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  • 08.05.2013 · IWW-Abrufnummer 131451

    Amtsgericht Rastatt: Beschluss vom 28.03.2013 – 8 OWi 173/13

    Aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens folgt, dass der Verteidiger auch bei Verkehrsordnungswidrigkeiten, bei denen zur Überführung des Betroffenen standardisierte Messverfahren eingesetzt werden, die Möglichkeit zur Kenntnisnahme der Bedienungsanleitung haben. Dem steht ein Urheberrecht des Herstellers des Messgerätes nicht entgegen.


    Aktenzeichen: 8 OWi 173/13
    AG Rastatt
    ln dem Bußgeldverfahren gegen
    R.G.,
    wegen OWi
    erlässt das Amtsgericht Rastalt durch die Richterin Dr. Klingele am 28.03.2013 folgenden
    Beschluss
    1. Das Landratsamt Rastalt ist verpflichtet, dem Verteidiger des Antragstellers Einsicht in die Gebrauchsanleitung des Laser-Geschwindigkeitsmessgeräts Riegl FG 21-P nach Beiziehung einer Kopie der Bedienungsanleitung zu den Akten zu gewähren.
    2. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Antragstellers hat die Staatskasse zu tragen.
    Gründe
    1. Der Antrag ist zulässig. Der vereinzelt vertretenen Auffassung, die Versagung der Akteneinsicht in eine Bedienungsanleitung sei keine anfechtbare Maßnahme oder Entscheidung der Verwaltungsbehörde i.S.v. § 62 OWiG, sondern diene lediglich der Vorbereitung einer das Bußgeld­ verfahren abschließenden Entscheidung, kann nicht gefolgt werden. Selbständige Bedeutung haben alle Maßnahmen, die Verfahrensrechte verkürzen. Dieses gilt insbesondere für das Recht des Verteidigers auf Akteneinsicht (vgl. nur Seitz in: Göhler, OWiG, 16. Aufl. 2012, § 62 Rn 3).
    2. Der Antrag ist auch begründet.
    Gegen den Antragsteller ist bei dem Landratsamt Rastall ein Bußgeldverfahren wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften anhängig, wobei die dem Betroffenen zur Last gelegte gefahrene Geschwindigkeit mit dem Laser-Geschwindigkeitsmessgerät Riegl FG 21-P gemessen wurde.
    Der Verteidiger des Antragstellers hat mit Schreiben vom 1. Februar 2013 Akteneinsicht beantragt und mit Schreiben vom 8. Februar 2013 Akteneinsicht insbesondere in die Bedienungsanleitung des Messgerätes beantragt. Sollte ihm dieses verwehrt werden, beantragte der Verteidiger die gerichtliche Entscheidung. Der Verteidiger zweifelt, ob eine Messung an einer Kurve in einer Entfernung von 472m ordnungsgemäß sei, dieses könne er nur aus der Gebrauchsanleitung er­ sehen (AS 37). Wegen des Umfangs der Bedienungsanleitung sei es sachdienlich, wenn die Einsichtnahme durch Übersendung der Akte nebst beigezogener Beiakte in die Kanzleiräume er­ folge.
    Mit Verfügung v. 28.02.2013 übersandte die Verwaltungsbehörde die Akten zur Entscheidung über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung.
    a) Der Anspruch auf Akteneinsicht folgt nicht aus § 147 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG. Denn diese Vorschrift gewährt nur ein Akteneinsichtsrecht in die Akten, "die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der Anklage vorzulegen wären". Hierzu gehören nur die Akten und Aktenteile, einschließlich Bild- und Tonbandaufnahmen, auf welche der Schuldvorwurf
    in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird und die zur Begründung des Ausspruchs über die Rechtsfolgen herangezogen werden. Regelmäßig werden Schuldspruch und Rechtsfolgen aber nicht auf den Inhalt von Lebensakte und Bedienungsanleitung gestützt, weil diese nicht beigezogen werden (vgl. a. AG Detmold, Beschl. v. 04.02.2012, Aktenzeichen: 4 OWi 989/11; Cierniak, zfs 12/12, S. 664 [673]). Die Bedienungsanleitung wird somit nicht Bestandteil der Akte.
    Der Anspruch folgt jedoch aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens.
    Der Verteidiger muss bei Verkehrsordnungswidrigkeiten, bei denen zur Überführung des Betroffenen standardisierte Messverfahren eingesetzt werden, die Möglichkeit zur Kenntnisnahme der Bedienungsanleitung haben.
    Der BGH, Beschl. v. 19.08.1993- 4 StR 627/92 führt zum Einsatz standardisierter Messverfahren u. a. aus:
    "Die amtliche Zulassung von Geräten und Methoden verfolgt ebenso wie die Reduzierung des gemessenen Wertes um einen - die systemimmanenten Meßfehler erfassenden- Toleranzwert gerade den Zweck, Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Sachverständigenbegutachtung und Erörterung des Regelfalles freizustellen. Es entspricht deshalb allgemein anerkannter Praxis, daß auch im Bereich technischer Messungen Fehlerquellen nur zu erörtern sind, wenn der Einzelfall
    dazu Veranlassung gibt."
    Hierzu muss der Verteidiger jedoch überprüfen können, ob es sich um ein standardisiertes Messverfahren handelt, d. h., ob der Messgeräteeinsatz der Bedienungsanleitung entsprechend stattgefunden hat.
    Nur das Einsichtsrecht des Verteidigers in die Bedienungsanleitung eines Geschwindigkeitsmessgerätes ermöglicht es dem Verteidiger, die Polizisten oder Angestellten der Verwaltungsbehöre, die die Messung vorgenommen haben, als Zeugen zu der ordnungsgemäßen Durchführung der Messung zu befragen und die ordnungsgemäße Bedienung des Gerätes nachzuvollziehen und zu überprüfen (so auch OLG LSA, Beschl. v. 05.11.2012-2 Ss (Bz) 100/12, AG Lüdinghausen, Beschl. v. 09.02.2012- 19 OWi 19/12, 19 OWi 19/12 [b] m.w.N.).
    b) Ein Urheberrecht an der Bedienungsanleitung steht diesem nicht entgegen. Zwar bestehen grundsätzlich urheberrechtliche Bedenken gegen eine Fertigung einer Kopie der Bedienungsanleitung und deren Versendung via Email (a. A. z. B. AG Heidelberg, Beschl. v. 05.01.2012-3 OWi 731/11, das die Existenz eines Urheberrechtsschutz insgesamt verneint). Diese Bedenken müssen jedoch im Ordnungswidrigkeitenverfahren zurückstehen (s. a. Cierniak, zfs 12/12, S. 664 [674 f.].
    Zunächst darf die Behörde gem. § 45 UrhG Kopien in Verwaltungsverfahren auch von urheberrechtlich geschützten Werken fertigen. Hinzu tritt, dass das Messgerät gerade zum Einsatz durch Verwaltungsbehörden vertrieben wird, somit hat das AG Hildesheim, Beschl. v. 29.12.2011
    - 31 OWi 27/11, zutreffend ausgeführt -hierüber mag im Hinblick auf die rechtliche Würdigung gestritten werden: ,.Jedem Hersteller von Geschwindigkeitsmessgeräten zur Verkehrsüberwachung ist bekannt, dass die mit den Geräten durchgeführten Messungen Gegenstand von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sind und insofern der Prüfung auch durch Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung unterliegen. Vor diesem Hintergrund ist von einer zumindest konkludenten Einräumung entsprechender Nutzungsrechte mit Erwerb des Messgerätes auszugehen (§ 31 Abs. 5 UrhG), zumal anderenfalls alle Messungen mangels Überprüfbarkeil unverwertbar und die Geräte des Herstellers damit letztlich unverkäuflich wären". Der Verteidiger darf die überlassenen Unter­ lagen ohnehin nur für das jeweilige Verfahren verwenden und insbesondere nicht anderweitig oder nach Abschluss des Verfahrens veröffentlichen (s. nur AG Heidelberg, Beschl. v. 31.10.2011
    -3 OWi 510 Js 22198/11 ).
    . Ein' etwaiger Schutz des Urheberrechts müsste jedenfalls hinter dem gewichtigen Recht eines Betroffenen/seines Verteidigers auf Akteneinsicht, welches verfassungsrechtlich durch den Grundsatz des fairen Verfahrens geschützt ist, zurückstehen (so auch AG Lüdinghausen, Beschl. v. 09.02.2012- 19 OWi 19/12, 19 OWi 19/12 [b] m. Verweis auf AG Karlsruhe, Beschl. v. 22.09.2011 - 1 OWi 127/11).
    c) Wie die Akteneinsicht zu gewähren ist, ist grundsätzlich Aufgabe der Verwaltungsbehörde und daher vorliegend nicht zu entscheiden.
    Das Gericht weist jedoch daraufhin, dass - wird der Verteidiger auf die Einsichtnahme in den Räumen der Behörde verwiesen - diese Entscheidung nicht willkürlich sein darf. Hierzu gibt das Gericht folgendes zu Bedenken:
    Bei ortsfremden Verteidigern erscheint eine Verpflichtung zur Einsichtnahme bei der Verwaltungsbehörde in die zahlreiche Seiten umfassende Gebrauchsanleitung schwer zurnutbar (s. AG Lüdinghausen, Beschl. v. 09.02.2012, Aktenzeichen: 19 OWi 19/12, 19 OWi 19/12 [b] m.w.N.).
    Auch bei ortsansässigen Verteidigern erscheint zumindest bei erstmaliger Prüfung der Bedienungsanleitung es dem Gericht nur schwer begründbar, den Verteidiger auf eine Einsichtnahme zu verweisen. (s. a. Cierniak, zfs 12/12, S. 664 [674]. dagegen ein Einsichtsrecht [allerdings im gerichtlichen Verfahren] ohne nähere Begründung für ausreichend erachtend OLG Hamm, Beschl. v. 14.11.2012-1 RBs 105/12, 111-1 RBs 105/12). Anders kann dieses aussehen, wenn der Verteidiger bereits in einem anderen Verfahren zeitnah Einsicht in die Bedienungsanleitung hatte.
    3. Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar.
    4. Die Kostenentscheidung erfolgt nach§ 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 62 Abs. 2 S. 2 OWiG.
    Dr. Klingele Richterin
    Ausgefertigt
    Rastatt, 15.04.2013