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  • 12.04.2016 · IWW-Abrufnummer 185070

    Landgericht Stuttgart: Urteil vom 24.02.2016 – 13 S 46/15

    Wenn bei einem beiderseits nicht unabwendbaren Verkehrsunfall bei keinem der beteiligten Fahrer ein Verschulden festzustellen ist, kann der vom Halter und Fahrer personenverschiedene Eigentümer des beschädigten Fahrzeugs den Halter des anderen Fahrzeugs und dessen Haftpflichtversicherung dem Grunde nach auf Ersatz seines gesamten Schadens in Anspruch nehmen, weil es an einer gesetzlichen Zurechnungsnorm fehlt, wonach sich der Eigentümer die Betriebsgefahr des Halters zurechnen lassen müsste.


    LG Stuttgart

    24.02.2016

    13 S 46/15

    [Gründe]

    I.

    Der Kläger/Berufungskläger (im Folgenden Kläger) nimmt nach einem Verkehrsunfall die Beklagten/Berufungsbeklagten (künftig Beklagte), den Beklagten Ziff. 1 als Halter und die Beklagte Ziff. 2 als Haftpflichtversicherung, auf Zahlung weiteren Schadenersatzes in Anspruch. Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt Halter und Anwartschaftsberechtigter des an die L. sicherungsübereigneten beschädigten Fahrzeugs .... Die L. hat den Kläger ermächtigt, Schadensersatzansprüche aus dem streitgegenständlichen Unfallgeschehen gegen die Beklagten im eigenen Namen geltend zu machen. Hinsichtlich der Reparaturkosten wurde der Kläger ermächtigt, die Forderung an sich zu stellen und die Reparaturkosten zu bezahlen. Hinsichtlich der Wertminderung wurde der Kläger lediglich ermächtigt, Zahlung an die finanzierende Bank zu verlangen. Darüber hinaus verfolgt der Kläger über die bereits geleisteten Zahlungen der Beklagten hinausgehende Ansprüche auf vorgerichtliche Sachverständigenkosten, Nutzungsausfallentschädigung und eine allgemeine Unkostenpauschale.

    Das Amtsgericht hat der Klage in Höhe von ... stattgegeben.

    In seiner Begründung führte das Amtsgericht aus, dass dem Kläger ein Anspruch auf Ersatz von 50 % seines unfallbedingten Schadens zustehe. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme könne der Unfallhergang nicht aufgeklärt und ein Verschulden nicht festgestellt werden, da nicht geklärt werden könne, ob zuerst die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs ihren Abbiegevorgang oder der Beklagte Ziff. 1 seinen Überholvorgang eingeleitet habe. Daher sei von einer 50-prozentigen Haftung auszugehen. Unter Zugrundelegung eines Schadens von ... bestehe der Anspruch in Höhe von ... .

    Gegen dieses dem Kläger am 10.04.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 23.04.2015 Berufung eingelegt.

    Die Berufung wendet sich dagegen, dass das Amtsgericht bei sämtlichen Schadenspositionen von einer hälftigen Haftungsverteilung ausgegangen ist und nicht berücksichtigt hat, dass die L. als Sicherungseigentümerin nicht Halterin des klägerischen Fahrzeugs ist. Der Eigentümerin könne bei den fahrzeugbezogenen Schadenspositionen die Betriebsgefahr nicht zugerechnet werden, da eine Zurechnungsnorm nicht existiere (vgl. BGH, Urteil vom 10.7.2007, VI ZR 199/06 und OLG Karlsruhe, Urteil vom 02.12.2013, 1 U 74/13).

    Hingegen hat der Kläger die Feststellungen des Amtsgerichts, dass das Unfallgeschehen unaufklärbar sei, mit der Berufung nicht angegriffen. Zu den fahrzeugbezogenen Schadenspositionen rechnet der Kläger ....

    ...

    Die Beklagten verteidigen die angefochtene Entscheidung und führen vertiefend aus, dass das Amtsgericht ein Verschulden der Fahrerin des klägerischen Fahrzeuges fehlerhaft nicht festgestellt habe, obwohl der Sachverständige in seinem Gutachten zu dem Ergebnis kam, dass sich die Zeugin nicht rechtzeitig zur Fahrbahnmitte eingeordnet hat. Ausgehend von diesem Verschulden sei eine Haftungsverteilung, wie das Amtsgericht vorgenommen, nicht zu beanstanden und ein Verschulden des klägerischen Fahrzeugs der Sicherungseigentümerin zurechenbar, zumal die Entscheidung des BGH (Urteil vom 10.7.2007, VI ZR 199/06) lediglich die deliktische Haftung betreffe.

    In der Berufungsinstanz haben die Parteivertreter unstreitig gestellt, dass von der Beklagten Ziff. 2 an den Kläger ... bezahlt wurden.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

    II.

    Die Berufung ist zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingereicht und begründet.

    Auch in der Sache hat die Berufung überwiegend Erfolg.

    Dem Kläger steht gegen die Beklagten ein weiterer Schadensersatzanspruch in Höhe von ... gemäß §§ 7, 17 Abs. 2 StVG, 115 VVG zu. Das Amtsgericht hat nicht berücksichtigt, dass sich die Eigentümerin des klägerischen Fahrzeugs, da Sie nicht dessen Halterin ist, die Betriebsgefahr nicht zurechnen lassen muss und daher einen Anspruch auf Ersatz von 100 % ihres Schadens hat (vgl. BGH, Urteil vom 10.7.2007, VI ZR 199/06).

    1. Die von Amts wegen zu prüfende Zulässigkeit der gewillkürten Prozessstandschaft des Klägers, welcher mit der Klage auch fremde Schadenersatzansprüche der Eigentümerin des Fahrzeugs geltend macht, ist zu bejahen. Denn der Kläger wurde von der Eigentümerin des unfallbeschädigten Fahrzeugs unter Bezugnahme auf den konkreten Schadensfall zur Geltendmachung der Schadensersatzansprüche im eigenen Namen ermächtigt (Anlage K 1) und gegen die Zulässigkeit der gewillkürten Prozessstandschaft bestehen keine Bedenken, da der Kläger als Sicherungsgeber ein wirtschaftliches Interesse an der Durchsetzung der streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche hat. Eine Benachteiligung der Beklagten ist nicht ersichtlich.

    2. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Schadenersatz der Sicherungseigentümerin wegen Beschädigung des Eigentums folgt aus §§ 7 StVG, 115 VVG.

    Das Amtsgericht hat in seinem Urteil festgestellt, dass der Hergang des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls nicht aufklärbar und daher ein Verschulden der unfallbeteiligten Fahrzeugführer nicht feststellbar ist. An diese Feststellungen des Amtsgerichts, welche ausdrücklich mit der Berufung nicht angegriffen wurden, ist die Kammer gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Unter Zugrundelegung dieses Sachverhalts scheidet -mangels festgestelltem Verschulden des Unfallgegners- ein deliktischer Anspruch gemäß § 823 BGB aus, sodass lediglich Schadenersatzansprüche aus der Gefährdungshaftung gemäß § 7 StVG bestehen.

    2.1. Die Sicherungsnehmerin muss sich als Eigentümerin des Fahrzeugs, deren Ansprüche der Kläger vorliegend geltend macht, die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs, mangels anwendbarer Zurechnungsnorm, nicht zurechnen lassen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 10.07.2007, VI ZR 199/06; OLG Karlsruhe, Urteil vom 02.12.2013, 1 U 74/13).

    In § 17 Abs. 2 StVG ist ausdrücklich die Haftungsverteilung der Halter untereinander geregelt. Eine analoge Anwendung dieser Norm auf Ansprüche des Fahrzeugeigentümers, welcher nicht Halter ist, scheidet aus. Denn trotz der Änderungen in § 17 Abs. 3 StVG hat der Gesetzgeber, dem ein Auseinanderfallen von Halter- und Eigentümerstellung bewusst war, die Regelung in § 17 Abs. 2 StVG unverändert beibehalten. Eine Analogie scheidet daher sowohl mangels einer unbewussten Lücke als auch im Hinblick auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut aus (vgl. BGH, Urteil vom 10.7.2007, VI ZR 199/06). Etwas anderes kann, nach Ansicht der Kammer, auch nicht aus den Ausführungen den BGH in seinem Urteil vom 7.12.2010, VI ZR 288/09 entnommen werden. Zwar führt er aus, dass in dem Fall wenn "wegen nicht nachweisbaren Verschuldens nur Ansprüche des Leasinggebers aus Gefährdungshaftung im Sinne des § 7 StVG [bestehen, der Fahrzeugeigentümer] sich im Haftungssystem des Straßenverkehrsgesetzes das Verschulden des Fahrers des Leasingfahrzeugs bereits bei der Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs gegen den Unfallgegner nach §§ 9, 17 StVG, § 254 BGB anspruchsmindernd zurechnen lassen". Dies kann aber nur dann gelten, wenn zwar kein Verschulden des Unfallgegners jedoch ein Verschulden des Fahrers des Leasing- bzw. sicherungsübereigneten Fahrzeugs feststeht. Dies trifft jedoch für den streitgegenständlichen Verkehrsunfall gerade nicht zu.

    Ebenfalls scheiden als Zurechnungsnormen § 9 StVG sowie § 254 BGB aus.

    Nachdem § 254 BGB bereits keine Anwendung findet, da keine deliktische Haftung vorliegt, scheidet vorliegend auch eine Zurechnung gemäß § 9 StVG aus, da ein Verschulden der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs gerade nicht festgestellt wurde. Es kommt insoweit auch eine analoge Anwendung des § 9 StVG nicht in Betracht. Eine entsprechende verschuldensunabhängige Anwendung auf die mitwirkende Betriebsgefahr würde dem Haftungssystem des StVG, der die Abwägung der Betriebsgefahr ausschließlich in § 17 StVG regelt, nicht entsprechen (vgl. BGH, Urteil vom 10.7.2007, VI ZR 199/06).

    2.2. Mangels Zurechnung der Betriebsgefahr beläuft sich der vom Kläger geltend gemachte fahrzeugbezogene Schaden auf ...

    3. Der Anspruch der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten errechnet sich ....

    4. In Höhe der Hauptforderung von ... ergibt sich der Zinsanspruch aus §§ 286, 288 BGB. Hinsichtlich der erstmals mit der Klage geltend gemachten weiteren Forderung beruht der Zinsanspruch auf § 291, 288 BGB.

    III.

    Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2, 100 Abs. 4 ZPO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    IV.

    Die Revision gegen das Urteil ist gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen.

    Im Hinblick auf eine Vielzahl von Fällen in denen aufgrund von Sicherungseigentum oder eines Leasingvertrages Eigentümer und Halter eines Fahrzeugs auseinanderfallen, ist es im Hinblick auf die Entscheidung des BGH vom 10.07.2007 von grundsätzlicher Bedeutung, ob im Rahmen der Gefährdungshaftung die Betriebsgefahr dem Eigentümer zurechenbar ist, zumal die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 7.12.2010, VI ZR 288/09 so verstanden werden können.