15.05.2013 · IWW-Abrufnummer 131514
Landgericht Saarbrücken: Urteil vom 21.05.2010 – 13 S 5/10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
13 S 5/10
120 C 311/09 (05)
Amtsgericht Saarbrücken
verkündet am 21.05.2010
LANDGERICHT SAARBRÜCKEN
URTEIL
Im Namen des Volkes
In dem Rechtsstreit
XXX
hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken
auf die mündliche Verhandlung vom 07.05.2010
durch den Präsidenten des Landgerichts ..., den Richter am Landgericht ... und den Richter am Landgericht ...
für R e c h t erkannt:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts
Saarbrücken vom 17.12.2009 – 120 C 311/09 (05) – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 22.10.2008 in ... ereignet hat und bei dem sein Fahrzeug, ein VW Golf, beschädigt wurde. Die alleinige Haftung der Beklagten steht außer Streit.
In einem für den Kläger erstellten Privatgutachten vom 27.10.2008 ermittelte der Gutachter Reparaturkosten von 10.376,12 Euro (inklusive 1.656,69 Euro USt), einen Wiederbeschaffungswert von 18.000,- Euro (inklusive 19% USt) und einen Restwert von 7.800,- (inklusive USt). Am 06.11.2008 erwarb der Kläger einen VW Fox für 8.990,- Euro (inklusive 1.435,38 Euro USt). Die Beklagte rechnete den Unfallschaden des Klägers mit Schreiben vom 17.11.2008 auf der Grundlage des Privatgutachtens vom 27.10.2008 ab und zahlte auf den Fahrzeugschaden 7.326,05 Euro (15.126,05 Euro ./. 7.800,- Euro). Eine Erstattung der bei dem Kauf des VW Polo angefallenen Mehrwertsteuer lehnte die Beklagte ab.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.435,38 € nebst Zinsen 5%-Punkte über dem Basiszinssatz nach BGB liegend ab dem 18.11.2008 zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 188,62 € zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass sich der Kläger für eine fiktive Abrechnung des Schadens entschieden habe. Diesen Schaden habe sie ersetzt. Das Verlangen nach der konkret angefallenen Mehrwertsteuer führe zu einer unzulässigen Kombination zwischen fiktiver und konkreter Schadensabrechnung. Im Übrigen sei es nach der Rechtsprechung des Bundes-gerichtshofs nicht ausreichend, dass irgendein Fahrzeug angeschafft werde. Vielmehr hätte der Kläger ein gleichwertiges oder höherwertiges Fahrzeug kaufen müssen.
Durch Urteil vom 17.12.2009 hat das Amtsgericht der Klage stattgegeben. Es hat ausgeführt, dass der Kläger eine Ersatzbeschaffung vorgenommen habe, bei der Mehrwertsteuer angefallen sei. Diese sei im Rahmen der konkreten Schadensabrechnung ersatzf ähig, auch wenn ein Fahrzeug angeschafft worden sei, dessen Wert geringer sei als derjenige des beschädigten Fahrzeugs.
Mit ihrer Berufung begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 17.12.2009, Az.: 120 C 311/09 (05), abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung des Berufungsklägers kostenpflichtig zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. In der Sache bleibt sie erfolglos, da die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere als die vom Amtsgericht getroffene Entscheidung nicht rechtfertigen (§ 513 Abs.1 ZPO).
1. Allerdings vermag die Kammer der Annahme des Erstgerichts, wonach der Kläger seinen Fahrzeugschaden konkret auf der Grundlage einer Ersatzbeschaffung abgerechnet habe, nicht zu folgen. Der Kläger verlangt vielmehr Ausgleich auf der Grundlage der vom Sach-verständigen ermittelten Beträge.
a) Nach der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs stehen dem Geschädigten – wie auch das Erstgericht nicht verkennt – im Allgemeinen zwei gleichrangige Arten der Naturalrestitution zur Verfügung: Die Reparatur des Unfall-fahrzeugs oder die Anschaffung eines „gleichwertigen“ Ersatzfahrzeugs (vgl. BGHZ 169, 263, 266; Urteil vom 22.09.2009 – VI ZR 312/08, VersR 2009, 1554, 1555, jeweils mwN.). Eine Wahlschuld iSd. § 262 BGB wird dadurch nicht begründet, denn der Schädiger schuldet nicht mehrere nach Wahl zu erbringende Leistungen, sondern Wiederherstellung (§ 249 Abs. 1 BGB) bzw. den dazu erforderlichen Geldbetrag (§ 249 Abs. 2 S. 1 BGB). Verlangt der Geschädigte den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB, so kann er diesen auf der Basis einer Ersatzbeschaffung oder einer Reparatur berechnen. Insoweit handelt es sich lediglich um unterschiedliche Arten der Schadensberechnung. Gleiches gilt für die Frage, ob fiktiv nach den Feststellungen eines Sachverständigen oder konkret nach den tat-sächlich aufgewendeten Kosten abgerechnet wird. Diese Abrechnungsarten dürfen zwar nicht miteinander vermengt werden, sind aber alternativ möglich (vgl. BGHZ 169, 263, 268 mwN.).
b) Der Kläger war danach grundsätzlich befugt, seinen Fahrzeugschaden sowohl fiktiv auf der Grundlage des vom Sachverständigen ermittelten Wiederbeschaffungsaufwands (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) als auch konkret auf der Grund-lage einer tatsächlich vorgenommenen Ersatzbeschaffung geltend zu machen. Im letzteren Fall, den das Amtsgericht offenbar annehmen will, wäre er jedoch verpflichtet gewesen, vom Preis der Ersatzbeschaffung den erzielten oder erzielbaren Rest-wert seines Fahrzeuges abzuziehen, weil sein Vermögensnachteil von vorne herein um die Höhe des gutachterlich ausgewiesenen Restwerts gemindert ist (vgl. BGH, Urteil vom 21.01.1992 – VI ZR 142/91, VersR 1992, 457 mwN.). Da der Restwert gutachterlich mit 7.800 € ermittelt worden war, beliefe sich sein ersatzfähiger konkreter Schaden auf (8.990,- ./. 7.800,- =) 1.190,- Euro, mithin auf einen Bruchteil der bereits von der beklagten Versicherung geleisteten Entschädigung. Eine konkrete Schadensberechnung entspricht also nicht dem Verlangen des Klägers und scheidet damit als Grundlage für den geltend gemachten Anspruch aus. Vielmehr hat der Kläger von Beginn an eine fiktive Schadensabrechnung in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwands verfolgt. Soweit er dabei auch Ersatz von Mehrwertsteuer beansprucht, die beim Erwerb seines Ersatzfahrzeugs angefallen ist, betrifft diese Frage nicht, wie die Berufung meint, das Problem der Bindung des Geschädigten an eine fiktive bzw. konkrete Schadensabrechnung, sondern ausschließlich den Schadensumfang bei fiktiver Schadensabrechnung.
2. Das Erstgericht hat im Ergebnis gleichwohl zutreffend die Ersatzfähigkeit der Mehrwert-steuer im vorliegenden Fall bejaht. Dies ergibt sich aus § 249 Abs. 2 S. 2 BGB. Nach dieser Vorschrift schließt der bei der Beschädigung einer Sache zur Wiederherstellung erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. In der Sache stellt die durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadens-rechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl. I 2674) eingeführte Regelung eine Einschränkung des zur Wiederherstellung erforderlichen Betrages dar, der ohne diese Einschränkung als Bruttobetrag zu ersetzen wäre. Mit der Regelung wollte der Gesetzgeber die Ersatzfähigkeit des für Umsatzsteuer aufzuwendenden Betrages auf die tatsächlich angefallene Steuer beschränken, ungeachtet der Frage, welchen möglichen Weg der Geschädigte zur Wiederherstellung beschritten hat (vgl. BT-Drs. 14, 7752, S. 13). Damit erlaubt auch die fiktive Schadensabrechnung in Folge einer Beschädigung von Sachen den Ersatz von Umsatzsteuer, wenn und soweit sie zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands, sei es durch Reparatur oder sei es durch Ersatzbeschaffung, tatsächlich angefallen ist (vgl. BGH, Urteil vom 22.09.2009 – VI ZR 312/08, VersR 2009, 1554, 1555; vgl. auch LG Kassel, Urteil vom 26.02.2009 – 1 S 344/08, juris). Wenngleich dadurch die Abgrenzung zwischen fiktiver und konkreter Schadensabrechnung im Einzelfall erschwert wird, ist dies Folge der gesetzlichen Regelung des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB (so auch MünchKomm-BGB/Oetker, 5. Aufl., § 249 Rn. 428).
3. Der Hinweis der Berufung, der Ersatzfähigkeit der Mehrwertsteuer stehe vorliegend entgegen, dass das vom Kläger angeschaffte Fahrzeug keinen gleichwertigen Ersatz für das beschädigte Fahrzeug darstelle, vermag nicht zu überzeugen. Für die Gleichwertigkeit kommt es im Streitfall nicht darauf an, ob das neue Fahrzeug der gleichen Fahrzeugklasse wie der des beschädigten Fahrzeuges angehört. Entscheidend ist vielmehr, dass das neue Fahrzeug – wie hier – eine funktional gleichwertige Ersatzsache darstellt.
a) Zu Recht verweist die Berufung allerdings darauf, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs neben der Reparatur der beschädigten Sache nur die Anschaffung einer „gleichwertigen“ Ersatzsache als Möglichkeit der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes i.S.d. § 249 Abs. 1 BGB in Betracht kommt (vgl. BGH, Ur-teil vom 20.06.1972 – VI ZR 61/71, NJW 1972, 1800, 1801; Urteil vom 15.10.1991 – VI ZR 314/90, NJW 1992, 302, 303; BGHZ 169, 263, 266; Urteil vom 29.04.2008 – VI ZR 220/07, VersR 2008, 839, 840; BGHZ 181, 242; Urteil vom 22.09.2009 – VI ZR 312/08, VersR 2009, 1554, 1555), wobei teilweise auch auf die „Gleichartigkeit“ der Sache abgestellt worden ist (vgl. BGHZ 162, 270, 274 f.; Urteil vom 02.03.2010 – VI ZR 144/09, juris). Dem liegt zugrunde, dass der Anspruch des Geschädigten auf Naturalrestitution, also auf Wiederherstellung einer beschädigten Sache (§ 249 Abs. 1 BGB) bzw. auf den zur Wiederherstellung erforderlichen Betrag (§ 249 Abs. 2 BGB), stets voraussetzt, dass eine Herstellung der beschädigten Sache überhaupt noch möglich ist. Daran fehlt es, wenn die beschädigte Sache nicht mehr oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand repariert werden kann und auch eine Ersatzbeschaffung nicht möglich ist. Dann bleibt dem Geschädigten nur noch der gegenüber der Natural-restitution nachrangige Anspruch auf Ersatz des Wertes der beschädigten Sache gem. § 251 BGB (vgl. eingehend hierzu BGHZ 92, 85 „Modellbootentscheidung“, BGH, Urteil vom 2.3.2010 – VI ZR 144/09, juris).
b) Ob eine Ersatzbeschaffung als Form der Naturalrestitution möglich ist, bestimmt sich danach, ob eine Ersatzsache verfügbar ist, die der beschädigten Sache in schadens-freiem Zustand möglichst nahe kommt und daher dem Interesse des Geschädigten an der Wiederherstellung, mithin seinem Integritätsinteresse in einer dem Zweck des § 249 BGB entsprechenden Weise genügt (vgl. eingehend MünchKomm-BGB/Oetker aaO Rdn. 313, 314 m.w.N.). Die Herstellung des früheren Zustandes im Wege einer Ersatzbeschaffung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes deshalb voraus, dass die beschädigte Sache durch eine gleichwertige oder gleichartige, also vergleichbare Sache ersetzbar ist (BGHZ 92, 85). Bei beschädigten Kraftfahrzeugen stellt dies – sieht man von dem seltenen Fall eines Unikats ab (vgl. BGH, Urteil vom 2.3.2010 aaO) – regelmäßig kein Problem dar, weil der Gebrauchtwagenmarkt in je-der Hinsicht vergleichbare Ersatzfahrzeuge offeriert. Auch im Streitfall bestehen keine Bedenken dagegen, dass eine Ersatzbeschaffung durch ein gleichwertiges Fahrzeug möglich ist und dem Geschädigten daher ein Anspruch auf Naturalrestitution – hier in der Form des zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrages gem. § 249 Abs. 2 BGB – offen steht. Auf die Frage, ob er eine Ersatzbeschaffung tatsächlich vornimmt, kommt es bei dieser fiktiven Schadensberechnung nicht an.
c) Hiervon zu unterscheiden ist indes die im Streitfall maßgebliche Frage, in welchem Umfang Mehrwertsteuer im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung verlangt wer-den kann. Auch insoweit ist zu beachten, dass nicht jede Aufwendung des Geschädigten, bei der Umsatzsteuer angefallen ist, im Rahmen einer fiktiven Abrechnung er-satzfähig ist. Erforderlich ist vielmehr, dass diese Aufwendung im Rahmen einer Naturalrestitution getätigt wurde, also unmittelbar dem Integritätsinteresse des Geschädigten dienen muss. Hierzu reicht es nach Auffassung der Kammer aber aus, dass der Geschädigte im Rahmen der Ersatzbeschaffung eine Sache erwirbt, die mit der beschädigten Sache nach der Verkehrsauffassung wenigstens funktional vergleichbar ist (vgl. auch MünchKomm-BGB/Oetker, aaO Rn 436 mwN.). Indem der Gesetzgeber den gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB an sich und ohne Nachweis einer tatsächlichen Ersatzbeschaffung zu ersetzenden Bruttobetrag dahin eingeschränkt hat, dass Mehrwertsteuer nur ersatzfähig ist, wenn und soweit sie angefallen ist, hat er auch die Möglichkeit eröffnet, dass Mehrwertsteuer für Teilleistungen – wie etwa die auf die Anschaffung von Ersatzteilen anfallende Mehrwertsteuer – im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung ersatzfähig ist (vgl. BT-Drs. 14, 7752, S. 13). Dann erscheint es auch gerechtfertigt, dass der Geschädigte Mehrwertsteuer für Ersatzbeschaffungen ersetzt verlangen kann, die zwar nicht zur in jeder Hinsicht vollständigen Wiederherstellung des schadenfreien Zustands führen, diesem Zweck aber in vergleichbarem Maße dienen.
d) Im Streitfall hat der Kläger durch die Anschaffung eines – wenn auch günstigeren – Fahrzeugs sein Integritätsinteresse hinreichend zum Ausdruck gebracht. Im Vergleich mit dem beschädigten VW Golf handelt es sich bei dem klassenniedrigeren VW Fox um ein funktional vergleichbares Fahrzeug. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das angeschaffte Fahrzeug andere Funktionen als das beschädigte Fahrzeug erfüllen muss. Vielmehr ist davon auszugehen, dass das neue Fahrzeug vollständig an die Stelle des alten gerückt ist.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Voll-streckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
Die Revision ist zuzulassen. Die Rechtssache hat eine grundsätzliche, über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung, und die Fortbildung des Rechts erfordert die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die Frage, ob und unter welchen Voraus-setzungen bei einer fiktiven Kfz-Schadensabrechnung Ersatz von Umsatzsteuer nach § 249 Abs. 1 S. 2 BGB verlangt werden kann, die bei einer Ersatzbeschaffung angefallen ist, stellt sich über den Einzelfall hinaus und bedarf der grundsätzlichen rechtlichen Klärung.