12.11.2015 · IWW-Abrufnummer 145761
Oberlandesgericht Koblenz: Beschluss vom 18.02.2015 – 12 U 757/14
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Koblenz
Beschl. v. 18.02.2015
Az.: 12 U 757/14
In dem Rechtsstreit
...
- Beklagte und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ...
gegen
...
- Kläger und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte ...
hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Wünsch, den Richter am Oberlandesgericht Burkowski und die Richterin am Oberlandesgericht Kagerbauer am 18.02.2015
beschlossen:
Tenor:
Die Zurücknahme der Berufung hat den Verlust des Rechtsmittels zur Folge.
Auf die Beschwerde der Beklagten wird die Kostenentscheidung im Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 6.06.2014 abgeändert:
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz.
Die Kosten des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht werden gegeneinander auf- gehoben.
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Oberlandesgericht wird auf 696,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger hat Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall begehrt. Seine Klage auf Zahlung von 12.515,15 €, auf Zahlung eines Schmerzensgeldes, jeweils nebst Zinsen sowie auf Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist am 15.10.2013 bei dem Landgericht eingegangen. Am 31.10.2013 hat der Kläger eine Zahlung der Beklagten in Höhe von 10.843,76 € erhalten. Am 11.11.2013 ist eine Klageerweiterung bei dem Landgericht eingegangen, mit der der Kläger weitere 2.596,41 € nebst Zinsen sowie ein weiteres Schmerzensgeld gefordert hat. Die Klage einschließlich der Klageerweiterung ist der Beklagten am 11.12.2013 zugestellt worden.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht hat der Kläger den Rechtsstreit hinsichtlich der Hauptforderung in Höhe von 10.843,76 € in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die Beklagte hat der Erledigungserklärung widersprochen.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 696,00 € nebst Zinsen sowie zur Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Erledigungserklärung des Klägers hat das Landgericht als Klagerücknahme angesehen. Insoweit hat es gemäß § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO die Kosten zum Teil der Beklagten auferlegt.
Gegen das Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Sie hat zunächst beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen. Im Weiteren hat die Beklagte die Berufung zurückgenommen, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Zahlung bzw. Freistellung gerichtet hat. Nach der Rücknahme der Berufung wendet sich die Beklagte noch dagegen, dass das Landgericht ihr die Kosten des von dem Kläger für erledigt erklärten Teils des Rechtsstreits (teilweise) auferlegt hat.
II.
Das Rechtsmittel der Beklagten führt zur Abänderung der Kostenentscheidung des Landgerichts. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz zu tragen.
1. Der Senat folgt dem Landgericht darin, dass die Erledigungserklärung des Klägers als Klagerücknahme auszulegen ist. Die am 15.10.2013 bei dem Landgericht eingegangene Klage war durch die am 31.10.2013 erfolgte Zahlung und damit noch vor der Zustellung an die Beklagte teilweise gegenstandslos geworden. Für diesen Fall sieht § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO die Möglichkeit vor, die Klage zurückzunehmen und in einem an § 91 a ZPO angelehnten Verfahren eine Kostenentscheidung nach billigem Ermessen zu erwirken (Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 269 Rn. 18 c). Insoweit handelt es sich um eine Sonderregelung für die Fälle der Erledigung vor Rechtshängigkeit (Zöller/Vollkommer, a. a. O. § 91 a Rn. 32, 42). Im Hinblick auf diese gesetzliche Regelung kann die "Erledigungserklärung" des Klägers nur dahin verstanden werden, dass sie die vom Gesetz für die Fälle der Erledigung vor Rechtshängigkeit vorgesehene Möglichkeit der Klagerücknahme und einer Kostenentscheidung nach dem Maßstab des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO in Anspruch nehmen will.
Die von der Beklagten herangezogene Entscheidung des Bundesgerichtshofs (NJW 2007, 1460 [BGH 13.12.2006 - XII ZB 71/04]) steht dem nicht entgegen. Sie befasst sich mit einer Klagerücknahme im Falle einer Erledigung nach Rechtshängigkeit. Für diesen Fall besteht keine gesetzliche Sonderregelung. Der Kläger kann den Rechtsstreit in der Hauptsache - auch einseitig - für erledigt erklären oder die Klage zurücknehmen. Wenn er eine dieser Möglichkeiten wählt, muss er sich daran festhalten lassen.
2. Damit hatte das Landgericht - wie auch geschehen - über die Kosten des Rechtsstreits gemäß den §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 3 ZPO zu entscheiden. Aufgrund der zunächst eingelegten Berufung war die auf diese Vorschriften gestützte Kostenentscheidung zu überprüfen. Das galt auch für die nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO getroffene Kostenentscheidung. Insofern findet zwar gemäß § 269 Abs. 5 ZPO die sofortige Beschwerde statt. Aus Gründen der Prozessökonomie ist aber als einheitliches Rechtsmittel die Berufung eröffnet, wenn sich der Rechtsmittelführer sowohl gegen den streitig entschiedenen Teil der Hauptsache als auch gegen einen an sich mit der Beschwerde anfechtbaren Teil der Kostenentscheidung wendet (BGH MDR 2013, 671 [BGH 19.03.2013 - VIII ZB 45/12]). Nachdem die Beklagte allerdings die Berufung gegen den streitig entschiedenen Teil der Hauptsache zurückgenommen hat, ist (nur noch) die Anfechtung der auf § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO gestützten Kostenentscheidung verblieben. Diese ist nunmehr nach § 269 Abs. 5 ZPO zu behandeln. Die nach dieser Bestimmung statthafte sofortige Beschwerde gegen die nach § 269 Abs. 3 ZPO getroffene Kostenentscheidung hat nach der Berufungsrücknahme selbständige Bedeutung erlangt (vgl. OLG Hamm AnwBl 1989, 614).
3. Diese Beschwerde hat Erfolg. Gemäß § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO bestimmt sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen. Insofern ist auch der Rechtsgedanke des § 93 ZPO heranzuziehen. Es ist zu prüfen, ob die Beklagte durch ihr Verhalten Veranlassung zur Klage gegeben hat (vgl. zu § 91 a ZPO: Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 91 a Rn. 25). Zum Zeitpunkt des Eingangs der Klage am 15.10.2013 hatte die Beklagte noch keine Veranlassung zur Klage gegeben. Es entspricht daher billigem Ermessen, dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.
Dem Haftpflichtversicherer, der nach einem Verkehrsunfall in Anspruch genommen wird, ist bei durchschnittlichen Verkehrsunfällen im Regelfall eine Prüfungszeit von 4 bis 6 Wochen zuzubilligen, vor deren Ablauf eine Klage nicht veranlasst ist (Zöller/Herget, a. a. O., § 93 Rn. 6 Stichwort "Haftpflichtversicherung"; Senat 12 W 195/11). Der Kläger hat zwar diese Frist abgewartet. Der Unfall hatte sich am 11.08.2013 ereignet. Der Kläger hatte die Beklagte mit Schreiben vom 19.08.2013 zur Zahlung aufgefordert. Die Klage ist am 15.10.2013 bei dem Landgericht eingegangen. Es ist aber zu berücksichtigen, dass die Beklagte in der vorgerichtlichen Korrespondenz durchgehend darauf verwiesen hat, dass sie zur abschließenden Prüfung der Haftungsfrage die Einsicht in die amtliche Ermittlungsakte benötige. Darauf hat die Beklagte in ihren Schreiben vom 21.08.2013, 16.09.2013 und 24.09.2013 verwiesen. Sie hat die Notwendigkeit der Akteneinsicht damit begründet, dass ihr Versicherungsnehmer bei dem Unfall schwerst verletzt worden sei und mit einer zeitnahen Information zum Unfallhergang nicht zu rechnen sei. Dies musste der Kläger vor einer Klageerhebung beachten. Er musste eine vertretbare Zeit zuwarten, bis die Beklagte Einsicht in die Akten nehmen konnte. Diese Zeit war am 15.10.2013 noch nicht abgelaufen. Ein Zuwarten war dem Kläger auch deshalb zuzumuten, weil die Beklagte bis Ende September 2013 immerhin einen Vorschuss von insgesamt 16.500,00 € gezahlt hatte.
4. Da die Klage, soweit sie vom Landgericht streitig zu entscheiden war, nur einen geringfügigen Erfolg hatte, sind dem Kläger gemäß § 92 Abs. 2 ZPO die gesamten Kosten des Rechtsstreits erster Instanz aufzuerlegen.
III.
Gemäß § 516 Abs. 3 ZPO ist festzustellen, dass die Rücknahme der Berufung den Verlust des Rechtsmittels zur Folge hat.
Die Kostenentscheidung betreffend das Verfahren vor dem Oberlandesgericht berücksichtigt, dass die Beklagte die durch die zurückgenommene Berufung entstandenen Kosten zu tragen hat (§ 516 Abs. 3 ZPO), bezüglich der Beschwerde gemäß § 269 Abs. 5 ZPO aber der Kläger unterlegen ist.
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Oberlandesgericht entspricht dem Wert der Hauptsache, der Gegenstand des Berufungsverfahrens war und wird durch diesen Wert begrenzt (§ 43 Abs. 3 GKG).