05.01.2021 · IWW-Abrufnummer 219733
Kammergericht Berlin: Beschluss vom 09.11.2020 – 3 Ws (B) 262/20
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergerich
Beschluss vom 9. November 2020
3 Ws (B) 262/20 - 162 Ss 104/20
303 OWi 464/20
In der Bußgeldsache gegen
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wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts am 9. November 2020 beschlossen:
Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 3. September 2020 wird verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten seiner nach § 80 Abs. 4 Satz 4 OWiG als zurückgenommen geltenden Rechtsbeschwerde zu tragen (§ 46 Abs. 1 O-WiG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Der Senat merkt lediglich an:
In Verfahren, in denen ‒ wie hier - die verhängte Geldbuße nicht mehr als 100 Euro beträgt, ist ein Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn der Zulassungsgrund der Fortbildung des materiellen Rechts nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG oder jener der Verletzung rechtlichen Gehörs nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG erfolgreich geltend gemacht wird.
1. Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs, die in der Rüge liegen könnte, die Anregung, ein Sachverständigengutachten einzuholen, sei zurückgewiesen worden, ist nicht in eine nach § 80 Abs. 3 S. 3 OWiG, § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Form erhoben und daher unzulässig.
2. Auch die erhobene Sachrüge erfordert die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des sachlichen Rechts nicht, weil der vorliegende Einzelfall keine Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch zu schließen; auch klärungsbedürftige Rechtsfragen sind nicht ersichtlich.
a)
Zwar ist eine „Elektro-Kamera mit Flachbildschirm und diversen Menu-Optionen“ (gemeint offenkundig: Digitalkamera), die der Betroffene ausweislich der Urteilsfeststellungen während der Fahrt in der rechten Hand hielt und auf der er tippte, in § 23 Abs. 1a StVO nicht ausdrücklich aufgeführt. Sie ist jedoch sprachlich zwanglos als ein der Organisation dienendes elektronisches Gerät im Sinne von § 23 Abs.1a StVO zu erfassen.
Der Gesetzgeber hat mit Einführung der 53. Verordnung zur Änderung straßenrechtlicher Vorschriften vom 6. Oktober 2017 § 23 Abs.1a StVO grundlegend reformiert. Im Kern hat er das bisher geltende „Handyverbot“ auf sämtliche technische Geräte der Kommunikations-, Informations- und Unterhaltungselektronik ausgeweitet. So werden in Satz 2 des Absatzes 1a der Vorschrift konkrete Gerätearten aufgezählt.
Auch bei einer Digitalkamera handelt es sich um ein elektronisches Gerät im Sinne der Vorschrift, nämlich eine Kamera, die als Aufnahmemedium anstatt eines Films (Analogkamera) ein digitales Speichermedium verwendet und das Bild zuvor mittels eines elektronischen Bildwandlers (Bildsensor) digitalisiert (vgl. Wikipedia-Artikel „Digitalkamera“, zuletzt abgerufen am Entscheidungstag). Die Digitalkamera dient als Gerät der Unterhaltungselektronik nicht nur dazu, Fotografien anzufertigen, sondern auch dazu, Datensätze, nämlich einzelne, wieder aufrufbare und auf dem Display der Kamera abbildbare Fotos, zu speichern, über den Flachbildschirm wiederholt anzusehen und zu organisieren. Eben auch diesem Zweck dient die Menüführung der Kamera, deren Funktion damit über die eines reinen Fotoapparates hinausgeht. Nach Ordnungs- und Speicherfunktion sowie Bedienung ist die Digitalkamera ohne Weiteres einem elektronischen Terminplaner oder einem MP3-Player vergleichbar.
b)
Obergerichtlich ist auch geklärt, welche Handlungen im Einzelnen die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1a StVO erfüllen. So ist das bloße Aufnehmen oder Halten eines elektronischen Gerätes ‒ ohne das Hinzutreten eines Benutzungselementes - nicht ausreichend, den Tatbestand des § 23 Abs. 1a StVO zu erfüllen (vgl. z.B. Senat, Beschluss vom 31. Juli 2020 ‒ 3 Ws (B) 165/20 ‒; Beschluss vom 14. August 2019 ‒ 3 Ws (B) 273/19 ‒, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 28. Februar 2019 ‒ III-4 RBs 30/19 ‒, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 3. Januar 2019 ‒ 2 Rb 24 Ss 1269/18 ‒, juris). Erforderlich ist vielmehr ein Zusammenhang des Aufnehmens oder Haltens mit einer der Bedienfunktionen des Gerätes, also mit seiner Bestimmung zur Kommunikation, Information oder Organisation (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 45. Aufl., § 23 StVO Rn. 32).
Eine Benutzung des Gerätes ist bereits bei Ablesen der Uhrzeit oder des Ladezustandes (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 7. Februar 2019, 3 Ss (OWi) 8/19, BeckRS 2019, 1556), bei Betätigung einer Taste zur bloßen Kontrolle der Funktionstüchtigkeit des Gerätes (vgl. Senat, Beschluss vom 14. Mai 2019 ‒ 3 Ws (B) 160/19 ‒, juris), beim Aufnehmen eines Mobiltelefons während der Fahrt zum Auslesen einer gespeicherten Telefonnummer (vgl. OLG Hamburg NZV 2016, 485) oder bei einer Handhabung mit Bezug zu einer der Funktionstasten (vgl. OLG Hamburg NZV 2016 a.a.O.) gegeben. Der Feststellung, welche Bedienfunktion konkret genutzt worden ist, bedarf es nicht (vgl. Senat, Beschluss vom 14. August 2019 a.a.O.).
Damit lässt sich das vom Amtsgericht festgestellte Tippen auf der in der Hand gehaltenen „Elektro-Kamera mit Flachbildschirm und diversen Menu-Optionen“ unter die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Nutzung von elektronischen Geräten im Sinne des § 23 Abs.1a StVO bereits aufgestellten Leitsätze subsumieren. Insbesondere ist eine Digitalkamera mit Flachbildschirm nicht einem reinen Taschenrechner vergleichbar, bei dem fraglich sein könnte, ob die bloße Eingabe einer Rechenoperation und deren anschließendes Ablesen einem Informationszweck im Sinne des § 23 Abs.1a StVO unterfällt (ablehnend OLG Oldenburg, Beschluss vom 25. Juni 2018 ‒ 2 Ss (OWi) 175/18 ‒, juris; befürwortend OLG Hamm, Beschluss vom 18. Juni 2019 a.a.O.). Klärungsbedürftige Fragen bestehen deshalb im vorliegenden Fall nicht.
Die hier festgestellte Verkehrsordnungswidrigkeit ist am 19. November 2019 und damit vor dem Inkrafttreten der 54. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20. April 2020 (BGBl. I 2020, 814) begangen worden, weshalb es auf die geltend gemachte Nichtigkeit der Novelle wegen einer Verletzung des Zitiergebots nicht ankommt.
Soweit der Angeklagte möglicherweise außerdem geltend machen will, dass die durch das Amtsgericht angewendete StVO vom 6. März 2013 (BGBl. I 2013, S.367) nichtig sei, folgt der Senat dem nicht. Entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht hält der Senat die erfolgte Bezugnahme in der Eingangsformel der Verordnung auf § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG mit den dort genannten Buchstaben für eindeutig. Eine Bezugnahme auf den ersten Halbsatz des § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVO erübrigt sich (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Oktober 2020 ‒ 3 Ws (B) 249/20 ‒; OLG Oldenburg, Beschluss vom 8. Oktober 2020 ‒ 2 Ss (OWi) 230/20 ‒, juris).
Einer weitergehenden Begründung bedarf der Beschluss nicht (§ 80 Abs. 4 Satz 3 OWiG).
RechtsgebietStVOVorschriftenStVO § 23 Abs. 1a