Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 12.06.2014 · IWW-Abrufnummer 141649

    Oberlandesgericht Düsseldorf: Urteil vom 28.01.2014 – IV-3 RBs 11/14

    Der Fahrer eines LKW braucht vor Fahrtantritt die Bremsscheiben nicht einer Sichtkontrolle unterziehen, sofern nicht ausnahmsweise ein besonderer Anlass dafür besteht.


    OLG Düsseldorf

    28.01.2014

    IV-3 RBs 11/14

    Tenor:
    Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
    Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.
    Gründe
    I.
    Das Amtsgericht hat den Betroffenen u. a. wegen eines "fahrlässigen Verstoßes gegen die Vorschrift über Bremsen" zu einer Geldbuße von 180 € verurteilt. Auf den Antrag des Betroffenen hat die Einzelrichterin die Rechtsbeschwerde durch Beschluss vom 28. Januar 2014 insoweit zugelassen und die Sache dem Senat gemäß § 80 a Abs. 3 OWiG zur Entscheidung übertragen.
    II.
    Das Rechtsmittel hat zumindest vorläufigen Erfolg.
    Das Amtsgericht ist zutreffend von einem in objektiver Hinsicht gegebenen Verstoß gem. §§ 41, 69 a StVZO ausgegangen. Der Betroffen hat den Sattelzug in Betrieb genommen, obwohl die Bremsscheibe des rechten Vorderrades zwei durchgehende Risse aufwies. Diese Risse führten zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit, wie das Amtsgericht aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Diplom-Ingenieur rechtsfehlerfrei festgestellt hat.
    Die Feststellungen tragen aber nicht die Annahme von Fahrlässigkeit des Betroffenen in Bezug auf den Verstoß. Der strafrechtliche Fahrlässigkeitsmaßstab fordert die nach den objektiven Umständen gebotene und den persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt (König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., Einl. Rn. 138). Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 StVO ist der Fahrzeugführer für die Vorschriftsmäßigkeit und Verkehrssicherheit des Fahrzeugs verantwortlich. Er hat sich jeweils vor Fahrtantritt im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren davon zu überzeugen (vgl. König a. a. O., § 23 StVO Rn. 15 ff m. w. N.). Da die Funktionsfähigkeit der Bremsanlage von enormer Wichtigkeit für die Verkehrssicherheit ist, bestehen insoweit strenge Anforderungen an die Prüfpflicht des Fahrers. Der Führer eines Lastkraftwagens ist grundsätzlich vor Antritt der Fahrt verpflichtet, die Bremsanlage durch Bremsproben zu überprüfen (vgl. OLG Koblenz VRS 41, 267; 51, 267; BayObLGSt 1973, 216; OLG Frankfurt a.M. VersR 1980, 196; OLG Hamm, Beschl. v. 10.9.1992, 3 Ss OWi 853/92, [...]; König a. a. O. Rn. 18). Eine derartige Bremsprobe hat der Betroffene vor der Fahrt durchgeführt. Soweit das Amtsgericht davon ausgeht, dass ein Lastzugfahrer jeweils vor Fahrtantritt die Bremsscheiben des Lastzugs durch die Löcher in den Felgen einer Sichtkontrolle auf Risse unterziehen muss, überspannt das Amtsgericht aber die Sorgfaltsanforderungen an einen Lastkraftfahrer (vgl. auch OLG Celle, Beschluss vom 3. Februar 2009 - 311 SsRs 138/08 -, [...], OLG Hamm, Beschluss vom 26. Februar 2007 - 4 Ss OWi 146/07 -, [...]). Eine Pflicht zu regelmäßigen Sichtkontrollen der Bremsscheiben ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung bislang nicht angenommen worden (OLG Celle, a. a. O., OLG Hamm a. a. O.). Auch der Senat sieht keine grundsätzliche Verpflichtung zur Kontrolle der Bremsscheiben vor Fahrantritt. Aus den Unfallverhütungsvorschriften (UVV) der "Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution" ist nicht zu entnehmen, dass die Bremsanlage einer Sichtprüfung zu unterziehen ist. In der Durchführungsanordnung zu § 36 Abs. 1 UVV wird auf den BG-Grundsatz "Prüfung von Fahrzeugen durch Fahrpersonal" (BGG 915) verwiesen. Darin sind die Prüfpunkte für die Fahrzeugkontrolle - u. a. für die Bremsanlage - festgelegt. Der Prüfungsumfang richtet sich nach der Art der Bremsanlage (hydraulisch, Druckluft, sonstige), wobei bei keiner Anlage eine optische Kontrolle vorgesehen ist. Den Betroffenen träfe nur dann ein Fahrlässigkeitsvorwurf, wenn er im konkreten Fall einen besonderen Anlass zu einer Sichtkontrolle der Bremsscheiben gehabt hätte. Ein solcher Anlass zu gesteigerter Sorgfalt kann etwa bestehen, wenn entsprechende Mängel zuvor bereits einmal festgestellt worden sind (vgl. dazu KG VRS 82, 149). Der Annahme des Amtsgerichts, der Betroffene sei auf Grund der Vielzahl der Hitzerisse, die über einen längeren Zeitraum hinweg entstanden seien, zur Prüfung der Bremsscheiben auch auf durchgehende Risse verpflichtet gewesen, folgt der Senat nicht. Denn die Hitzerisse waren nach den Angaben des Sachverständigen überwiegend unproblematisch. Bei harmlosen Mängeln, die sich erst über einen längeren Zeitraum verschlechtern, darf sich der Fahrer aber grundsätzlich darauf verlassen, dass diese bei der regelmäßigen Wartung, spätestens aber bei der Hauptuntersuchung des Fahrzeuges festgestellt und beseitigt werden. Die Pflicht zu genauerer Prüfung vor Fahrtantritt könnte hier allenfalls daraus folgen, dass die Mängel an der Bremsscheibe so auffällig waren, dass sie von dem Betroffenen bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Pflicht zur Kontrolle der Reifen auf ausreichenden Luftdruck und Profiltiefe sowie der Radmuttern auf festen Sitz hätten bemerkt werden müssen. Dies ist durch die Feststellungen des Urteils aber nicht hinreichend belegt. Dass der Zeuge POK M. und der Sachverständige die durchgehenden Risse durch die "in ausreichender Zahl vorhandenen und ausreichend großen Lüftungsöffnungen der Felgen ohne Zuhilfenahme von Werkzeugen" sehen konnten, besagt nicht, dass auch der Betroffene diese erkannt haben musste. Hiervon wäre nur auszugehen, wenn mindestens ein durchgehender Riss - völlig unabhängig von der Radstellung - durch die Felgenlöcher zwingend erkennbar gewesen ist. Dazu ist weitere Aufklärung zur Position der durchgehenden Risse auf der Bremsscheibe erforderlich. Sollte nicht auszuschließen sein, dass beide Risse durch die Bremsbacken verdeckt gewesen sein könnten, scheidet ein Fahrlässigkeitsvorwurf aus. Denn der Betroffene war nicht verpflichtet, den Sattelzug mehrfach um wenige Zentimeter zu bewegen, um so die Bremsscheiben vollständig in Augenschein nehmen zu können. Ein derartiger Aufwand überspannte die Anforderungen an einen Kraftfahrer.
    Es bestand kein Anlass, die Sache an ein anderes Amtsgericht oder eine andere Abteilung des Amtsgerichts M. zurückzuverweisen, § 79 Abs. 6 OWiG.

    RechtsgebieteStVO, StVZOVorschriftenStVO § 23 Abs.1 Satz 2; StVZO §§ 41, 69a