05.02.2014 · IWW-Abrufnummer 140342
Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 14.11.2013 – 1 RVs 88/13
1. Die im Rauschzustand begangene Tat ist bei § 323 a StGB eine objektive Bedingung der Strafbarkeit, auf die sich Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Angeklagten nicht beziehen muss.
2. Für eine Verurteilung nach § 323 a StGB ist es erforderlich, alle objektiven und subjektiven Merkmale der Rauschtat festzustellen, wobei nur die Schuldunfähigkeit außer Betracht bleibt.
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen [mit Ausnahme derer zum objektiven Tatbestand des § 323a StGB] aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Dortmund zurückverwiesen.
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Gründe
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I.
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Mit dem angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht den Angeklagten wegen fahrlässigen Vollrausches zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von 12 Monaten verhängt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hatte der Angeklagte am Abend des 27.01.2013 bis 19.30 Uhr etwa eine 2/3-Flasche Wodka (0,7l) getrunken und sodann eine Schlaftablette mit dem Wirkstoff Zoplicon sowie zwei Tabletten eines Antidepressivums mit dem Wirkstoff Citalopram eingenommen. Gegen 22:06 Uhr befuhr er sodann in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand eine öffentliche Straße in Dortmund und verursachte einen Unfall. Bei der um 23:32 Uhr entnommenen Blutprobe wurde ein BAK-Wert (zum Entnahmezeitpunkt) von 1,53 Promille festgestellt.
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Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er einen Freispruch anstrebt. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und erhebt Verfahrensrügen.
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Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, das Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Dortmund zurückzuverweisen.
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II.
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Die zulässige Revision des Angeklagten hat auf die Sachrüge hin in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
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1.
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Das Urteil weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
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a) Die Feststellungen belegen zwar hinreichend das Vorliegen des objektiven und subjektiven Tatbestands des § 323a StGB. Der Angeklagte hat sich schon durch die Einnahme von knapp einem halben Liter Wodka in vergleichsweise kurzer Zeit am Abend des Tattages bis 19.30 Uhr in einen Rauschzustand versetzt. Ein Rausch liegt vor, wenn der Zustand des Täters nach seinem ganzen Erscheinungsbild als durch den Genuss von Rauschmitteln hervorgerufen anzusehen ist. Dabei muss der Alkohol oder das Rauschmittel nicht die einzige Ursache für diesen Zustand sein, sondern es können auch andere Ursachen mitwirken (BGHSt 26, 363, 364). Ein solcher Zustand war bei dem Angeklagten bei der Fahrt mit dem PKW gegeben. Zeugen haben ihn als „deutlich alkoholisiert“ beschrieben. Seine Sprache sei verwaschen und lallend gewesen. Ob dieser Zustand allein auf den genossenen Alkohol oder auch auf die eingenommenen Medikamente zurückzuführen ist, ist unerheblich. Dass das Amtsgericht lediglich einen fahrlässigen Vollrausch angenommen hat, obwohl ein Vorsatz bzgl. des objektiven Tatbestandsmerkmals der Herbeiführung eines Rauschzustandes (nur hierauf kommt es insoweit an) bei Konsumierung von rund 0,5l Wodka in so kurzer Zeit nahe liegt, beschwert den Angeklagten nicht. Nicht zur Erfüllung des Tatbestands des § 323a StGB erforderlich ist es – anders als die Revision meint – dass der Angeklagte im Hinblick auf die Rauschtat vorsätzlich oder fahrlässig handelte. In der älteren obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung wurde dies zwar vereinzelt vertreten (vgl. z. B. BGH NJW 1957, 996). Schon damals wurde aber ausgeführt, dass jedenfalls Fahrlässigkeit bzgl. der Rauschtat i.d.R. vorliegen wird und keiner besonderen Urteilsfeststellungen bedürfe (BGH a.a.O.). In der neueren Rechtsprechung wird hingegen Vorsatz oder Fahrlässigkeit bzgl. der Rauschtat für die Erf üllung des Tatbestands des § 323a StGB – da es sich bei der Rauschtat lediglich um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit handelt – zutreffenderweise nicht mehr verlangt (BGHSt 16, 124; OLG Hamm, Beschl. v. 30.09.2010 – III- 3 RVs 46/10 m.w.N.). Es kommt also nicht darauf an, dass der Angeklagte sich nach dem Alkoholgenuss zu Bett begeben hat und insoweit in gewisser Weise zunächst Vorkehrungen getroffen hat, um keine Straftaten im Rauschzustand zu begehen (ebenso: OLG Celle NJW 1969, 1588, 1589; a.A. Sternberg-Lieben/Hecker in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 323a Rdn. 10).
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b) Allerdings belegen die Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht vollständig die Tatbestandsmerkmale der Rauschtat. Als solche kommt hier ein Delikt nach § 316 StGB (so offenbar – nach der Liste der angewendeten Vorschriften zu urteilen – das Amtsgericht) oder nach § 315c Abs. 1 Nr. 1 (ggf. i.V.m. Absatz 3) StGB in Betracht.
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Hier müssen die objektiven und subjektiven Merkmale der Rauschtat festgestellt werden, wobei nur die Schuldfähigkeit außer Betracht bleibt (BGH NJW 1953, 1442; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 323a Rdn. 7). Das Amtsgericht hat weder festgestellt, dass der Angeklagte vorsätzlich (im Sinne eines sog. „natürlichen Vorsatzes“) im Rausch den Tatbestand des § 316 StGB oder des § 315 Abs. 1 Nr. 1 StGB verwirklicht hat, noch dass insoweit Fahrlässigkeit bzw. eine Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination vorliegt. Bei der Fahrlässigkeit, die hier jedenfalls nicht fern liegt, kommt es insoweit nicht auf die Sorgfaltsfähigkeit des Täters im Rauschzustand an, sondern darauf, dass der Täter die ihm im nüchternen Zustand mögliche Sorgfalt nicht beachtet hat (Fischer a.a.O.; Sternberg-Lieben/Hecker a.a.O. Rdn. 16). Dies versteht sich vor dem Hintergrund, dass die von § 323a StGB zu schließende Strafbarkeitslücke verbliebe, wollte man gerade auf die Sorgfaltsfähigkeiten des Täters im Rauschzustand abstellen, die regelmäßig aber eine subjektive Sorgfaltspflichtverletzung gerade ausschlössen. Derartige Feststellungen fehlen, worauf die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift zu Recht hingewiesen hat.
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2.
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Das Urteil beruht auch auf dem aufgezeigten Rechtsfehler. Der Senat vermag letztlich nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht bei bewusster Einordnung der Rauschtat (nicht des § 323a StGB) als fahrlässig in dem o.g. Sinne begangen, auf eine noch niedrigere Strafe erkannt hätte – zumal dann nicht der vom Amtsgericht angewandte Strafrahmen des § 323a Abs. 1 StGB sondern der der §§ 316 bzw. 315c Abs. 3 StGB i.V.m. § 323a Abs. 2 StGB und ggf. §§ 21, 49 StGB – anzuwenden gewesen wäre. Er vermag auch – obwohl dies äußerst fern liegt - nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen, dass das Amtsgericht nicht überhaupt eine Rauschtat verneint hätte, weil (etwa in Folge der zusätzlichen Tabletteneinnahme) kein willensgesteuertes sondern nur noch ein reflexhaftes oder unsteuerbares Verhalten vorgelegen haben könnte, was eine Strafbarkeit ebenfalls ausschließen würde (vgl. OLG Hamm NJW 1975, 2252, 2253).
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3.
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Ein Freispruch des Angeklagten durch das Revisionsgericht kam nicht in Betracht, da weitere Feststellungen möglich und erforderlich sind. Auch die erhobenen Verfahrensrügen (sämtlich Aufklärungsrügen) könnten – ungeachtet dessen, dass sie teils den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 StPO nicht genügen, teils unbegründet sind – nicht zum Ziel eines Freispruchs durch das Revisionsgerichts führen, da auch sie gerade eine weitere Sachverhaltsaufklärung voraussetzen.