13.04.2016 · IWW-Abrufnummer 146751
Oberlandesgericht Brandenburg: Beschluss vom 22.02.2016 – 1 53 Ss-OWi 617/15 304/15
Räumt der Betroffene seine Fahrereigenschaft zum Tatzeitpunkt ausdrücklich ein und erklärt, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht weitergehend zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen oder zur Sache einlassen werde, ist er auf seinen Antrag von der Pflicht zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung des Bußgeldverfahrens zu entbinden.
1 53 Ss-OWi 617/15 304/15
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss
In der Bußgeldsache
gegen pp
Verteidiger: Rechtsanwalt Christian Schneider, Zimmerstraße 3, 04109 Leipzig
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts als Senat für Bußgeldsachen durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin am 22. Februar 2016 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 28. September 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Potsdam zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Zentraldienst der Polizei — Zentrale Bußgeldstelle — des Landes Brandenburg hat mit Bescheid vom 18. März 2015 gegen den Betroffenen unter Berücksichtigung von Voreintragungen im Fahreignungsregister wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um — nach Toleranzabzug — 33 km/h ein Bußgeld in Höhe von 170,00 € verhängt und ihm unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit des § 25 Abs. 2 a StVG für die Dauer von einem Monat untersagt, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Die Verwaltungsbehörde wirft dem Betroffenen vor, am 18. Februar 2015 um 10:08 Uhr auf Höhe des Kilometers 15,1 mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen: ppp., die Bundesautobahn A 115 in Fahrtrichtung Berlin mit einer den Toleranzabzug berücksichtigenden Geschwindigkeit von 133 km/h befahren zu haben, obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h beschränkt gewesen sei. Da bereits wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h. eine Geldbuße festgesetzt worden sei und die nunmehr zu ahndende Überschreitung innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft dieser Entscheidung begangen worden sei, werde das Fahrverbot verhängt.
Nach form- und fristgerecht eingelegtem Einspruch des Betroffenen hat das Bußgeldgericht mit Verfügung vom 18. Juni 2015 Hauptverhandlungstermin auf den 28. September 2015 bestimmt. Mit Anwaltsschreiben vom 02. Juli 2015 hat der Betroffene beantragt, ihn von seiner Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, dabei seine Fahrzeugführereigenschaft eingeräumt und ausgeführt, in der Hauptverhandlung keine weiteren Angaben zur Sache zu machen. Bereits im Verwaltungsverfahren hatte der Verteidiger des Betroffenen eine von diesem unterzeichnete Vollmachtsurkunde vorgelegt, ausweislich derer Bußgeldrichter den Entbindungsantrag des Betroffenen ab, weil er dessen Anwesenheit in der Hauptverhandlung für erforderlich hielt. Es handele sich um einen Fall mit der nicht unbedeutenden Rechtsfolge eines Fahrverbots, das Gericht habe die Vorwerfbarkeit der Tat und die Auswirkungen der in Rede stehenden Rechtsfolgen zu ermitteln. Es sei nicht auszuschließen, dass die Anwesenheit des Betroffenen für das Ergebnis der gerichtlichen Aufklärungsbemühungen von Bedeutung sei.
Weil weder der Betroffene noch sein Verteidiger zum Hauptverhandlungstermin erschienen waren, hat das Amtsgericht mit dem angefochtenen Urteil vom 28. September 2015 den Einspruch gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit dem er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt in ihrer Stellungnahme vom 08. Dezember 2015, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
II.
Der Senat folgt diesem Antrag. Das Rechtsmittel des Betroffenen hat mit der Verfahrensrüge - vorläufigen - Erfolg.
I. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthaft und entsprechend den §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.
2. Die Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG kann als Prozessurteil, das naturgemäß keine Ausführungen zur Sache enthält, nur mit der Verfahrensrüge beanstandet werden, sodass die erhobene Sachrüge unzulässig ist.
Die von dem Betroffenen erhobene Verfahrensrüge greift durch.
a) Die Rechtsbeschwerdebegründung enthält eine den Erfordernissen der §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 344 Abs. 2 StPO entsprechende Verfahrensrüge.
b) Die Verfahrensrüge ist auch begründet. Mit ihr trägt die Verteidigung zutreffend vor, dass die Vorgehensweise des Tatgerichts, den Betroffenen nicht von der Verpflichtung zum pers önlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, gegen § 73 Abs. 2 OWiG verstößt. Das Bußgeldgericht hatte dem Antrag vom 02. Juli 2015 zu entsprechen, weil die Voraussetzungen für eine Entbindung erfüllt waren. Der Verteidiger hatte in der Antragsschrift ausgeführt, dass der Betroffene seine Fahrereigenschaft zum Tatzeitpunkt ausdrücklich einräume, sich in der Hauptverhandlung aber nicht weitergehend zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen oder zur Sache einlassen werde. Eine wirksame Vertretungsvollmacht befand sich bereits bei den Gerichtsakten.
In der Nichtberücksichtigung der Einlassung des in der Hauptverhandlung abwesenden Betroffenen aufgrund fehlerhafter Ablehnung des Entbindungsantrags und in der Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid ohne Verhandlung zur Sache liegt eine Verletzung des Grundrechts des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs, Art 103 Abs. 1 GG. Der Betroffene hat ein Recht darauf, dass das Gericht seine Ausführungen zur Kenntnis nimmt und in seiner Abwesenheit zur Sache verhandelt und entscheidet, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen eines Abwesenheitsverfahrens vorliegen (Senatsbeschluss vom 18. Februar 2015 — 1 Ss-OWi 351 Z/15 m. w. N.).
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss
In der Bußgeldsache
gegen pp
Verteidiger: Rechtsanwalt Christian Schneider, Zimmerstraße 3, 04109 Leipzig
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts als Senat für Bußgeldsachen durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin am 22. Februar 2016 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 28. September 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Potsdam zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Zentraldienst der Polizei — Zentrale Bußgeldstelle — des Landes Brandenburg hat mit Bescheid vom 18. März 2015 gegen den Betroffenen unter Berücksichtigung von Voreintragungen im Fahreignungsregister wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um — nach Toleranzabzug — 33 km/h ein Bußgeld in Höhe von 170,00 € verhängt und ihm unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit des § 25 Abs. 2 a StVG für die Dauer von einem Monat untersagt, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Die Verwaltungsbehörde wirft dem Betroffenen vor, am 18. Februar 2015 um 10:08 Uhr auf Höhe des Kilometers 15,1 mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen: ppp., die Bundesautobahn A 115 in Fahrtrichtung Berlin mit einer den Toleranzabzug berücksichtigenden Geschwindigkeit von 133 km/h befahren zu haben, obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h beschränkt gewesen sei. Da bereits wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h. eine Geldbuße festgesetzt worden sei und die nunmehr zu ahndende Überschreitung innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft dieser Entscheidung begangen worden sei, werde das Fahrverbot verhängt.
Nach form- und fristgerecht eingelegtem Einspruch des Betroffenen hat das Bußgeldgericht mit Verfügung vom 18. Juni 2015 Hauptverhandlungstermin auf den 28. September 2015 bestimmt. Mit Anwaltsschreiben vom 02. Juli 2015 hat der Betroffene beantragt, ihn von seiner Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, dabei seine Fahrzeugführereigenschaft eingeräumt und ausgeführt, in der Hauptverhandlung keine weiteren Angaben zur Sache zu machen. Bereits im Verwaltungsverfahren hatte der Verteidiger des Betroffenen eine von diesem unterzeichnete Vollmachtsurkunde vorgelegt, ausweislich derer Bußgeldrichter den Entbindungsantrag des Betroffenen ab, weil er dessen Anwesenheit in der Hauptverhandlung für erforderlich hielt. Es handele sich um einen Fall mit der nicht unbedeutenden Rechtsfolge eines Fahrverbots, das Gericht habe die Vorwerfbarkeit der Tat und die Auswirkungen der in Rede stehenden Rechtsfolgen zu ermitteln. Es sei nicht auszuschließen, dass die Anwesenheit des Betroffenen für das Ergebnis der gerichtlichen Aufklärungsbemühungen von Bedeutung sei.
Weil weder der Betroffene noch sein Verteidiger zum Hauptverhandlungstermin erschienen waren, hat das Amtsgericht mit dem angefochtenen Urteil vom 28. September 2015 den Einspruch gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit dem er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt in ihrer Stellungnahme vom 08. Dezember 2015, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
II.
Der Senat folgt diesem Antrag. Das Rechtsmittel des Betroffenen hat mit der Verfahrensrüge - vorläufigen - Erfolg.
I. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthaft und entsprechend den §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.
2. Die Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG kann als Prozessurteil, das naturgemäß keine Ausführungen zur Sache enthält, nur mit der Verfahrensrüge beanstandet werden, sodass die erhobene Sachrüge unzulässig ist.
Die von dem Betroffenen erhobene Verfahrensrüge greift durch.
a) Die Rechtsbeschwerdebegründung enthält eine den Erfordernissen der §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 344 Abs. 2 StPO entsprechende Verfahrensrüge.
b) Die Verfahrensrüge ist auch begründet. Mit ihr trägt die Verteidigung zutreffend vor, dass die Vorgehensweise des Tatgerichts, den Betroffenen nicht von der Verpflichtung zum pers önlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, gegen § 73 Abs. 2 OWiG verstößt. Das Bußgeldgericht hatte dem Antrag vom 02. Juli 2015 zu entsprechen, weil die Voraussetzungen für eine Entbindung erfüllt waren. Der Verteidiger hatte in der Antragsschrift ausgeführt, dass der Betroffene seine Fahrereigenschaft zum Tatzeitpunkt ausdrücklich einräume, sich in der Hauptverhandlung aber nicht weitergehend zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen oder zur Sache einlassen werde. Eine wirksame Vertretungsvollmacht befand sich bereits bei den Gerichtsakten.
In der Nichtberücksichtigung der Einlassung des in der Hauptverhandlung abwesenden Betroffenen aufgrund fehlerhafter Ablehnung des Entbindungsantrags und in der Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid ohne Verhandlung zur Sache liegt eine Verletzung des Grundrechts des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs, Art 103 Abs. 1 GG. Der Betroffene hat ein Recht darauf, dass das Gericht seine Ausführungen zur Kenntnis nimmt und in seiner Abwesenheit zur Sache verhandelt und entscheidet, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen eines Abwesenheitsverfahrens vorliegen (Senatsbeschluss vom 18. Februar 2015 — 1 Ss-OWi 351 Z/15 m. w. N.).