09.04.2014 · IWW-Abrufnummer 140969
Oberlandesgericht Rostock: Beschluss vom 21.02.2014 – 2 Ss OWi 30/14
1. Die Fürsorgepflicht des Gerichts gebietet es, dass der Richter sich vor der Verkündung des Verwerfungsurteils bei der Geschäftsstelle informiert, ob dort ggf. ein Entbindungsantrag vorliegt.
2. War ein Entschuldigungsschreiben oder eine entsprechende fernmündliche Nachricht über eine Verhinderung des Betroffenen zum Zeitpunkt der Entscheidung bei Gericht bereits eingegangen, ist die fehlende Kenntnis des Richters grds. belanglos.
2 Ss OWi 30/14
Oberlandesgericht Rostock
- Senat für Bußgeldsachen -
BESCHLUSS
In der Bußgeldsache
gegen pp.
Verteidiger: Rechtsanwalt Bert Handschuhmacher in Berlin wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Rostock durch
den Richter am Oberlandesgericht
auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Parchim vom 11.12.2013 - 5 OWi 1673/13 -
auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft am 21. Februar 2014 beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird gern. § 79 Abs. 3 OWiG i. V. m. § 349 Abs. 4 StPO mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Parchim zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Mit Urteil vom 11.12.2013 - 5 OWi 1673/13 - verwarf das Amtsgericht Parchim wegen unentschuldigten Fernbleibens des anwaltlich vertretenen Betroffenen von der Hauptverhandlung dessen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Landkreises Ludwigslust-Parchim vom 03.05.2013 - 88000114110 AH -, mit welchem gegen ihn wegen fahrlässiger Unterschreitung des erforderlichen Mindestabstands zum vorausfahrenden Fahrzeug (weniger als 3/10 des halben Tachowertes) ein Bußgeld in Höhe von 240 Euro sowie ein Fahrverbot von 1 Monat verhängt worden war.
Den vom Betroffenen mit anwaltlichem Schriftsatz vom 10.12.2013, eingegangen beim Gericht am selben Tag, gestellten Antrag nach § 73 Abs. 2 OWiG hat das Amtsgericht nicht beschieden.
Gegen die in Abwesenheit des Betroffenen verkündete Entscheidung, die seinem gemäß § 145a StPO bevollmächtigten Verteidiger am 18.12.2013 zugestellt worden ist, richtet sich die am 18.12.2013 beim Gericht eingegangene Rechtsbeschwerde vom selben Tag. Das Rechtsmittel ist mit am 10.01.2014 beim Gericht eingegangenen und vom Verteidiger unterzeichneten Schriftsatz vom selben Tag mit Anträgen und einer Begründung versehen worden.
II.
1.Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG statthaft, innerhalb der Frist der § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 341 Abs. 1 StPO angebracht und innerhalb der dafür von Gesetzes wegen bestimmten Frist ausreichend begründet worden, mithin zulässig.
2. Das Rechtsmittel hat mit der zulässig erhobenen Verfahrensrüge, mit der der Betroffene die Gesetzwidrigkeit des Unterlassens der Bescheidung seines Antrages nach § 73 Abs. 2 OWiG geltend macht und die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt, vorläufigen Erfolg.
a) Der Beschwerdeführer hat in noch ausreichender Weise die zur Begründung der Gehörsrüge erforderlichen Verfahrenstatsachen vorgetragen, so insbesondere, dass er am 10.12.2013 per Fax einen Entbindungsantrag bei Gericht angebracht hat, den das Gericht jedoch nicht beschieden, sondern stattdessen in Abwesenheit des Betroffenen den Einspruch verworfen hat. Dass der Verteidiger zu einem entsprechenden Antrag bevollmächtigt war, ergibt sich zum einen aus der Rechtsbeschwerdebegründung, zum anderen aus der Vollmacht (B1. 14 d.A.), deren Wortlaut das Rechtsbeschwerdegericht als von Amts wegen zu prüfende Voraussetzung zur Kenntnis zu nehmen hatte.
b) Das Amtsgericht hat den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid rechtsfehlerhaft gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, weil es dem Antrag des der Hauptverhandlung ferngebliebenen Betroffenen vom 10.12.2013 auf Entbindung von der Anwesenheitspflicht (B1. 42 ff. d.A.) zu Unrecht nicht entsprochen hat.
Das Amtsgericht hat den wirksam gestellten Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen zu der Hauptverhandlung am 11.12.2013 (42 ff. d.A.) weder vor der Hauptverhandlung beschieden noch sich in dem den Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verwerfenden Urteil vom selben Tage mit ihm auseinandergesetzt. Dass der Antrag ausweislich des auf ihm enthaltenen Faxstempels bereits am 10.12.2013 (gegen 15:00 Uhr) einging, jedoch ausweislich eines weiteren Stempelaufdrucks erst am Sitzungstag auf der Geschäftsstelle einging, steht der Pflicht nicht entgegen, diesen zu bescheiden. Erfahrungsgemäß gehen nicht selten erst kurz vor oder am Terminstag schriftliche oder telefonische Mitteilungen über eine Verhinderung des Betroffenen oder auch Entbindungsanträge bei Gericht ein. Die Fürsorgepflicht gebietet es deshalb, dass der Richter sich vor der Verkündung des Verwerfungsurteils bei der Geschäftsstelle informiert, ob dort eine entsprechende Nachricht vorliegt (OLG Frankfurt NJW 1974, 1151; OLG Stuttgart Justiz 1981, 288; OLG Köln VRS 102, 382 = DAR 2002, 230).
War ein Entschuldigungsschreiben oder eine entsprechende fernmündliche Nachricht über eine Verhinderung des Betroffenen zum Zeitpunkt der Entscheidung bei Gericht bereits eingegangen, ist die fehlende Kenntnis des Richters grds. belanglos (vgl. Senge in KK- OWiG, 3. Aufl., § 74 Rn 35 m.w.N.). Ein Fall arglistigen - dann ggf. zu einer anderen Sicht der Dinge führenden - Verteidigungsverhaltens, bei dem z.B. ein Entbindungsantrag ohne ersichtlichen Anlass erst ganz kurz vor der Terminsstunde in unlauterer Art und Weise angebracht wird in der (begründeten) Erwartung, dieser werde deshalb dem Tatrichter nicht rechtzeitig vorgelegt werden und zu dem hier eingetretenen Rechtsfehler führen (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 12.10.2007 - 2 Ss(OWi) 256/07 1 157/07), dürfte (noch) nicht vorliegen.
3. Nach allem gebietet bereits die ersichtlich fehlende Auseinandersetzung des Gerichts mit dem dort rechtzeitig eingegangenen Antrag die Aufhebung der Entscheidung wegen der darin liegenden offensichtlichen Verletzung rechtlichen Gehörs (vgl. Senge a.a.O. § 73 Rn. 45 m.w.N.).
Im Übrigen hätte das Amtsgericht dem Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen vor dem Hintergrund der in ihm enthaltenen Einräumung der Fahrereigenschaft, Einlassungen zu seinen beruflichen Verhältnissen bei gleichzeitiger Ankündigung, in der Hauptverhandlung keine darüber hinaus gehenden Angaben zur Sache machen zu wollen, ohne Weiteres stattgeben müssen. Von dem Betroffenen war eine weitere Sachaufklärung in der Hauptverhandlung nicht zu erwarten. Hat der Betroffene in seinem Entbindungsantrag erklären lassen, er bestätige seine Täterschaft und werde in der Hauptverhandlung keine Angaben machen, ist dem Entbindungsantrag zu entsprechen; ein Ermessen steht dem Gericht insoweit nicht zu (OLG Stuttgart, ZfS 2002, 253).