst seit 07.02.2013 andauert.