22.07.2024 · IWW-Abrufnummer 242799
Verwaltungsgerichtshof Bayern: Beschluss vom 11.06.2024 – 11 CS 24.628
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss vom 11. Juni 2024
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Unter Änderung von Nr. III. des angefochtenen Beschlusses wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 72.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
1
Gegenstand des Rechtsstreits ist der angeordnete Sofortvollzug hinsichtlich der Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuchs für zehn Fahrzeuge.2
Nach einer Verkehrsunfallanzeige der Polizei befuhr ein unbekannter Fahrzeugführer mit einem auf die Antragstellerin zugelassenen Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ... am 28. Oktober 2022 die Marsstraße in München, scherte hinter einem Stau nach rechts aus, überholte die wartenden Fahrzeuge auf dem Radfahrstreifen, streifte dabei ein rechts auf dem Seitenstreifen geparktes Fahrzeug, fuhr ca. 30-40 m auf dem Radfahrstreifen weiter, blieb kurz stehen, fuhr dann aber wieder auf die Fahrbahn und entfernte sich von der Unfallstelle, ohne zu warten. Nach dem Bericht der Polizei meldete eine Zeugin den Vorfall, die mit einer größeren Gruppe von Praktikanten auf dem Gehweg stand. Die Praktikanten hätten das Fahrzeugkennzeichen ablesen können. Bei einer sofort veranlassten polizeilichen Nachschau am Sitz der Antragstellerin wurde niemand angetroffen und auch das Fahrzeug nicht vorgefunden. Nach einem Sachverständigengutachten wurde am geparkten Fahrzeug ein Schaden in Höhe von 2.365,47 Euro (wirtschaftlicher Totalschaden) verursacht.3
Die Polizeiinspektion Buchloe stellte am 15. November 2022 im Rahmen der Spurensicherung die beim Unfall verursachten Beschädigungen am Fahrzeug mit dem Kennzeichen ... fest. Versuche, den Fahrzeugführer vor Ort zu ermitteln, blieben erfolglos. Die Unfallzeugin gab am 17. Mai 2023 an, den Fahrer auf einem Foto bzw. im Rahmen einer Wahllichtbildvorlage nicht identifizieren zu können. Der für den kaufmännischen Bereich, Vertrieb und Einkauf zuständige Geschäftsführer der Antragstellerin gab am 9. August 2023 an, die Schlüssel der Firmenfahrzeuge würden in einer unversperrten Schublade im Empfangsbereich am Unternehmenssitz aufbewahrt. Die Fahrzeuge dürften von den Mitarbeitern geschäftlich genutzt werden. Es werde nicht festgehalten, wenn ein Mitarbeiter einen Schlüssel hole. Man müsse auch keinem Vorgesetzten oder Verantwortlichen Bescheid geben. Er wisse nicht, wer das Fahrzeug mit dem Kennzeichen ... normalerweise oder öfter benutze. Der für den Fuhrpark und die Produktion zuständige Geschäftsführer der Antragstellerin bestätigte diese Angaben bei einer Befragung am 13. Oktober 2023 und ergänzte, er selbst nutze immer wieder die Fahrzeuge des Firmenpools für betriebliche Zwecke, trage dies aber nirgendwo ein. Der Firmenfuhrpark umfasse neun PKWs. Er könne nicht angeben, wer das Fahrzeug am 28. Oktober 2022 benutzt habe.4
Mit Verfügung vom 7. November 2023 stellte die Staatsanwaltschaft München I das Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Der Unfallverursacher habe bislang nicht ermittelt werden können.5
Nach Anhörung verpflichtete das Landratsamt Ostallgäu die Antragstellerin mit Bescheid vom 1. Februar 2024 unter Anordnung des Sofortvollzugs und Androhung eines Zwangsgelds, für zehn mit amtlichen Kennzeichen bezeichnete Fahrzeuge sowie für jedes zugelassene Ersatzfahrzeug für die Dauer von 36 Monaten nach Zustellung des Bescheids jeweils ein Fahrtenbuch zu führen. Es sei nicht möglich gewesen, den verantwortlichen Fahrzeugführer zu ermitteln. Die Antragstellerin habe keine Regelungen für den Umgang mit den Fahrzeugen ihres Fuhrparks getroffen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass mit dem Unfallfahrzeug, einem Ersatzfahrzeug oder einem weiteren Fahrzeug aus dem Fuhrpark weitere Verstöße begangen würden und eine Aufklärung wiederum nicht möglich sei. Die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs werde daher auf weitere, in Aufbau und Funktion vergleichbare Fahrzeuge ausgedehnt. Die Dauer der Anordnung bemesse sich an der Schwere des Verstoßes und der fehlenden innerbetrieblichen Organisation der Antragstellerin, die aufgrund kaufmännischer Gepflogenheiten ohnehin zur Dokumentation der Fahrzeugnutzung verpflichtet sei. Der Sofortvollzug werde angeordnet, weil ein dringendes Interesse an der zeitnahen Durchsetzung der Auflage bestehe und andernfalls zu befürchten wäre, dass mit den Fahrzeugen bis zur endgültigen Klärung weitere Verstöße begangen würden, deren Verantwortlicher nicht ausfindig gemacht werden könne.6
Gegen diesen Bescheid ließ die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Augsburg Klage erheben und die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragen.7
Mit Beschluss vom 26. März 2024 hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag abgelehnt. Die Klage habe voraussichtlich keinen Erfolg, da der Bescheid bei summarischer Prüfung rechtmäßig sei. Das Landratsamt habe den Sofortvollzug ausreichend begründet. Auch die Voraussetzungen für die Fahrtenbuchauflage seien erfüllt. Mit dem Fahrzeug der Antragstellerin sei am 28. Oktober 2022 der objektive Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort begangen worden. Mehrere Zeugen hätten den Unfall beobachtet und am Fahrzeug seien mit dem Schaden korrespondierende Spuren festgestellt worden. Es seien alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen worden, um den verantwortlichen Fahrer zu ermitteln. Die Antragstellerin habe nicht ihrer Obliegenheit entsprochen, Geschäftsfahrten längerfristig zu dokumentieren. Es sei nicht Aufgabe der Ermittlungsbehörden, innerbetriebliche Vorgänge aufzuklären, denen die Geschäftsleitung weitaus näherstehe. Die Ausweitung der Fahrtenbuchauflage auf alle Fahrzeuge, die in Aufbau und Funktion mit dem Unfallfahrzeug vergleichbar sein, sei verhältnismäßig, weil die fehlende Dokumentation der Fahrzeugnutzung alle den Mitarbeitern frei zugänglichen Fahrzeuge betreffe. Auch die Dauer der Fahrtenbuchauflage sei nicht zu beanstanden.8
Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, trägt die Antragstellerin vor, es seien keine beweissicheren Belege für die Verursachung des Schadens durch ein Fahrzeug der Antragstellerin vorgelegt worden. Eine Verletzung von Verkehrsvorschriften sei tatsächlich nicht festgestellt worden. Eine „Gegenüberstellung der Fahrzeuge“ habe zu keinem Zeitpunkt stattgefunden. Der Unfall sei nicht nach den polizeilichen Richtlinien aufgenommen worden. Aus der Ermittlungsakte ergebe sich lediglich eine Zeugenaussage, wonach Praktikanten das Kennzeichen abgelesen hätten und deren Namen nachgereicht werden könnten. Bislang sei dies nicht der Fall gewesen. Es sei Sache des Strafgerichts und nicht des Landratsamts, eine Straftat zu bejahen. Die Behörde sei auch unzutreffend vom Eintritt einer Verfolgungsverjährung nach drei Monaten ausgegangen. Sie habe die angegebenen Zeugen nicht befragt. Sie habe auch nicht dargelegt, aus welchen Gründen die Fahrtenbuchauflage für den gesamten Fuhrpark gelten solle. Insoweit sei die Auflage unverhältnismäßig.9
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.II.
10
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.11
1. Es bestehen ‒ worauf die Landesanwaltschaft Bayern zutreffend hinweist ‒ bereits erhebliche Zweifel, ob die Beschwerdebegründung, die sich in weiten Teilen auf eine Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens beschränkt, ohne sich näher mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinanderzusetzen, den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügt (vgl. BayVGH, B.v. 6.7.2020 ‒ 11 CS 20.854 ‒ juris Rn. 9 m.w.N.; Guckelberger in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 146 Rn. 76 ff.; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 146 Rn. 22a f.). Jedenfalls ergibt sich aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre. Vielmehr ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist und die Klage der Antragstellerin keine Aussicht auf Erfolg hat, weshalb auch die Interessenabwägung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu ihren Ungunsten ausfällt.12
a) Gemäß § 31a Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) vom 26. April 2012 (BGBl I S. 679), zuletzt geändert durch Verordnung vom 20. Juli 2023 (BGBl I Nr. 199), kann die nach Landesrecht zuständige Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Die Fahrtenbuchauflage soll als Maßnahme zur vorbeugenden Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs gewährleisten, dass zumindest für die Dauer der Verpflichtung mit dem Fahrzeug bzw. einem der Fahrzeuge begangene Verstöße geahndet und der Fahrer bzw. die Fahrerin ohne Schwierigkeiten festgestellt werden können. Außerdem soll Fahrern des Fahrzeugs, das einer Fahrtenbuchauflage unterliegt, vor Augen geführt werden, dass sie im Falle der Begehung eines Verkehrsverstoßes damit rechnen müssen, aufgrund ihrer Eintragung im Fahrtenbuch als Täter ermittelt und mit Sanktionen belegt zu werden (BVerwG, U.v. 28.5.2015 ‒ 3 C 13.14 ‒ BVerwGE 152, 180 Rn. 19; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 31a StVZO Rn. 11; Knop in Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht [Band 1], 1. Aufl. 2016, § 31a StVZO Rn. 1).13
b) Die Zuwiderhandlung muss in tatsächlicher Hinsicht feststehen. Die Prüfung obliegt der Behörde, die die Fahrtenbuchanordnung erlässt, und den Gerichten in eigener Zuständigkeit, sofern sich es zu einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren kommt (vgl. Knop, a.a.O. Rn. 6). Erforderlich und ausreichend ist die Verwirklichung des objektiven Tatbestands einer Verkehrsstraftat oder -ordnungswidrigkeit (Dauer, a.a.O. Rn. 16; Haus in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Aufl. 2022, § 31a StVZO Rn. 29a).14
Hier steht mit hinreichender Gewissheit fest, dass mit dem Fahrzeug der Antragstellerin mit dem amtlichen Kennzeichen ... am 28. Oktober 2022 Zuwiderhandlungen gegen Verkehrsvorschriften, insbesondere eine Straftat gemäß § 142 StGB (Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort), aber auch Ordnungswidrigkeiten (§ 49 Abs. 1 Nr. 5, Nr. 29, Abs. 3 Nr. 4 StVO) begangen wurden. Dies hat eine Zeugin vom Gehweg aus beobachtet und daraufhin die Polizei verständigt. Nach der am Tattag protokollierten Aussage der Zeugin, die mit einer größeren Gruppe von Praktikanten auf dem Gehweg stand, scherte das Fahrzeug am Ende eines Staus von der Fahrbahn nach rechts auf den Radfahrstreifen aus und fuhr auf diesem an den wartenden Fahrzeugen vorbei. Dabei touchierte der Fahrzeugführer ein auf dem Seitenstreifen geparktes Fahrzeug und setzte seine Fahrt fort, ohne zu warten und Feststellungen zu ermöglichen. Nach den Angaben der Zeugin konnten die Praktikanten das Kennzeichen des flüchtenden Fahrzeugs ablesen.15
Die Schäden am Fahrzeug des Unfallgegners (horizontale Kratz- und Andruckspuren, Fremdfarbanrieb) wurden aufgenommen und sind in einem Bericht der Verkehrspolizeiinspektion München vom 31. Oktober 2022 mit insgesamt zehn Fotografien dokumentiert. Außerdem liegt ein Sachverständigengutachten vom 7. November 2022 zur Schadenshöhe mit weiteren Fotos vor, wonach das geparkte Fahrzeug durch einen Anstoß hinten links beschädigt wurde und sich keine Hinweise ergaben, dass der Fahrzeugzustand verändert worden sei. Am Fahrzeug der Antragstellerin hat die Polizeiinspektion Buchloe am 15. November 2022 im Rahmen der Spurensicherung ebenfalls Feststellungen getroffen und Fotografien angefertigt. Danach wurden frische Unfallspuren gesichert, die auf den Verkehrsunfall vom 28. Oktober 2022 hindeuten.16
c) Die Feststellung des Kraftfahrzeugführers war hier im Sinne von § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO unmöglich. Dies ist der Fall, wenn die Behörde alle nach den Umständen des Einzelfalls angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um ihn zu ermitteln. Der Fahrzeughalter ist für sein Fahrzeug verantwortlich und daher für die Ermittlungsbehörden der erste Ansprechpartner. Die Aufforderung zur Mitwirkung an der Aufklärung begründet für ihn die Obliegenheit, daran soweit mitzuwirken, wie es ihm möglich und zumutbar ist.17
Noch am Tattag hat eine Streifenbesatzung der Polizeiinspektion Buchloe am Sitz der Antragstellerin sowie am dortigen Wohnsitz eines ihrer beiden Geschäftsführer Ermittlungen durchgeführt, aber weder das Fahrzeug vorgefunden noch sonst jemanden angetroffen. Trotz mehrfachen Klingelns am Wohnanwesen öffnete dort niemand. Am 15. November 2022 sicherte die Polizeiinspektion Buchloe die Unfallspuren am Fahrzeug der Antragstellerin und befragte den an diesem Tag angetroffenen Fahrzeugführer (Kommanditist und Vater eines der Geschäftsführer der Antragstellerin), wer mit dem Fahrzeug am 28. Oktober 2022 gefahren sei. Er beantwortete diese Frage jedoch nicht und verwies auf seine anwaltliche Bevollmächtigte. Eine von dieser mit Schreiben vom 5. Januar 2023 nach gewährter Akteneinsicht angekündigte Stellungnahme blieb aus. Eine an sie gerichtete Aufforderung der Staatsanwaltschaft München I mit Schreiben vom 30. Mai 2023, den Fahrer des Fahrzeugs bis spätestens 20. Juni 2023 zu benennen, blieb nach Aktenlage ebenfalls unbeantwortet. Die Unfallzeugin erklärte auf Nachfrage am 7. Mai 2023, den Fahrer des Fahrzeugs bei einer Wahllichtbildvorlage nicht wiedererkennen zu können. Beide Geschäftsführer der Antragstellerin erklärten übereinstimmend bei Befragungen am 9. August 2023 und am 13. Oktober 2023, die Mitarbeiter hätten Zugriff auf die Fahrzeugschlüssel für den gesamten Fuhrpark, die in einer unversperrten Schublade aufbewahrt würden. Es werde weder schriftlich festgehalten, wer mit dem Fahrzeug gefahren sei, noch müsse man dies einem Vorgesetzten oder Verantwortlichen mitteilen.18
Bei dieser Sachlage waren weitere Ermittlungsansätze nicht erfolgversprechend. Die Feststellung des Kraftfahrzeugführers war vor allem deshalb unmöglich, weil die Antragstellerin ihren Obliegenheiten zur Dokumentation der Fahrzeugnutzung nicht nachgekommen ist, die ansonsten unschwer zu einem Ermittlungserfolg geführt hätten. Nach ständiger Rechtsprechung obliegt es dem kaufmännischen Halter eines Firmenfahrzeugs, Geschäftsfahrten insoweit längerfristig zu dokumentieren, dass solche Fahrten grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Erinnerung einzelner Personen rekonstruierbar sind und der jeweilige Fahrzeugführer im Einzelfall festgestellt werden kann. Unterbleiben dahingehende Angaben, trägt der betroffene Betrieb das Risiko, dass die fehlende Feststellbarkeit des Fahrers zu seinen Lasten geht und eine Fahrtenbuchauflage erlassen wird (BayVGH, B.v. 25.4.2022 ‒ 11 CS 22.549 ‒ juris Rn. 16; Dauer in Hentschel/König/Dauer, § 31a StVZO Rn. 32; Haus in Haus/Krumm/Quarch, § 31a StVZO Rn. 54, 74a, 76). Wenn die Antragstellerin, wie von beiden Geschäftsführern übereinstimmend erklärt, die Nutzung der Fahrzeuge in keiner Weise dokumentiert und ihre Mitarbeiter unbeschränkt Zugriff auf die Fahrzeugschlüssel haben, lädt dies geradezu ein, verkehrsrechtliche Vorschriften zu missachten, da eine Ahndung nicht zu befürchten ist.19
Die Staatsanwaltschaft München I hat das Ermittlungsverfahren mit Verfügung vom 7. November 2023 eingestellt. Dass das Landratsamt in seinem Bescheid auf die hier nicht einschlägige Frist der Verfolgungsverjährung bei Ordnungswidrigkeiten (§ 26 Abs. 3 StVG) hingewiesen hat, ist unschädlich und ändert nichts daran, dass die Feststellung des Fahrzeugführers hier unmöglich war.20
d) Das Landratsamt hat die Fahrtenbuchauflage auch zu Recht auf den gesamten PKW-Fuhrpark der Antragstellerin ausgedehnt und die Führung der Fahrtenbücher für jeweils 36 Monate angeordnet.21
aa) Nach den Angaben der Geschäftsführer der Antragstellerin betrifft die unzureichende Dokumentation der Fahrzeugnutzung nicht nur das am Unfallbeteiligte Fahrzeug mit dem Kennzeichen ..., sondern den gesamten, nach den Ermittlungen des Landratsamts bei Erlass des Bescheids aus zehn Fahrzeugen bestehenden PKW-Fuhrpark. Nach der Rechtsprechung ist für die Rechtmäßigkeit einer Erstreckung der Fahrtenbuchauflage auf mehrere oder sämtliche auf den Fahrzeughalter zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge maßgeblich, ob nicht aufklärbare Verkehrsverstöße nicht nur mit dem Tatfahrzeug, sondern auch mit anderen Fahrzeugen des Halters zu erwarten sind (vgl. BayVGH, B.v. 23.2.2021 ‒ 11 CS 20.3145 ‒ juris Rn. 20; Knop in Münchener Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, § 31a StVZO Rn. 29). Dies kommt nicht nur dann in Betracht, wenn mit verschiedenen Fahrzeugen des Halters in der Vergangenheit bereits wiederholt nicht aufklärbare Verkehrsordnungswidrigkeiten begangen und ggf. weitere Fahrtenbuchauflagen angeordnet worden sind, sondern auch im Falle einer erheblichen Verkehrszuwiderhandlung mit nur einem Fahrzeug, wenn ‒ wie hier ‒ sonst aufgrund des Verhaltens des Halters und seiner Nutzungsgepflogenheiten einschlägige nicht aufklärbare Zuwiderhandlungen auch mit anderen Fahrzeugen zu erwarten sind (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, § 31a StVZO Rn. 60 m.w.N.). Das Landratsamt hat sich dabei anhand des örtlichen Fahrzeugregisters auf die PKWs der Antragstellerin beschränkt und weitere, in Aufbau und Verwendungszweck mit dem Unfallfahrzeug nicht vergleichbare Fahrzeuge (Zugmaschinen, LKWs, Anhänger, Quad) von der Anordnung ausgenommen. Bei einem kaufmännischen Unternehmen handelt sich bei einer Fahrtenbuchauflage ohnehin um einen eher geringfügigen Eingriff, da ihr hiermit keine zeitintensiven zusätzlichen Pflichten auferlegt werden. Denn bei Firmenfahrzeugen entspricht es ‒ wie bereits ausgeführt ‒ sachgerechtem kaufmännischem Verhalten, Geschäftsfahrten längerfristig zu dokumentieren. Die Fahrtenbuchauflage verlangt der Antragstellerin somit nichts Unzumutbares ab (vgl. BayVGH, B.v. 23.2.2021 ‒ 11 CS 20.3145 ‒ juris Rn. 24). Insoweit bestehen gegen die Anordnung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit keine Bedenken.22
bb) Gleiches gilt für die Dauer der Anordnung. Maßgeblich hierfür ist vor allem das Gewicht der festgestellten Verkehrszuwiderhandlung. Je schwerer das mit dem Kraftfahrzeug des Halters begangene Verkehrsdelikt wiegt, desto eher ist es gerechtfertigt, dem Fahrzeughalter eine nachhaltige Überwachung der Nutzung seines Fahrzeuges für einen längeren Zeitraum zuzumuten. Denn mit zunehmender Schwere des ungeahndet gebliebenen Delikts wächst das Interesse der Allgemeinheit, der Begehung weiterer Verkehrsverstöße vergleichbarer Schwere entgegenzuwirken. Das Bundesverwaltungsgericht sieht es als naheliegend an, wenn sich die zuständige Behörde für die konkrete Bemessung der Dauer der Fahrtenbuchauflage am Punktesystem der Anlage 13 zu § 40 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) ausrichtet (BVerwG, U.v. 28.5.2015 ‒ BVerwGE 152, 180 Rn. 20 ff., ebenso BayVGH, B.v. 13.10.2022 ‒ 11 CS 22.1897 ‒ juris Rn. 17; B.v. 31.1.2022 ‒ 11 CS 21.3019 ‒ juris Rn. 11; Haus in Haus/Krumm/Quarch, § 31a StVZO Rn. 18, 28 ff.). Hiervon ausgehend ist die Verpflichtung, die Fahrtenbücher für jeweils 36 Monate zu führen, nicht zu beanstanden. Die Straftat des unerlaubten Entfernens vom Unfallort ist nach Anlage 13 Nr. 1.7 zu § 40 FeV mit drei Punkten im Fahreignungs-Bewertungssystem eingestuft und fällt damit in die höchste Bewertungskategorie. Auch bei erstmaligem Verstoß rechtfertigt dies eine Verpflichtung für einen Zeitraum von drei Jahren (vgl. auch Dauer in Hentschel/König/Dauer, § 31a StVZO Rn. 55; Haus in Haus/Krumm/Quarch, § 31a StVZO Rn. 84 m.w.N.).23
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.24
4. Nach den Empfehlungen in Nr. 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, denen der Senat folgt, ist bei einer Fahrtenbuchauflage je Monat ein Streitwert in Höhe von 400,- Euro anzusetzen, der sich in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf die Hälfte reduziert, sofern der Beschluss die Entscheidung in der Hauptsache nicht ganz oder zum Teil vorwegnimmt (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs). Daraus ergibt sich bei 36 Monaten pro Fahrzeug ein Streitwert von 7.200,- Euro. Da das Landratsamt die Verpflichtung zur Führung der Fahrtenbücher für zehn Fahrzeuge angeordnet hat, beträgt der Streitwert insgesamt 72.000,- Euro. Eine Ermäßigung aufgrund der Dauer der Verpflichtung oder der Zahl der Fahrzeuge ist jedenfalls bei zehn Fahrzeugen nicht veranlasst (BayVGH, B.v. 23.2.2021 ‒ 11 CS 20.3145 Rn. 26; vgl. auch Dauer in Hentschel/König/Dauer, § 31a StVZO Rn. 84). Die Befugnis zur Änderung des Streitwertbeschlusses in der Rechtsmittelinstanz, von der der Senat nach Anhörung der Beteiligten Gebrauch macht, ergibt sich aus § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.25
4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).