02.08.2017 · IWW-Abrufnummer 195623
Oberlandesgericht Frankfurt/Main: Beschluss vom 27.04.2017 – 2 Ss OWi 295/17
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OLG Frankfurt
Beschluss vom 27.04.2017
2 Ss OWi 295/17
In pp.
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Alsfeld vom 2. Dezember 2016 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an die gleiche Abteilung des Amtsgerichts Alsfeld zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Mit Bußgeldbescheid vom 18.11.2015 hat das Regierungspräsidium O1 gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 38 km/h eine Geldbuße in Höhe von 190 EUR sowie ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.
Auf seinen Einspruch hin hat das Amtsgericht Alsfeld den Betroffenen unter Annahme eines Beweisverwertungsverbotes freigesprochen.
Nach den getroffenen Feststellungen fuhr der Betroffene am 31.07.2015 in seinem PKW die B... innerorts von O2 Richtung O3. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit ist auf diesem Straßenabschnitt auf 50 km/h beschränkt. An dieser Stelle wurde mittels eines geeichten stationären Geschwindigkeitsmessgerätes Typ X bei dem Betroffenen eine Geschwindigkeit abzüglich einer Toleranz von 3 km/h von 88 km/h gemessen.
Der Betroffene hat seine Fahrereigenschaft eingeräumt. Das Amtsgericht sah sich an einer Verurteilung jedoch gehindert, weil der Bürgermeister der Stadt O2 in seiner Funktion als Ortspolizeibehörde die Verkehrsmessung gegen geltendes Recht unter bewusster und gewollter Umgehung von § 26 Abs. 1 StVG i.V.m. Nr. 2.2 des Erlasses des HMdI v. 06.01.2006 (HessStAnz 2006, S. 286 ff) und des Erlasses vom 05.02.2015 (HessStAnz 2015, S 182 ff) von einem privaten Dienstleister (der Fa. A GmbH) hat durchführen lassen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft O3, der die Generalstaatsanwaltschaft O4 beigetreten ist.
Der Einzelrichter hat mit Beschluss vom 25.04.2017 die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
II.
Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat i.E. Erfolg.
Sie führt zur Aufhebung des Urteils, weil das Amtsgericht zwar zu Recht von einem Beweiserhebungsverbot ausgegangen ist, aber die getroffenen Feststellungen weder ausreichen, ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen, noch dem Senat eine eigene Entscheidung ermöglichen.
Nach den zusammengefassten Feststellungen des Amtsgerichts gehört das betreffende Geschwindigkeitsmessgerät Typ X nicht der Stadt O2, sondern es wird der Stadt durch die juristische Privatperson A GmbH “zur Verfügung gestellt”. Das Messgerät verfügt über einen Eichschein vom 03.12.2014. Antragsteller der Eichung war die Fa. A GmbH. Die Messung wird durch den Zeugen B durchgeführt, der für das Messgerät entsprechend geschult ist. Der Zeuge B ist allerdings kein Bediensteter der Stadt O2, sondern ist mit “gesondertem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag” seit dem 01.08.2013 durch die Fa. A GmbH der Stadt O2 überlassen worden und für 20 Stunden pro Monat für die Stadt O2 tätig. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ergäbe sich bei “einem angenommenen Mindeststundenlohn von 8,50 EUR dabei ein Monatseinkommen von 170 EUR”. Seine Tätigkeit beschränkt sich auf das wöchentliche Abfahren der Messsäulen, Einsammeln der Daten und das “Einspeisen der Daten in das System”. Die Bildaufbereitung erfolgt anschließend durch die Fa. A GmbH, die die von ihr vorselektierten Daten zur endgültigen Auswertung und Entscheidung über die Verfahrenseinleitung an die Stadt O2 übergibt. Die abschließende Entscheidung erfolgt dann durch (festangestellte) kommunale Bedienstete.
Die Fa. A GmbH erhält für ihre Tätigkeit und dafür, dass sie der Stadt O2 das Messgerät, sowie den Zeugen B “überlässt”, eine erfolgsabhängige Vergütung. Je mehr Bußgeldverfahren aus dem “zur Verfügung gestellten Messgerät” eingeleitet werden, desto höher ist der Ertrag für die Fa. A GmbH.
Wie das Amtsgericht rechtsfehlerfrei unter sorgfältiger Darlegung im Einzelnen zusammenfassend festgestellt hat, hat der Bürgermeister der Stadt O2 als zuständige Ortspolizeibehörde unter bewusster und gewollter Umgehung zwingender gesetzlicher Vorschriften Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet, bei denen die Beweismittel nicht durch den Hoheitsträger, sondern durch einen sog. privaten Dienstleister, - die Fa. A GmbH -, erhoben worden sind.
Die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach § 47 Abs. 1 OWiG gehört als typische Hoheitsaufgabe zum Kernbereich staatlicher Hoheitsausübung, für die im Fall von Verkehrsordnungswidrigkeiten gemäß § 26 Abs. 1 StVG Behörden oder Polizeidienststellen zuständig sind.
Rechtsgrundlage für Maßnahmen der Verkehrsüberwachung durch allgemeine Ordnungsbehörden ist die Verordnung über die Zuständigkeit zur Verfolgung und Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten vom 07.04.1992 (GVBl. I S. 134) in Verbindung mit § 5a der Verordnung über die Zuweisung von Aufgaben der Gefahrenabwehr an die allgemeinen Ordnungsbehörden vom 18.07.1972 (GVBl. I S. 255), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18.07.2005 (GVBl. I S. 546), die auch die Verwendung technischer Mittel zur Verkehrsüberwachung regelt (vgl. auch Verwaltungsvorschrift “Verkehrsüberwachung durch örtliche Ordnungsbehörden und Polizeibehörde” vom 06.01.2006 des HMdI, StAnz 2006, S. 286). Eine eigenverantwortliche Wahrnehmung dieser Aufgaben durch Privatpersonen ist danach ausgeschlossen. Das schließt allerdings grds. nicht aus, dass die Verwaltungsbehörde sich technischer Hilfe durch Privatpersonen bedient, solange sie Herrin des Verfahrens bleibt (st. Rspr. der OLGs; vgl. nur für alle: OLG Frankfurt v. 03.03.2016 - 2 Ss-OWi 1059/15; OLG Stuttgart v. 25.08.2016 - 4 Ss 577/16; OLG Hamm v. 18.04.2016 - III-2 RBs 40/16). Die technische Hilfe von Privatpersonen bei Ermittlungshandlungen muss einen sachlichen Grund haben, darf nicht missbräuchlich sein und vor allem nicht in Bereiche eingreifen, die ausschließlich dem Hoheitsträger vorbehalten sind.
Für den Einsatz sog. privater Dienstleister bei der Verkehrsüberwachung heißt es im Erlass des HMdI gegenüber den Kommunen vom 28.07.2015:
“Jeder Anschein mangelnder Objektivität und Unabhängigkeit ist zu vermeiden. Bei einem Leiharbeitnehmer, der bei einer örtlichen Ordnungsbehörde im Bereich der Verkehrsüberwachung tätig ist, können sachfremde Erwägungen zumindest dann nicht ausgeschlossen werden, wenn dieser zeitgleich Beschäftigter oder Inhaber eines Unternehmens ist, welches Dienstleistungen auf dem Sektor der Verkehrsüberwachung erbringt. (Deshalb) nehme ich zum Anlass, darum zu bitten, nur solche Arbeitnehmer für hoheitliche Aufgaben im Rahmen der Verkehrsüberwachung einzusetzen, die nicht zugleich auch Beschäftigte oder Inhaber eines solchen privaten Dienstleistungsunternehmens sind.”
Der Bürgermeister der Stadt O2 ist als hauptamtlicher Beamter auf Zeit in seiner vorliegenden Funktion als zuständige örtliche Ordnungsbehörde Teil der Landspolizeibehörde. Er hat das maßgebliche Recht zu kennen und kannte es nach den Feststellungen auch. Gleichwohl hat er unter bewusster und gewollter Umgehung der ihm bekannten gesetzlichen Vorschriften vorliegend insbesondere das Auslesen der Daten und das Sicherstellen der Daten nicht - wie gesetzlich verlangt - durch den Hoheitsträger durchführen lassen, sondern durch einen privaten Dienstleister.
Das alleine würde bereits einen Verstoß gegen die Beweiserhebung begründen. Vorliegend greifen die Verstöße durch die Ortspolizeibehörde allerdings noch viel tiefer in die rechtlichen Strukturen einer rechtsstaatlichen Verkehrsüberwachung ein.
Das gesamte Geschäftsmodell der Fa. A GmbH mit der Stadt O2 ist bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der festgestellten Tatsachen ein sog. “Rundum-Sorglospaket”, bei der die Stadt O2 über die bloße Nutzung des Messgeräts hinaus nahezu vollständig die ihr gesetzlich auferlegten Pflichten auf den privaten Dienstleister übertragen hat. Damit das ganze Geschäftsmodell den Schein der Rechtstaatlichkeit erhält, ist seit dem 01.08.2013 die Fiktion einer Arbeitnehmerüberlassung konstruiert worden. Selbst der Erlass vom 28.07.2015, in dem nochmals ausdrücklich die gewählte Vorgehensweise untersagt worden ist, hat zu keiner Änderung der bestehenden Praxis geführt. Unberücksichtigt, dass die Übertragung hoheitlicher Aufgaben auf private Personen schon per se bedenklich ist und auch als “Arbeitnehmerüberlassung” nur unter besonderen Bedingungen und auch grds. nur nach den Maßgaben des AÜG in Betracht kommt (vgl. zum Ganzen schon Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 05.03.1997 - 1 ObOWi 785/96 -, juris m.w.N.), kann schon bei einer Tätigkeit von 20 Stunden im Monat im Gegenwert von ca. 170 Euro von einer notwendigen Einbindung des Zeugen B in die Strukturen der Stadt O2 unter Aufgabe der Abhängigkeiten und des Weisungsrechts der Fa. A GmbH nicht ansatzweise ausgegangen werden. Darüber hinaus ist der Zeuge B auch noch Mitarbeiter des privaten Dienstleisters, der sich erfolgsabhängig aus den Erträgen der Messanlage bezahlen lässt, die er selbst zur Verfügung stellt und aus der er selbst die Beweismittel gewinnt, umwandelt und (vor)auswertet.
Bei der vorliegend zwischen der Stadt O2 und der Fa. A GmbH vereinbarten Vorgehensweise ist das primäre Beweismittel, nämlich die digitalisierte Falldatei, aus der erst durch die Umwandlung das Messbild und die Messdaten, die den Vorwurf begründen, gewonnen wird, zu keinem Zeitpunkt unter Kontrolle des Hoheitsträgers. Die Stadt O2 und in der Folge die zentrale Bußgeldstelle in O1 kann, obwohl das ihre rechtliche Pflicht ist, nicht mehr (ohne weiteres) garantieren, woher die Falldatei stammt, und dass das ausgewertete Messbild und die Messdaten tatsächlich aus der dazugehörenden Falldatei gewonnen wurden. Es entsteht ein Bruch der Beweismittelkette, die auch für das Gericht im gerichtlichen Verfahren nicht mehr (ohne weiteres) erkennbar ist, zumal die Stadt O2, durch die Veranlassung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens auch (konkludent) Gegenteiliges behauptet.
Dieser Bruch wird in der Folge vorliegend auch noch dadurch vertieft, dass nach dem “Einsammeln der Daten” und “Einspeisen der Daten in das System”, bei dem es sich wohl um das “Auswertprogramm” des privaten Dienstleisters handelt, die “Bildaufbereitung” anschließend durch die Fa. A GmbH. erfolgt. Durch diese Vorgehensweise wird das primäre Beweismittel für den Verkehrsverstoß ohne eigene Kontrollmöglichkeit dem privaten Dienstleister zur weiteren Bearbeitung überlassen. Dass die Fa. A GmbH anschließend die eingesammelten, umgewandelten und ausgewerteten Messdaten der Stadt O2 überlässt, damit diese nun “selbstständig” darüber entscheidet, gegen wen sie ein Bußgeldverfahren einleiten will, ist nur geeignet, eine für die Betroffenen und die Gerichte täuschende Fassade für die vorhergehende Umgehung zu bilden.
Bei der gebotenen kritischen Betrachtung stellt sich nämlich schon die Frage, warum die Stadt O2 dieselbe Tätigkeit nochmals durchführen sollte, die schon der private Dienstleister (für sie) gemacht hat und für die er auch bezahlt wird. Aber selbst wenn die Stadt O2 tatsächlich, was eher lebensfremd ist, die ihr erst vom privaten Dienstleister übergebene Falldatei vor der Entscheidung über die Einleitung eines Bußgeldverfahrens nochmals umwandeln, auswerten und mit den Auswertungen des privaten Dienstleisters vergleichen würde, ist dadurch keine tragfähige Prüfung möglich. Selbst wenn die Stadt O2 täte, was sie behauptet, überprüft sie lediglich, ob die ihr von der Fa. A GmbH vorgelegten Daten mit den von der Fa. A GmbH ausgewerteten Messbildern übereinstimmen. Das ist gleichermaßen inhaltlich sinnlos wie rechtlich irrelevant.
Eine inhaltlich sinnvolle und rechtliche relevante Überprüfung läge nur vor, wenn die Stadt die Original-Falldateien aus dem Messgerät selbst gewonnen hätte und jetzt mit den Auswertungen des privaten Dienstleisters vergleichen könnte und würde. In diesem Fall bedürfte es dann aber der Handlungen des privaten Dienstleisters nicht mehr, weil die Stadt die Umwandlung und Auswertung der Original-Falldaten selbst vornimmt.
Warum sie ihm dann aber die Daten überlassen und dafür bezahlen sollte, etwas zu tun, was sie selber macht, wäre begründungsbedürftig.
Da vorliegend die Stadt O2 die Original-Falldateien gar nicht selbst gewonnen und im Besitz hat, ist ihr die Überprüfung, wie das Amtsgericht ausgeführt hat, ohnehin (so ohne weiteres) nicht möglich.
Nach allem sind die durch die Messung gewonnenen Beweismittel rechtsfehlerhaft, weil nicht auf rechtsstaatliche Weise erzielt und bewertet worden.
III.
Die Feststellungen tragen allerdings die Annahme eines daraus folgenden Verwertungsverbotes nicht.
Ein allgemeiner Grundsatz, wonach ein Beweiserhebungsverbot ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht, besteht nicht (vgl. BGHSt 19, 325/331; 24, 125/128; 25, 325/331; 31, 304/307; 37, 30/32; 38, 214/219; BayObLGSt 1965, 128; OLG Köln VRS 60, 201). Soweit das Gesetz nicht selbst ein Verwertungsverbot vorsieht (wie z.B. in § 136a Abs. 3 Satz 2, § 252 StPO, § 393 Abs. 2 AO, § 51 BZRG), kann die Frage, ob eine rechtswidrige, in Grundrechte des Betroffenen eingreifende Ermittlungsmaßnahme als Ausnahme von dem Grundsatz umfassender Beweisaufnahme ein Verbot zur Verwertung des durch sie gewonnenen Beweisergebnisses zur Folge hat, nicht allgemein, sondern nur anhand des Einzelfalles entschieden werden (BGH NJW 1978, 1390 ; OLG Köln aaO). Bei einem Verfahrensverstoß ist dabei das Individualinteresse des Bürgers am Schutz seiner Rechtsgüter gegen das Interesse des Staates an der Tataufklärung zum Schutz der Allgemeinheit abzuwägen, um beurteilen zu können, ob eine solche Ausnahme gerechtfertigt ist. Dabei sind das Gewicht des Verfahrensverstoßes und seine Bedeutung für die rechtlich geschützte Sphäre des Betroffenen einerseits und andererseits die Erwägung, dass der Staat eine funktionstüchtige Rechtspflege zu gewährleisten hat, zu beachten (BGH NStZ 1988, 142 mit Anm. Dörig; BGH NStZ 1989, 375 mit Anm. Roxin 378 f.; BayObLGSt 1997, 46 Rn. 16).
Diese Grundsätze gelten auch im Bußgeldverfahren, auch wenn diesem nur sog. Verwaltungsunrecht zu Grunde liegt.
Die dafür notwendige Abwägung hat das Amtsgericht zwar vorgenommen, dabei sind allerdings die Besonderheiten des Bußgeldverfahrens und dabei insb. die im OWiG zur StPO abweichenden Möglichkeiten und die ggf. durch die technischen Besonderheiten bestehende Möglichkeit nachträglicher rechtstaatlicher Beweismittelrekonstruktion nicht mit einbezogen worden.
Die vorliegende Messung ist mit einem stationären Geschwindigkeitsmessgerät Typ X durchgeführt worden. Die dabei erzeugten digitalen Falldateien ermöglichen grds. die Rekonstruktion der Messung. Jede Form der Manipulation an signierten Falldateien ist nachweisbar. Die Authentizität der Daten kann rekonstruiert werden, die Auswertung ist bei Zweifeln wiederholbar, so dass grds. die rechtsstaatliche Beweisführung des dem Betroffenen zur Last gelegten Geschwindigkeitsverstoßes nachholbar ist.
Das Verfahren ist daher zur Neuverhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Bei der Neuprüfung werden die nachfolgenden Erwägungen des Senats mit zu berücksichtigen sein.
IV.
Das vorliegende Verfahren gibt im Zusammenhang mit den Entscheidungen des Senats (OLG Frankfurt v. 03.03.2016 2 Ss-OWi 1059/15; B. v. 11.08.2016 - 2 Ss-OWi 562/16; B. v. 28.04.2016 - 2 Ss-OWi 190/16; B. v. 03.09.2014, 2 Ss-OWi 655/14 m.w.N.; jeweils nach juris) und dem Schadensersatzprozess, der dem Urteil des OLG Frankfurt vom 07.04.2017 (2 U 122/16) zu Grunde liegt Anlass, folgende Besorgnis zum Ausdruck zu bringen:
Die staatliche Verkehrsüberwachung umfasst präventive und repressive polizeiliche Aktivitäten im Verkehrsraum zur Erhöhung der Verkehrssicherheit. Sie ist eine hoheitliche Aufgabe der Gefahrenabwehr und wird durch die Polizeibehörden und allgemeine Ordnungsbehörden wahrgenommen. Sie ist vorrangig darauf ausgerichtet, Verkehrsunfälle, insbesondere mit schweren Folgen, zu verhüten und sonstigen Verkehrsgefahren entgegen zu wirken. Darüber hinaus dient sie auch dem Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsbeeinträchtigungen insbesondere durch Lärm und Abgase sowie der Leichtigkeit des Verkehrs (vgl. HessStaZ. 2015, S. 182 . “Verkehrsüberwachung durch örtliche Ordnungsbehörden und Polizeibehörden 1. Ziele der Verkehrsüberwachung:”).
Keine derzeit bekannte gesetzliche Vorschrift verknüpft die Verkehrsüberwachung mit der Möglichkeit der fiskalischen Sanierung von kommunalen Haushalten und/oder mit der Erstellung privatwirtschaftlicher Geschäftsmodelle, bei denen die staatlichen Bußgelder als Bezahlung für private Dienstleistungen dienen.
Die gesetzlichen Grundlagen für die Verkehrsüberwachung und die Zuweisung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sind diesbezüglich eindeutig und lassen bei objektiver Betrachtung auch keine Spielräume zu. Gleichwohl geben die von den Gerichten in den oben genannten Verfahren ermittelten Sachverhalte Anlass zur Besorgnis, dass im Bereich kommunaler Verkehrsüberwachung diese eindeutigen gesetzlichen Grundlagen, ministerialen Erlasse und gerichtliche Entscheidungen nicht nur nicht mit der notwendigen Sorgfalt beachtet, sondern - wie im vorliegenden Fall - bewusst und gewollt umgangen werden. Die dabei zu Tage getretenen Konstruktionen lassen ebenfalls befürchten, dass es sich nicht um Einzelfälle, sondern um strukturelle Verwerfungen handelt, die nicht mehr wie bisher durch das Eingreifen gerichtlicher Entscheidungen korrigiert werden können, sondern der nachhaltigen Korrektur durch den Einsatz der innenministerialen polizeilichen Dienst- und Fachaufsicht bedürfen (vgl. auch Sachverhalt OLG Frankfurt, Urteil v. 07.04.2017 - 2 U 122/16 Rn. 29: Unter dem “gemeinsam gewünschten Ziel” des Verkehrssicherungsprojekts ist jedenfalls auch das Erzielen finanzieller Erträge zu verstehen, die aus dokumentierten Fällen von Geschwindigkeitsübertretungen resultieren).
Im Einzelnen sind folgende Problemfelder ersichtlich:
1. Motivlage der Verkehrsüberwachung.
Verkehrsüberwachung dient der Verkehrssicherheit. Jegliche Verknüpfung der Verkehrsüberwachung mit anderen nicht gesetzgeberisch legitimierten Gründen ist unzulässig. Eine solche “Verkehrsüberwachung” wäre keine bußgeldbewehrte hoheitliche Maßnahme gemäß § 26 Abs. 1 StVG i.v.m. § 47 Abs. 1 OWiG mehr.
Fallen die Entscheidung über die Aufstellung einer stationären Messanlage und die Erträge oder Teile der Erträge in eine Hand, wie es derzeit bei kommunalen Messanlagen der Fall ist, ist die Vermeidung dieser offensichtlichen Interessenskollision durch geeignete Maßnahmen (z.B. der verbindlichen Prüfung des Messstandorts einer stationären Messanlage durch die derzeit zuständige Polizeiakademie Hessen) zu unterbinden.
2. Hoheitliche Herrschaft über die Beweisermittlung und Beweisführung.
Soweit bei hoheitlichen Aufgaben die Hinzuziehung von Privatpersonen durch den Gesetzgeber eröffnet ist, sind diese Tätigkeiten auf reine Assistenztätigkeiten beschränkt.
Für die Verkehrsüberwachung bedeutet dies dreierlei:
a) Die Ordnungsbehörde muss Herrin des Messgeräts sein.
Steht das Messgerät nicht im Eigentum des Hoheitsträgers, muss sichergestellt sein, dass jegliche Einflussnahme des privaten Eigentümers auf die Verwendung des Messgeräts, namentlich Zeit, Ort und Umfang der hoheitlichen Messung, ausgeschlossen ist. Schon die Verknüpfung der Bezahlung des Messgeräts durch die erzielten Bußgelder ist dabei bedenklich, da damit bereits eine direkte Verknüpfung des wirtschaftlichen Erfolges des “Verleihers” mit dem Einsatz des Messgeräts erzeugt wird. Dass dies nicht nur eine bloße Befürchtung ist, zeigt das Urteil vom 07.04.2017 (OLG Frankfurt 2 U 122/16). Die Vertragskonstruktion beinhaltete ein Kündigungsrecht des Überlassungsvertrages durch die Verleiher für den Fall nicht ausreichender Rendite. Damit wirkt der Verleiher direkt (durch Kündigung) oder indirekt (durch Drohung mit Kündigung) auf die Entscheidung des Hoheitsträgers über die Verwendung des “überlassenen” Messgeräts ein.
b) Die Ordnungsbehörde muss Herrin des durch die Messanlage gewonnenen Beweismittels sein (Garantie der Authentizität der Messdaten).
Mit der Zustellung eines Bußgeldbescheides erhebt die Ordnungsbehörde gegenüber dem Betroffenen den Vorwurf verkehrsfeindlichen Verhaltens, benennt Tatzeit und Tatort, sowie das Beweismittel (i.d.R. Messbild und Messdaten). Sie ist als zuständige Behörde dafür verantwortlich, dass das Verfahren, das zur Ermittlung des Vorwurfs geführt hat, nach Recht und Gesetz durchgeführt worden ist. Das heißt konkret, die Gewinnung des Beweismittels (i.d.R. die digitalen Messrohdaten bzw. Falldateien, in die sie auf Antrag des Betroffenen auch Einsicht zu gewähren hat) muss durch die Ordnungsbehörde selbst erfolgen. Nur so kann sie die Authentizität der Daten garantieren. Da die digitalen Messrohdaten bzw. Falldateien bei der Ordnungsbehörde verbleiben und in die Verfahrensakte nur die lesbare Form, das heißt, das daraus gewonnene Messbild und die Messdaten Eingang finden, muss sie desweiteren im ununterbrochenen Besitz dieser digitalen Messrohdaten bzw. Falldateien sein.
Ist das nicht sicher gewährleistet, kommt es zum Bruch der Beweismittelkette und die Ordnungsbehörde leitet ein Verfahren ein, bei der sie nicht die gesetzlich verlangte Verantwortlichkeit des Hoheitsträgers für die Rechtmäßigkeit der Beweismittelgewinnung, insbesondere Authentizität der Messdaten, übernehmen kann (vgl. OLG Frankfurt v. 03.03.2016 - 2 Ss-OWi 1059/15). Für die gerichtliche Verhandlung entfällt dann u.a. die in § 256 StPO normierte Privilegierung für Handlungen und Erklärung öffentlicher Behörden.
c) Die Ordnungsbehörde muss die Umwandlung und Auswertung des Beweismittels selbst durchführen (Garantie der Rückführbarkeit des Messbildes und der Messdaten auf die digitalen Messrohdaten bzw. Falldateien).
Bei Verwendung von Verkehrsüberwachungsanlagen sind die primären Beweismittel die in Messbild und Messdaten umgewandelten Falldateien.
Die Umwandlung dieser digitalen Daten in eine lesbare und damit auswertbare und gerichtsverwertbare Form durch von der PTB zugelassene Programme ist hoheitliche Kernaufgabe der Ordnungsbehörde. Nur so kann die Authentizität des gerichtsverwertbaren Beweismittels mit der digitalen Falldatei sichergestellt und ausgeschlossen werden, dass die Messbilder und Messdaten nicht manipuliert sind.
Nach der Umwandlung schließt sich die Auswertung der so gewonnenen Messdaten an. Diese hat in der von der PTB vorgegebenen Art und Weise ebenfalls ausschließlich durch die Ordnungsbehörde zu erfolgen. Hier ist eine Hinzuziehung von privaten Dienstleistern kraft Gesetz ausgeschlossen. Gem. §§ 1, 3, 65 OWiG hat die zuständige Ordnungsbehörde und nicht ein privater Dienstleister mit erfolgsabhängiger Bezahlung zu entscheiden, ob überhaupt eine Ordnungswidrigkeit gegeben ist.
Für die auch vorliegend gegebene vereinbarte Vorselektion durch private Dienstleister (oder auch “Vorauswertung”) ist insoweit kein Raum. Die Hinzuziehung privater technischer Hilfe ist auf die Bereiche beschränkt, in denen der Hoheitsträger keine ihm ausschließlich zugewiesene hoheitliche Aufgabe wahrnimmt.
3. Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde (§ 47 Abs. 1 OWiG).
Dies setzt voraus, dass sie rechtlich und tatsächlich die notwendige Bewertung überhaupt vornehmen kann. Liegen die Voraussetzungen unter 1. und 2.a) nicht vor, ist bereits rechtlich nicht sichergestellt, dass es sich überhaupt um eine hoheitliche Maßnahme handelt. Sind hingegen die unter 2.b) und c) genannten Voraussetzungen nicht gegeben, fehlt ihr die tatsächliche Bewertungsmöglichkeit, weil die Ordnungsbehörde bereits die Herkunft der Beweismittel nicht sicher kennt und bewerten kann.
Für die richterliche Überprüfung von Verkehrsordnungswidrigkeiten, denen in der Regel ein durch ein standardisierten Messverfahren gewonnenes Beweismittel zu Grund liegt folgt daraus, dass die Ordnungsbehörde, die gem. Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden ist, mit der Entscheidung nach § 47 OWiG ein Ordnungswidrigkeitenverfahren einzuleiten, die Gewähr übernimmt, dass die rechtlichen Voraussetzungen, namentlich die oben genannten Bedingungen, erfüllt sind. Die Überwachung wird durch die zuständige Fach- und Dienstaufsicht sichergestellt. Das Gericht kann und muss grundsätzlich davon ausgehen, dass die Ordnungsbehörden sich gesetzeskonform verhalten. Eine von Amts wegen durchzuführende Überprüfung dieser Voraussetzungen ist daher grds. nicht geboten. Bestehen beim Gericht Zweifel, kann es nach § 69 Abs. 5 OWiG verfahren. Bestehen im Einzelfall beim Betroffenen Zweifel obliegt es zunächst ihm, diese Zweifel durch Tatsachen zu erhärten, da er das Vertrauen in das rechtsstaatliche verwaltungsrechtliche Handeln erschüttern muss. Behauptungen “ins Blaue hinein” braucht das Gericht, wie sonst auch, nicht nachzugehen.
Beschluss vom 27.04.2017
2 Ss OWi 295/17
In pp.
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Alsfeld vom 2. Dezember 2016 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an die gleiche Abteilung des Amtsgerichts Alsfeld zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Mit Bußgeldbescheid vom 18.11.2015 hat das Regierungspräsidium O1 gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 38 km/h eine Geldbuße in Höhe von 190 EUR sowie ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.
Auf seinen Einspruch hin hat das Amtsgericht Alsfeld den Betroffenen unter Annahme eines Beweisverwertungsverbotes freigesprochen.
Nach den getroffenen Feststellungen fuhr der Betroffene am 31.07.2015 in seinem PKW die B... innerorts von O2 Richtung O3. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit ist auf diesem Straßenabschnitt auf 50 km/h beschränkt. An dieser Stelle wurde mittels eines geeichten stationären Geschwindigkeitsmessgerätes Typ X bei dem Betroffenen eine Geschwindigkeit abzüglich einer Toleranz von 3 km/h von 88 km/h gemessen.
Der Betroffene hat seine Fahrereigenschaft eingeräumt. Das Amtsgericht sah sich an einer Verurteilung jedoch gehindert, weil der Bürgermeister der Stadt O2 in seiner Funktion als Ortspolizeibehörde die Verkehrsmessung gegen geltendes Recht unter bewusster und gewollter Umgehung von § 26 Abs. 1 StVG i.V.m. Nr. 2.2 des Erlasses des HMdI v. 06.01.2006 (HessStAnz 2006, S. 286 ff) und des Erlasses vom 05.02.2015 (HessStAnz 2015, S 182 ff) von einem privaten Dienstleister (der Fa. A GmbH) hat durchführen lassen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft O3, der die Generalstaatsanwaltschaft O4 beigetreten ist.
Der Einzelrichter hat mit Beschluss vom 25.04.2017 die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
II.
Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat i.E. Erfolg.
Sie führt zur Aufhebung des Urteils, weil das Amtsgericht zwar zu Recht von einem Beweiserhebungsverbot ausgegangen ist, aber die getroffenen Feststellungen weder ausreichen, ein Beweisverwertungsverbot anzunehmen, noch dem Senat eine eigene Entscheidung ermöglichen.
Nach den zusammengefassten Feststellungen des Amtsgerichts gehört das betreffende Geschwindigkeitsmessgerät Typ X nicht der Stadt O2, sondern es wird der Stadt durch die juristische Privatperson A GmbH “zur Verfügung gestellt”. Das Messgerät verfügt über einen Eichschein vom 03.12.2014. Antragsteller der Eichung war die Fa. A GmbH. Die Messung wird durch den Zeugen B durchgeführt, der für das Messgerät entsprechend geschult ist. Der Zeuge B ist allerdings kein Bediensteter der Stadt O2, sondern ist mit “gesondertem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag” seit dem 01.08.2013 durch die Fa. A GmbH der Stadt O2 überlassen worden und für 20 Stunden pro Monat für die Stadt O2 tätig. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ergäbe sich bei “einem angenommenen Mindeststundenlohn von 8,50 EUR dabei ein Monatseinkommen von 170 EUR”. Seine Tätigkeit beschränkt sich auf das wöchentliche Abfahren der Messsäulen, Einsammeln der Daten und das “Einspeisen der Daten in das System”. Die Bildaufbereitung erfolgt anschließend durch die Fa. A GmbH, die die von ihr vorselektierten Daten zur endgültigen Auswertung und Entscheidung über die Verfahrenseinleitung an die Stadt O2 übergibt. Die abschließende Entscheidung erfolgt dann durch (festangestellte) kommunale Bedienstete.
Die Fa. A GmbH erhält für ihre Tätigkeit und dafür, dass sie der Stadt O2 das Messgerät, sowie den Zeugen B “überlässt”, eine erfolgsabhängige Vergütung. Je mehr Bußgeldverfahren aus dem “zur Verfügung gestellten Messgerät” eingeleitet werden, desto höher ist der Ertrag für die Fa. A GmbH.
Wie das Amtsgericht rechtsfehlerfrei unter sorgfältiger Darlegung im Einzelnen zusammenfassend festgestellt hat, hat der Bürgermeister der Stadt O2 als zuständige Ortspolizeibehörde unter bewusster und gewollter Umgehung zwingender gesetzlicher Vorschriften Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet, bei denen die Beweismittel nicht durch den Hoheitsträger, sondern durch einen sog. privaten Dienstleister, - die Fa. A GmbH -, erhoben worden sind.
Die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach § 47 Abs. 1 OWiG gehört als typische Hoheitsaufgabe zum Kernbereich staatlicher Hoheitsausübung, für die im Fall von Verkehrsordnungswidrigkeiten gemäß § 26 Abs. 1 StVG Behörden oder Polizeidienststellen zuständig sind.
Rechtsgrundlage für Maßnahmen der Verkehrsüberwachung durch allgemeine Ordnungsbehörden ist die Verordnung über die Zuständigkeit zur Verfolgung und Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten vom 07.04.1992 (GVBl. I S. 134) in Verbindung mit § 5a der Verordnung über die Zuweisung von Aufgaben der Gefahrenabwehr an die allgemeinen Ordnungsbehörden vom 18.07.1972 (GVBl. I S. 255), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18.07.2005 (GVBl. I S. 546), die auch die Verwendung technischer Mittel zur Verkehrsüberwachung regelt (vgl. auch Verwaltungsvorschrift “Verkehrsüberwachung durch örtliche Ordnungsbehörden und Polizeibehörde” vom 06.01.2006 des HMdI, StAnz 2006, S. 286). Eine eigenverantwortliche Wahrnehmung dieser Aufgaben durch Privatpersonen ist danach ausgeschlossen. Das schließt allerdings grds. nicht aus, dass die Verwaltungsbehörde sich technischer Hilfe durch Privatpersonen bedient, solange sie Herrin des Verfahrens bleibt (st. Rspr. der OLGs; vgl. nur für alle: OLG Frankfurt v. 03.03.2016 - 2 Ss-OWi 1059/15; OLG Stuttgart v. 25.08.2016 - 4 Ss 577/16; OLG Hamm v. 18.04.2016 - III-2 RBs 40/16). Die technische Hilfe von Privatpersonen bei Ermittlungshandlungen muss einen sachlichen Grund haben, darf nicht missbräuchlich sein und vor allem nicht in Bereiche eingreifen, die ausschließlich dem Hoheitsträger vorbehalten sind.
Für den Einsatz sog. privater Dienstleister bei der Verkehrsüberwachung heißt es im Erlass des HMdI gegenüber den Kommunen vom 28.07.2015:
“Jeder Anschein mangelnder Objektivität und Unabhängigkeit ist zu vermeiden. Bei einem Leiharbeitnehmer, der bei einer örtlichen Ordnungsbehörde im Bereich der Verkehrsüberwachung tätig ist, können sachfremde Erwägungen zumindest dann nicht ausgeschlossen werden, wenn dieser zeitgleich Beschäftigter oder Inhaber eines Unternehmens ist, welches Dienstleistungen auf dem Sektor der Verkehrsüberwachung erbringt. (Deshalb) nehme ich zum Anlass, darum zu bitten, nur solche Arbeitnehmer für hoheitliche Aufgaben im Rahmen der Verkehrsüberwachung einzusetzen, die nicht zugleich auch Beschäftigte oder Inhaber eines solchen privaten Dienstleistungsunternehmens sind.”
Der Bürgermeister der Stadt O2 ist als hauptamtlicher Beamter auf Zeit in seiner vorliegenden Funktion als zuständige örtliche Ordnungsbehörde Teil der Landspolizeibehörde. Er hat das maßgebliche Recht zu kennen und kannte es nach den Feststellungen auch. Gleichwohl hat er unter bewusster und gewollter Umgehung der ihm bekannten gesetzlichen Vorschriften vorliegend insbesondere das Auslesen der Daten und das Sicherstellen der Daten nicht - wie gesetzlich verlangt - durch den Hoheitsträger durchführen lassen, sondern durch einen privaten Dienstleister.
Das alleine würde bereits einen Verstoß gegen die Beweiserhebung begründen. Vorliegend greifen die Verstöße durch die Ortspolizeibehörde allerdings noch viel tiefer in die rechtlichen Strukturen einer rechtsstaatlichen Verkehrsüberwachung ein.
Das gesamte Geschäftsmodell der Fa. A GmbH mit der Stadt O2 ist bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der festgestellten Tatsachen ein sog. “Rundum-Sorglospaket”, bei der die Stadt O2 über die bloße Nutzung des Messgeräts hinaus nahezu vollständig die ihr gesetzlich auferlegten Pflichten auf den privaten Dienstleister übertragen hat. Damit das ganze Geschäftsmodell den Schein der Rechtstaatlichkeit erhält, ist seit dem 01.08.2013 die Fiktion einer Arbeitnehmerüberlassung konstruiert worden. Selbst der Erlass vom 28.07.2015, in dem nochmals ausdrücklich die gewählte Vorgehensweise untersagt worden ist, hat zu keiner Änderung der bestehenden Praxis geführt. Unberücksichtigt, dass die Übertragung hoheitlicher Aufgaben auf private Personen schon per se bedenklich ist und auch als “Arbeitnehmerüberlassung” nur unter besonderen Bedingungen und auch grds. nur nach den Maßgaben des AÜG in Betracht kommt (vgl. zum Ganzen schon Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 05.03.1997 - 1 ObOWi 785/96 -, juris m.w.N.), kann schon bei einer Tätigkeit von 20 Stunden im Monat im Gegenwert von ca. 170 Euro von einer notwendigen Einbindung des Zeugen B in die Strukturen der Stadt O2 unter Aufgabe der Abhängigkeiten und des Weisungsrechts der Fa. A GmbH nicht ansatzweise ausgegangen werden. Darüber hinaus ist der Zeuge B auch noch Mitarbeiter des privaten Dienstleisters, der sich erfolgsabhängig aus den Erträgen der Messanlage bezahlen lässt, die er selbst zur Verfügung stellt und aus der er selbst die Beweismittel gewinnt, umwandelt und (vor)auswertet.
Bei der vorliegend zwischen der Stadt O2 und der Fa. A GmbH vereinbarten Vorgehensweise ist das primäre Beweismittel, nämlich die digitalisierte Falldatei, aus der erst durch die Umwandlung das Messbild und die Messdaten, die den Vorwurf begründen, gewonnen wird, zu keinem Zeitpunkt unter Kontrolle des Hoheitsträgers. Die Stadt O2 und in der Folge die zentrale Bußgeldstelle in O1 kann, obwohl das ihre rechtliche Pflicht ist, nicht mehr (ohne weiteres) garantieren, woher die Falldatei stammt, und dass das ausgewertete Messbild und die Messdaten tatsächlich aus der dazugehörenden Falldatei gewonnen wurden. Es entsteht ein Bruch der Beweismittelkette, die auch für das Gericht im gerichtlichen Verfahren nicht mehr (ohne weiteres) erkennbar ist, zumal die Stadt O2, durch die Veranlassung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens auch (konkludent) Gegenteiliges behauptet.
Dieser Bruch wird in der Folge vorliegend auch noch dadurch vertieft, dass nach dem “Einsammeln der Daten” und “Einspeisen der Daten in das System”, bei dem es sich wohl um das “Auswertprogramm” des privaten Dienstleisters handelt, die “Bildaufbereitung” anschließend durch die Fa. A GmbH. erfolgt. Durch diese Vorgehensweise wird das primäre Beweismittel für den Verkehrsverstoß ohne eigene Kontrollmöglichkeit dem privaten Dienstleister zur weiteren Bearbeitung überlassen. Dass die Fa. A GmbH anschließend die eingesammelten, umgewandelten und ausgewerteten Messdaten der Stadt O2 überlässt, damit diese nun “selbstständig” darüber entscheidet, gegen wen sie ein Bußgeldverfahren einleiten will, ist nur geeignet, eine für die Betroffenen und die Gerichte täuschende Fassade für die vorhergehende Umgehung zu bilden.
Bei der gebotenen kritischen Betrachtung stellt sich nämlich schon die Frage, warum die Stadt O2 dieselbe Tätigkeit nochmals durchführen sollte, die schon der private Dienstleister (für sie) gemacht hat und für die er auch bezahlt wird. Aber selbst wenn die Stadt O2 tatsächlich, was eher lebensfremd ist, die ihr erst vom privaten Dienstleister übergebene Falldatei vor der Entscheidung über die Einleitung eines Bußgeldverfahrens nochmals umwandeln, auswerten und mit den Auswertungen des privaten Dienstleisters vergleichen würde, ist dadurch keine tragfähige Prüfung möglich. Selbst wenn die Stadt O2 täte, was sie behauptet, überprüft sie lediglich, ob die ihr von der Fa. A GmbH vorgelegten Daten mit den von der Fa. A GmbH ausgewerteten Messbildern übereinstimmen. Das ist gleichermaßen inhaltlich sinnlos wie rechtlich irrelevant.
Eine inhaltlich sinnvolle und rechtliche relevante Überprüfung läge nur vor, wenn die Stadt die Original-Falldateien aus dem Messgerät selbst gewonnen hätte und jetzt mit den Auswertungen des privaten Dienstleisters vergleichen könnte und würde. In diesem Fall bedürfte es dann aber der Handlungen des privaten Dienstleisters nicht mehr, weil die Stadt die Umwandlung und Auswertung der Original-Falldaten selbst vornimmt.
Warum sie ihm dann aber die Daten überlassen und dafür bezahlen sollte, etwas zu tun, was sie selber macht, wäre begründungsbedürftig.
Da vorliegend die Stadt O2 die Original-Falldateien gar nicht selbst gewonnen und im Besitz hat, ist ihr die Überprüfung, wie das Amtsgericht ausgeführt hat, ohnehin (so ohne weiteres) nicht möglich.
Nach allem sind die durch die Messung gewonnenen Beweismittel rechtsfehlerhaft, weil nicht auf rechtsstaatliche Weise erzielt und bewertet worden.
III.
Die Feststellungen tragen allerdings die Annahme eines daraus folgenden Verwertungsverbotes nicht.
Ein allgemeiner Grundsatz, wonach ein Beweiserhebungsverbot ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht, besteht nicht (vgl. BGHSt 19, 325/331; 24, 125/128; 25, 325/331; 31, 304/307; 37, 30/32; 38, 214/219; BayObLGSt 1965, 128; OLG Köln VRS 60, 201). Soweit das Gesetz nicht selbst ein Verwertungsverbot vorsieht (wie z.B. in § 136a Abs. 3 Satz 2, § 252 StPO, § 393 Abs. 2 AO, § 51 BZRG), kann die Frage, ob eine rechtswidrige, in Grundrechte des Betroffenen eingreifende Ermittlungsmaßnahme als Ausnahme von dem Grundsatz umfassender Beweisaufnahme ein Verbot zur Verwertung des durch sie gewonnenen Beweisergebnisses zur Folge hat, nicht allgemein, sondern nur anhand des Einzelfalles entschieden werden (BGH NJW 1978, 1390 ; OLG Köln aaO). Bei einem Verfahrensverstoß ist dabei das Individualinteresse des Bürgers am Schutz seiner Rechtsgüter gegen das Interesse des Staates an der Tataufklärung zum Schutz der Allgemeinheit abzuwägen, um beurteilen zu können, ob eine solche Ausnahme gerechtfertigt ist. Dabei sind das Gewicht des Verfahrensverstoßes und seine Bedeutung für die rechtlich geschützte Sphäre des Betroffenen einerseits und andererseits die Erwägung, dass der Staat eine funktionstüchtige Rechtspflege zu gewährleisten hat, zu beachten (BGH NStZ 1988, 142 mit Anm. Dörig; BGH NStZ 1989, 375 mit Anm. Roxin 378 f.; BayObLGSt 1997, 46 Rn. 16).
Diese Grundsätze gelten auch im Bußgeldverfahren, auch wenn diesem nur sog. Verwaltungsunrecht zu Grunde liegt.
Die dafür notwendige Abwägung hat das Amtsgericht zwar vorgenommen, dabei sind allerdings die Besonderheiten des Bußgeldverfahrens und dabei insb. die im OWiG zur StPO abweichenden Möglichkeiten und die ggf. durch die technischen Besonderheiten bestehende Möglichkeit nachträglicher rechtstaatlicher Beweismittelrekonstruktion nicht mit einbezogen worden.
Die vorliegende Messung ist mit einem stationären Geschwindigkeitsmessgerät Typ X durchgeführt worden. Die dabei erzeugten digitalen Falldateien ermöglichen grds. die Rekonstruktion der Messung. Jede Form der Manipulation an signierten Falldateien ist nachweisbar. Die Authentizität der Daten kann rekonstruiert werden, die Auswertung ist bei Zweifeln wiederholbar, so dass grds. die rechtsstaatliche Beweisführung des dem Betroffenen zur Last gelegten Geschwindigkeitsverstoßes nachholbar ist.
Das Verfahren ist daher zur Neuverhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Bei der Neuprüfung werden die nachfolgenden Erwägungen des Senats mit zu berücksichtigen sein.
IV.
Das vorliegende Verfahren gibt im Zusammenhang mit den Entscheidungen des Senats (OLG Frankfurt v. 03.03.2016 2 Ss-OWi 1059/15; B. v. 11.08.2016 - 2 Ss-OWi 562/16; B. v. 28.04.2016 - 2 Ss-OWi 190/16; B. v. 03.09.2014, 2 Ss-OWi 655/14 m.w.N.; jeweils nach juris) und dem Schadensersatzprozess, der dem Urteil des OLG Frankfurt vom 07.04.2017 (2 U 122/16) zu Grunde liegt Anlass, folgende Besorgnis zum Ausdruck zu bringen:
Die staatliche Verkehrsüberwachung umfasst präventive und repressive polizeiliche Aktivitäten im Verkehrsraum zur Erhöhung der Verkehrssicherheit. Sie ist eine hoheitliche Aufgabe der Gefahrenabwehr und wird durch die Polizeibehörden und allgemeine Ordnungsbehörden wahrgenommen. Sie ist vorrangig darauf ausgerichtet, Verkehrsunfälle, insbesondere mit schweren Folgen, zu verhüten und sonstigen Verkehrsgefahren entgegen zu wirken. Darüber hinaus dient sie auch dem Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsbeeinträchtigungen insbesondere durch Lärm und Abgase sowie der Leichtigkeit des Verkehrs (vgl. HessStaZ. 2015, S. 182 . “Verkehrsüberwachung durch örtliche Ordnungsbehörden und Polizeibehörden 1. Ziele der Verkehrsüberwachung:”).
Keine derzeit bekannte gesetzliche Vorschrift verknüpft die Verkehrsüberwachung mit der Möglichkeit der fiskalischen Sanierung von kommunalen Haushalten und/oder mit der Erstellung privatwirtschaftlicher Geschäftsmodelle, bei denen die staatlichen Bußgelder als Bezahlung für private Dienstleistungen dienen.
Die gesetzlichen Grundlagen für die Verkehrsüberwachung und die Zuweisung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sind diesbezüglich eindeutig und lassen bei objektiver Betrachtung auch keine Spielräume zu. Gleichwohl geben die von den Gerichten in den oben genannten Verfahren ermittelten Sachverhalte Anlass zur Besorgnis, dass im Bereich kommunaler Verkehrsüberwachung diese eindeutigen gesetzlichen Grundlagen, ministerialen Erlasse und gerichtliche Entscheidungen nicht nur nicht mit der notwendigen Sorgfalt beachtet, sondern - wie im vorliegenden Fall - bewusst und gewollt umgangen werden. Die dabei zu Tage getretenen Konstruktionen lassen ebenfalls befürchten, dass es sich nicht um Einzelfälle, sondern um strukturelle Verwerfungen handelt, die nicht mehr wie bisher durch das Eingreifen gerichtlicher Entscheidungen korrigiert werden können, sondern der nachhaltigen Korrektur durch den Einsatz der innenministerialen polizeilichen Dienst- und Fachaufsicht bedürfen (vgl. auch Sachverhalt OLG Frankfurt, Urteil v. 07.04.2017 - 2 U 122/16 Rn. 29: Unter dem “gemeinsam gewünschten Ziel” des Verkehrssicherungsprojekts ist jedenfalls auch das Erzielen finanzieller Erträge zu verstehen, die aus dokumentierten Fällen von Geschwindigkeitsübertretungen resultieren).
Im Einzelnen sind folgende Problemfelder ersichtlich:
1. Motivlage der Verkehrsüberwachung.
Verkehrsüberwachung dient der Verkehrssicherheit. Jegliche Verknüpfung der Verkehrsüberwachung mit anderen nicht gesetzgeberisch legitimierten Gründen ist unzulässig. Eine solche “Verkehrsüberwachung” wäre keine bußgeldbewehrte hoheitliche Maßnahme gemäß § 26 Abs. 1 StVG i.v.m. § 47 Abs. 1 OWiG mehr.
Fallen die Entscheidung über die Aufstellung einer stationären Messanlage und die Erträge oder Teile der Erträge in eine Hand, wie es derzeit bei kommunalen Messanlagen der Fall ist, ist die Vermeidung dieser offensichtlichen Interessenskollision durch geeignete Maßnahmen (z.B. der verbindlichen Prüfung des Messstandorts einer stationären Messanlage durch die derzeit zuständige Polizeiakademie Hessen) zu unterbinden.
2. Hoheitliche Herrschaft über die Beweisermittlung und Beweisführung.
Soweit bei hoheitlichen Aufgaben die Hinzuziehung von Privatpersonen durch den Gesetzgeber eröffnet ist, sind diese Tätigkeiten auf reine Assistenztätigkeiten beschränkt.
Für die Verkehrsüberwachung bedeutet dies dreierlei:
a) Die Ordnungsbehörde muss Herrin des Messgeräts sein.
Steht das Messgerät nicht im Eigentum des Hoheitsträgers, muss sichergestellt sein, dass jegliche Einflussnahme des privaten Eigentümers auf die Verwendung des Messgeräts, namentlich Zeit, Ort und Umfang der hoheitlichen Messung, ausgeschlossen ist. Schon die Verknüpfung der Bezahlung des Messgeräts durch die erzielten Bußgelder ist dabei bedenklich, da damit bereits eine direkte Verknüpfung des wirtschaftlichen Erfolges des “Verleihers” mit dem Einsatz des Messgeräts erzeugt wird. Dass dies nicht nur eine bloße Befürchtung ist, zeigt das Urteil vom 07.04.2017 (OLG Frankfurt 2 U 122/16). Die Vertragskonstruktion beinhaltete ein Kündigungsrecht des Überlassungsvertrages durch die Verleiher für den Fall nicht ausreichender Rendite. Damit wirkt der Verleiher direkt (durch Kündigung) oder indirekt (durch Drohung mit Kündigung) auf die Entscheidung des Hoheitsträgers über die Verwendung des “überlassenen” Messgeräts ein.
b) Die Ordnungsbehörde muss Herrin des durch die Messanlage gewonnenen Beweismittels sein (Garantie der Authentizität der Messdaten).
Mit der Zustellung eines Bußgeldbescheides erhebt die Ordnungsbehörde gegenüber dem Betroffenen den Vorwurf verkehrsfeindlichen Verhaltens, benennt Tatzeit und Tatort, sowie das Beweismittel (i.d.R. Messbild und Messdaten). Sie ist als zuständige Behörde dafür verantwortlich, dass das Verfahren, das zur Ermittlung des Vorwurfs geführt hat, nach Recht und Gesetz durchgeführt worden ist. Das heißt konkret, die Gewinnung des Beweismittels (i.d.R. die digitalen Messrohdaten bzw. Falldateien, in die sie auf Antrag des Betroffenen auch Einsicht zu gewähren hat) muss durch die Ordnungsbehörde selbst erfolgen. Nur so kann sie die Authentizität der Daten garantieren. Da die digitalen Messrohdaten bzw. Falldateien bei der Ordnungsbehörde verbleiben und in die Verfahrensakte nur die lesbare Form, das heißt, das daraus gewonnene Messbild und die Messdaten Eingang finden, muss sie desweiteren im ununterbrochenen Besitz dieser digitalen Messrohdaten bzw. Falldateien sein.
Ist das nicht sicher gewährleistet, kommt es zum Bruch der Beweismittelkette und die Ordnungsbehörde leitet ein Verfahren ein, bei der sie nicht die gesetzlich verlangte Verantwortlichkeit des Hoheitsträgers für die Rechtmäßigkeit der Beweismittelgewinnung, insbesondere Authentizität der Messdaten, übernehmen kann (vgl. OLG Frankfurt v. 03.03.2016 - 2 Ss-OWi 1059/15). Für die gerichtliche Verhandlung entfällt dann u.a. die in § 256 StPO normierte Privilegierung für Handlungen und Erklärung öffentlicher Behörden.
c) Die Ordnungsbehörde muss die Umwandlung und Auswertung des Beweismittels selbst durchführen (Garantie der Rückführbarkeit des Messbildes und der Messdaten auf die digitalen Messrohdaten bzw. Falldateien).
Bei Verwendung von Verkehrsüberwachungsanlagen sind die primären Beweismittel die in Messbild und Messdaten umgewandelten Falldateien.
Die Umwandlung dieser digitalen Daten in eine lesbare und damit auswertbare und gerichtsverwertbare Form durch von der PTB zugelassene Programme ist hoheitliche Kernaufgabe der Ordnungsbehörde. Nur so kann die Authentizität des gerichtsverwertbaren Beweismittels mit der digitalen Falldatei sichergestellt und ausgeschlossen werden, dass die Messbilder und Messdaten nicht manipuliert sind.
Nach der Umwandlung schließt sich die Auswertung der so gewonnenen Messdaten an. Diese hat in der von der PTB vorgegebenen Art und Weise ebenfalls ausschließlich durch die Ordnungsbehörde zu erfolgen. Hier ist eine Hinzuziehung von privaten Dienstleistern kraft Gesetz ausgeschlossen. Gem. §§ 1, 3, 65 OWiG hat die zuständige Ordnungsbehörde und nicht ein privater Dienstleister mit erfolgsabhängiger Bezahlung zu entscheiden, ob überhaupt eine Ordnungswidrigkeit gegeben ist.
Für die auch vorliegend gegebene vereinbarte Vorselektion durch private Dienstleister (oder auch “Vorauswertung”) ist insoweit kein Raum. Die Hinzuziehung privater technischer Hilfe ist auf die Bereiche beschränkt, in denen der Hoheitsträger keine ihm ausschließlich zugewiesene hoheitliche Aufgabe wahrnimmt.
3. Die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde (§ 47 Abs. 1 OWiG).
Dies setzt voraus, dass sie rechtlich und tatsächlich die notwendige Bewertung überhaupt vornehmen kann. Liegen die Voraussetzungen unter 1. und 2.a) nicht vor, ist bereits rechtlich nicht sichergestellt, dass es sich überhaupt um eine hoheitliche Maßnahme handelt. Sind hingegen die unter 2.b) und c) genannten Voraussetzungen nicht gegeben, fehlt ihr die tatsächliche Bewertungsmöglichkeit, weil die Ordnungsbehörde bereits die Herkunft der Beweismittel nicht sicher kennt und bewerten kann.
Für die richterliche Überprüfung von Verkehrsordnungswidrigkeiten, denen in der Regel ein durch ein standardisierten Messverfahren gewonnenes Beweismittel zu Grund liegt folgt daraus, dass die Ordnungsbehörde, die gem. Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden ist, mit der Entscheidung nach § 47 OWiG ein Ordnungswidrigkeitenverfahren einzuleiten, die Gewähr übernimmt, dass die rechtlichen Voraussetzungen, namentlich die oben genannten Bedingungen, erfüllt sind. Die Überwachung wird durch die zuständige Fach- und Dienstaufsicht sichergestellt. Das Gericht kann und muss grundsätzlich davon ausgehen, dass die Ordnungsbehörden sich gesetzeskonform verhalten. Eine von Amts wegen durchzuführende Überprüfung dieser Voraussetzungen ist daher grds. nicht geboten. Bestehen beim Gericht Zweifel, kann es nach § 69 Abs. 5 OWiG verfahren. Bestehen im Einzelfall beim Betroffenen Zweifel obliegt es zunächst ihm, diese Zweifel durch Tatsachen zu erhärten, da er das Vertrauen in das rechtsstaatliche verwaltungsrechtliche Handeln erschüttern muss. Behauptungen “ins Blaue hinein” braucht das Gericht, wie sonst auch, nicht nachzugehen.