24.06.2021 · IWW-Abrufnummer 223094
Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 11.05.2021 – 4 RBs 124/21
Zu den Anforderungen an eine richterliche Unterschrift unter einem schriftlichen Urteil (§ 275 Abs. 2 S. 1 StPO).
Oberlandesgericht Hamm
Beschluss
11.05.2021
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung ‒ auch über die Kosten des Rechtsmittels ‒ an das Amtsgericht Detmold zurückverwiesen
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Gründe
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I.
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Das Amtsgericht hat die Betroffene mit dem angefochtenen Urrteil wegen fahrlässigen Führens eines Kaftfahrzeuges unter Wirkung des berauschenden Mittels Cannabis „und damit unter unerlaubtem Konsum von Betäubungsmitteln (6,4 ng/ml THC)“ zu einer Geldbuße von 500 Euro verurteilt und gegen sie ein einmonatiges Fahrverbot ‒ unter Gewährung der sog. „Viermonatsfrist“ verhängt.
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Gegen das Urteil wendet sich die Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts in allgemeiner Form. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
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II.
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Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Detmold (§ 79 Abs. 6 OWiG).
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1.
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Das angefochtene Urrteil weist einen auf die Sachrüge hin beachtlichen, durchgreifenden Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten auf, weil es keine den Anforderungen des § 275 Abs. 2 S. 1 StPO i.V.m. § 71 OWiG genügende Unterschrift der erkennenden Richterin enthält und es damit an einer Prüfungsgrundlage für die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht fehlt.
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Gegenstand der rechtsbeschwerdegerichtlichen Überprüfung in sachlich-rechtlicher Hinsicht sind allein die schriftlichen Entscheidungsgründe, wie sie sich aus der gemäß § 275 StPO mit der Unterschrift des Richters zu den Akten gebrachten Urteilsurkunde ergeben. Das Fehlen einer individualisierbaren richterlichen Unterschrift ist hierbei - abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Fall des Fehlens nur einer richterlichen Unterschrift bei der Entscheidung durch ein Kollegialgericht - dem völligen Fehlen der Urteilsgründe gleichzustellen und führt bereits auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils, wenn nach Ablauf der Frist des § 275 Abs. 1 S. 2 StPO die Unterschrift auch nicht mehr nachgeholt werden kann.
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So liegt der Fall hier, da die Unterzeichnung des vorliegend angefochtenen Urteils nicht den Anforderungen genügt, die von der Rechtsprechung an eine Unterschrift gestellt werden.
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Der erkennende Richter hat das von ihm verfasste schriftliche Urteil zu unterschreiben (§ 275 Abs. 2 S. 1 StPO), was einen die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden individuellen Schriftzug erfordert, der sich nicht nur als Namenskürzel (Paraphe) darstellt, sondern charakteristische Merkmale einer Unterschrift mit vollem Namen aufweist und die Nachahmung durch einen Dritten zumindest erschwert. Dazu bedarf es nicht der Lesbarkeit des Schriftgebildes; ausreichend ist vielmehr, dass jemand, der den Namen des Unterzeichnenden und dessen Unterschrift kennt, den Namen aus dem Schriftbild herauslesen kann. Das setzt allerdings voraus, dass mindestens einzelne Buchstaben zu erkennen sind, weil es sonst am Merkmal einer Schrift überhaupt fehlt. Diese Grenze individueller Charakteristik ist insbesondere bei der Verwendung bloßer geometrischer Formen oder einfacher (gerader oder nahezu gerader) Linien eindeutig überschritten, die in keinem erkennbaren Bezug zu den Buchstaben des Namens stehen (st. höchstrichterliche und obergerichtliche Rspr., vgl. nur: OLG Hamm, Beschl. v. 20.12.2016 ‒ III-1 RVs 94/16 ‒ juris m.w.N.).
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Das vorliegende Urteil weist am Ende ein händisches Zeichen auf, welches etwa einer im 45 Grad-Winkel nach links unten zeigenden Pfeilspitze ähnelt. Wenn man überhaupt in dieses Zeichen Buchstaben hineininterpretieren wollte, so könnte es sich um ein gekipptes „V“ als Großbuchstabe, ein gekipptes „L“ als Großbuchstabe oder ein „C“ als Großbuchstabe handeln. „V“ und „C“ kommen überhaupt nicht imn Namen der im Rubrum genannten Richterin vor, ein „L“ jedenfalls nicht am Namensanfang als Großbuchstabe. Jemand, der den Namen der erkennenden Richterin kennt, kann aus dem Zeichen weder den Namen noch einzelne zum Namen gehörende Buchstaben herauslesen.
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2.
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Angesichts dessen kann dahinstehen, ob auch der Umstand, dass die Urteilsgründe zwar mitteilen, wie sich die Betroffene vor der Hauptverhandlung zum Fahrlässigkeitsvorwurf eingelassen hat, nicht aber, ob bzw. wie sie sich in der Hauptverhandlung insoweit eingelassen hat (was maßgeblich wäre), wegen einer lückenhaften Beweiswürdigung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils hätte führen müssen (vgl. insoweit nur: OLG Bamberg, Beschl. v. 09.07.2009 ‒ 3 Ss OWi 290/09 ‒ juris; OLG Celle, Beschl. v. 09.04.2020 ‒ 1 Ss (OWi) 4/20 ‒ juris m. Anm. Krenberger jurisPR-VerkR 7/2021 Anm. 5). Die Formulierung auf S. 5 der Urteilsgründe „Schließlich hat sich die Betroffene über ihren Verteidiger dahingehend eingelassen, dass sie Cannabis aufgrund ärztlicher Verordung eingenommen habe“ könnte darauf hindeuten, dass sie in der Hauptverhandlung auch bzgl. der den Fahrlässigkeitsvorwurf begründenden Umstände eine Einlassung abgegeben hat.
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3.
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Da das Urteil ohnehin aufzuheben war, bedurfte es seiner erneuten Zustellung, weil die Zustellverfügung Bl. 123 d.A. keine richterliche Unterschrift aufweist und deswegen womöglich unklar bleibt, ob seine Zustellung durch die Vorsitzende angeordnet wurde (vgl. § 36 Abs. 1 StPO), nicht.
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4.
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Zu einer Zurückverweisung an eine andere Abteilung desselben Amtsgerichts bestand kein Anlass (§ 79 Abs. 6 OWiG).
RechtsgebietStPOVorschriftenStPO § 275 Abs. 2