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  • 28.04.2017 · IWW-Abrufnummer 193586

    Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 10.03.2017 – III-2 RBs 202/16

    Überzeugt sich der Tatrichter beim standardisierten Messverfahren von der Richtigkeit der Messung, verstößt die Ablehnung eines Beweisantrags auf Herausgabe der unverschlüsselten Rohmessdaten weder gegen das Fair-trial-Prinzip noch gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör


    OBERLANDESGERICHT HAMM

    BESCHLUSS

    III — 2 RBs 202/16

    Bußgeldsache
    gegen pp.
    wegen    Verkehrsordnungswidrigkeit.

    Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 02.08.2016 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 10.03.2017 durch
    den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gem. § 80 a Abs. 1 OWiG
    auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung des Betroffenen bzw. dessen Verteidigers beschlossen:

    Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Beschwerderechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO).

    Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Betroffene (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO).

    Gründe:

    I.

    Das Amtsgericht Lüdenscheid hat den Betroffenen durch Urteil vom 02.08.2016 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 41 km/h zu einer Geldbuße von 160,— € verurteilt und — unter Gewährung von Vollstreckungsaufschub gern. § 25 Abs. 2a StVG — ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

    Gegen dieses Urteil hat der Betroffene form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde ein-gelegt und diese form- und fristgerecht mit der näher ausgeführten Rüge der Verletzung des formellen und der in allgemeiner Form erhobenen Rüge der Verletzung des materiellen Rechts begründet. Der Betroffene macht insbesondere die fehlerhafte Ablehnung von Beweisanträgen hinsichtlich der seiner Meinung nach nicht ausreichenden Schulung des Messbeamten sowie der Nichtzurverfügungstellung von Rohmessdaten geltend, wodurch das Amtsgericht seinen Anspruch auf ein faires Verfahren sowie seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe.

    Der Betroffene meint insbesondere, er habe einen Anspruch darauf, dass ihm die digitale Messdatei nebst der darin enthaltenen Informationen (Rohmessdaten und Signalverläufe) zugänglich gemacht werden müsse, weil es ihm nur so möglich sei, ggbfs. unter Zuhilfenahme eines privaten Sachverständigen, das Messergebnis zu überprüfen, Handhabungs- und Bedienungs- oder Messfehler aufzudecken und diese in Form eines konkreten Beweisantrags gegenüber dem Gericht vorzutragen und hierdurch die Amtsaufklärungspflicht des Amtsgerichts auszulösen.

    Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 17.10.2016 beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, und hat mit weiterer Zuschrift vom 14.11.2017 an diesem Antrag auch im Hinblick auf die Replik des Betroffenen vom 10.11.2016 festgehalten.

    II.

    Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. §§ 341 Abs. 1, 344 Abs. 1 und 2 StPO form- und fristgerecht eingelegte und begründete und damit zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

    1. Die gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO in zulässiger Weise erhobene Rüge der fehlerhaften Ablehnung der Beweisanträge hinsichtlich der nicht ausreichenden Schulung des Messbeamten ist unbegründet.

    Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 17.10.2016 insoweit ausgeführt:

    „Das Gericht hat die Beweisanträge des Betroffenen auf Einholung eines Sachverständigengutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Messtechnik, die Beiziehung und Verlesung der Bedienungsanleitung und die Vernehmung eines Schulungsbeauftragten der Fa. Vitronic unter Anwendung von § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zu Recht abgelehnt. Danach kann das Gericht einen Beweisantrag ablehnen, wenn es den Sachverhalt nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme für geklärt hält und nach seinem pflichtgemäßen Ermessen die Beweiserhebung für geklärt hält und nach seinem pflichtgemäßen Ermessen die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Damit ist der Tatrichter unter Befreiung von dem Verbot der Beweisantizipation befugt, Beweisanträge zurückzuweisen, solange er seine Aufklärungspflicht dadurch nicht verletzt (Göhler OWiG, 16. Aufl., § 77, Rdnr. 11). Diese Voraussetzungen lagen vor, insbesondere nach der zeugenschaftlichen Vernehmung des Messbeamten und der Bekanntgabe des wesentlichen Inhalts des auf ihn ausgestellten Schulungsnachweises, war das Gericht von der ausreichenden Schulung des Messbeamten überzeugt. Der Umstand, dass der Schulungsnachweis des Messbeamten vom 13.10.2010 datiert, die Schulung zurzeit der hier in Rede stehenden Messung also bereits gut fünf Jahre zurücklag, musste das Tatgericht nicht zu Zweifeln an der Befähigung des Messbeamten oder an der Richtigkeit der Messung veranlassen. Denn es fehlt jeglicher konkrete Hinweis, dass die erteilte Bescheinigung auf eine bestimmte Softwareversion des Messgerätes beschränkt war oder dass die zwischenzeitliche Einführung neuer Softwareversionen grundlegende Änderungen in Bezug auf die praktische Handhabung des Messgeräts mit sich gebracht hätte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.07.2014 — IV-1 RBS 50/14, zitiert nach juris)."

    Diesen zutreffenden Ausführungen, die auch nicht durch die Einwendungen des Betroffenen in der Zuschrift seines Verteidigers vom 10.11.2016 in Frage gestellt werden, schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an.
     
    2. Die gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO in zulässiger Weise erhobene Rüge der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags, der Bußgeldbehörde aufzugeben, die unverschlüsselten Rohmessdaten der Messung nebst Schlüssel und Token herauszugeben und der Verteidigung in diese Daten Einsicht zu gewähren, ist ebenfalls unbegründet.

    Es stellt keinen Ermessensfehler dar, dass das Amtsgericht den Sachverhalt nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme für hinreichend geklärt erachtet und die beantragte Beweiserhebung als zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich bezeichnet hat (§ 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG).

    Nach ständiger Rechtsprechung aller Senate des OLG Hamm (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 18.01.2011 -III-2 RBs 9/11 und vom 31.01.2011 - III-2 RBs 2/11; Beschlüsse vom 11.08.2014 - III-1 RBs 84/14, vom 06.03.2014 -III-3 RBs 30/14 - und vom 04.04.2011 - III-5 RBs 55/11 -; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.07.2015 — IV-1 RBs 200/14, juris) stellt die Geschwindigkeitsmessung mit dem Gerät PoliScan Speed des Herstellers Vitronic ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der hierzu einschlägigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs dar (BGHSt 39, 291 ff. und 43, 277 ff.). Dies gilt auch für die Gerätesoftware 3.2.4, die - anders als die Vorgängerversionen - in Kombination mit der seit 24. Juli 2013 zugelassenen Auswertesoftware 3.45.1 erstmals einen erweiterten Datenexport zwecks nachträglicher Einsichtnahme in Positionsdaten ermöglicht. Dass hierbei nach wie vor nicht sämtliche Rohmessdaten, sondern nur die Zeit sowie Koordinaten für fünf markante Punkte offengelegt werden, stellt die Anerkennung des Systems als standardisiertes Verfahren nicht in Frage. Die Sicherstellung der Messrichtigkeit und Messzuordnung wurde und wird über die nach umfangreichen Felduntersuchungen erfolgte Zulassung der PTB gewährleistet (OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. Dezember 2014 - 2 Ss OWi 1041/14 -, juris).

    Mit der Zulassung erklärt die PTB im Wege eines Behördengutachtens (antizipiertes Sachverständigengutachten), dass das zugelassene Gerät ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren bietet, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse erwarten lassen. Anlass zur Überprüfung der im Einzelfall erfolgten Geschwindigkeitsermittlung durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen besteht daher nur dann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Messtechnik als solche strukturell angelegte, bei der Zulassung nicht oder nicht ausreichend berücksichtigte Fehler aufweist, oder wenn die Prüfung des konkreten Messvorgangs ergeben hat, dass Anwendungsfehler (so zum Beispiel die Nutzung eines nicht gültig geeichten Gerätes oder ein Verstoß gegen die Zulassungsbedingungen der PTB) möglicherweise ergebnisrelevanter Art vorlagen (vgl. zu alledem OLG Frankfurt, a.a.O, juris).
     
    Nach den aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts wurde das Messgerät nach den Vorgaben der Gebrauchsanweisung durch den mit der konkreten Messung betrauten und geschulten polizeilichen Messbeamten bedient und es ergaben sich keine Anhaltspunkte für eine Fehlfunktion.

    Aufgrund dessen ist das Amtsgericht zu Recht, nachdem auch der erforderliche Toleranzabzug vorgenommen wurde, von der Richtigkeit des Messergebnisses ausgegangen.

    Vor diesem Hintergrund musste sich das Amtsgericht nicht veranlasst sehen, das Messergebnis in Zweifel zu ziehen und durfte daher den Beweisantrag gern. § 77 Abs. 2 Nr, 1 OWiG zurückweisen, da Anhaltspunkte für eine Fehlmessung oder Fehlfunktion des Gerätes fehlten und der Betroffene solche auch nicht aufgezeigt hatte.

    Durch die Ablehnung des Antrags des Betroffenen, ihm die unverschlüsselte Messdatei zur Verfügung zu stellen, damit er diese durch einen von ihm beauftragten Sachverständigen auf etwaige Messfehler untersuchen lassen könne, um diese dann in Form eines (weiteren) konkreten Beweisantrags gegenüber dem Gericht anzubringen, wurde, nachdem das Amtsgericht sich von der Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung durch die Beweisaufnahme überzeugt hatte, entgegen der Auffassung des Betroffenen auch nicht der Grundsatz des fairen Verfahrens oder sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

    Der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitende und in Art. 6 Abs. 1 MRK positiv-rechtlich normierte Grundsatz des fairen Verfahrens bedarf wegen der begrifflichen Unbestimmtheit der Konkretisierung durch die Fachgerichte im Einzelfall. In Straf- und Bußgeldverfahren ist dieser Grundsatz insbesondere dann tangiert, wenn dem Betroffenen die Möglichkeit zu effizienter Verteidigung nicht gewährt oder gar genommen wird. Eine effiziente Verteidigung beinhaltet ein Teilhaberecht des Betroffenen an der Sachaufklärung. Die Verfahrensregeln gewährleisten dies unter anderem durch die ihm eingeräumten Rechte, mit sachdienlichen Anträgen an der Ermittlung des tatsächlichen Geschehens mitzuwirken, um ihm so die Chance zu geben, ein für ihn günstiges Ergebnis zu erzielen.

    Das fair-trial-Prinzip verfolgt indes keinen Selbstzweck. Ein Angeklagter bzw. Betroffener kann hieraus nicht ableiten, dass die Gerichte jedwedem Begehren der Verteidigung, mag es auch aus seiner Sicht sinnvoll erscheinen, nachzukommen haben. Die Anforderungen an die tatrichterliche Untersuchung sind nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei standardisierten Messverfahren geringer, als dies sonst der Fall ist. Das Gericht muss in solchen Fällen nur dann Anhaltspunkten nachgehen, wenn sie sich aus den äußeren Umständen ergeben. Die Prüfung, ob derartige Anhaltspunkte gegeben sind, kann logischerweise nicht darauf hinauslaufen, dass die Messdatei mithilfe eines Sachverständigen überprüft werden müsste. Denn wollte man dies fordern, so wäre das standardisierte Messverfahren letztlich ad absurdum geführt. Durch dieses Instrument soll der Tatrichter gerade davon entbunden werden, in jedem Einzelfall die Messdatei auf etwaige Fehlerquellen durch einen Sachverständigen überprüfen zu lassen (vgl. eingehend hierzu OLG Bamberg, Beschluss vom 04. April 2016 — 3 Ss OWi 1444/15 —, juris).

    Ein Verstoß gegen das faire Verfahren aufgrund der Ablehnung des in Rede stehenden Beweisantrags kann daher nicht festgestellt werden.

    Ebenso liegt in der Ablehnung des Beweisantrags auch keine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

    Der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist schon deshalb nicht beeinträchtigt worden, weil das Amtsgericht gemäß § 261 StPO aus-schließlich auf der Grundlage des in der Hauptverhandlung ausgebreiteten und abgehandelten Tatsachenstoffs entschieden und der Betroffene und seine Verteidigung insoweit hinreichende Gelegenheit hatten, sich zu diesem Tatsachenstoff umfassend zu äußern (st.Rspr., vgl. nur BVerfGE 18, 399, 405 f.; 34, 1, 7 und 36, 92, 97; ferner u.a. BGHSt 30, 131, 141). Die digitale Messdatei war aber gerade nicht Gegenstand der Urteilsfindung des Amtsgerichts. Im Übrigen vermittelt Art. 103 Abs. 1 GG keinen - jedenfalls keinen über das Recht auf ein faires Verfahren hinausgehenden - Anspruch auf Erweiterung der Gerichtsakten (BVerfGE 63, 45, 60 f.; Cierniak/Niehaus DAR 2014, 2, 4 m.w.N.).

    3. Weil das Amtsgericht sich nach dem oben Ausgeführten nicht veranlasst sehen musste, weitere Ermittlungen zur Erlangung der Rohmessdaten anzustellen, hat es auch in rechtlich nicht zu beanstandender Weise den Antrag der Verteidigung auf Aussetzung der Verhandlung gern. § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 145 Abs. 3 StPO zurückgewiesen.

    4. Die Überprüfung des Urteils auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben.