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  • 13.11.2024 · IWW-Abrufnummer 244734

    Bayerisches Oberstes Landgericht: Beschluss vom 10.10.2024 – 202 ObOWi 989/24

    Beruht die vor Inkrafttreten des § 24 Abs. 1a StVG n.F. am 22.08.2024 erfolgte Verurteilung wegen (vorsätzlichem oder fahrlässigem) Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter der Wirkung von THC auf der Feststellung eines den neuen gesetzlichen Wirkungsgrenzwert von 3,5 ng/ml THC im Blutserum nicht erreichenden sog. analytischen Nachweisgrenzwert, ist der Betroffene auf die Rechtsbeschwerde hin neben der Aufhebung des angefochtenen Urteils in Anwendung von § 4 Abs. 3 OWiG durch das Rechtsbeschwerdegericht freizusprechen, sofern auch eine verfolgbare Bußgeldahndung nach § 24c StVG n.F. ausscheidet.


    BayObLG

    Beschluss vom 10.10.2024 


    In pp.

    I. Auf die Rechtsbeschwerden des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Sonthofen vom 9. Juli 2024 aufgehoben.

    II. Der Betroffene wird freigesprochen.

    III. Die Staatskasse hat die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

    Gründe:

    I.

    Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 09.07.2024 wegen einer am 30.07.2023 gegen 22.53 Uhr als Führer eines Pkws begangenen fahrlässigen Ordnungswidrigkeit gemäß § 24a Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 StVG a.F. eine Geldbuße von 500 Euro festgesetzt sowie ein (Regel-) Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Nach den Feststellungen steuerte der Betroffene zur vorgenannten Tatzeit einen Pkw im Straßenverkehr, obwohl er, wie er wusste, zuvor Cannabis konsumiert hatte und er aufgrund dessen bei Beachtung der ihm nach den Umständen möglichen und zumutbaren Sorgfalt hätte erkennen können, dass er bei der Fahrt noch unter dessen berauschender Wirkung stand, weil die von ihm bewusst aufgenommene Rauschdroge noch nicht vollständig abgebaut war. Zum Zeitpunkt der Fahrt hatte der Betroffene in seinem Blut Tetrahydrocannabinol (im Folgenden: THC) in einer Konzentration von 2,1 ng/ml. Der polizeiliche Zeuge stellte im Übrigen anlässlich der verdachtsunabhängigen Kontrolle beim Betroffenen drogentypische Auffälligkeiten wie eine verlangsamte Reaktion, Zittern, Augenlid-Flattern und gerötete Augen fest. Ein Atemalkoholtest ergab eine Atemalkoholkonzentration (im Folgenden: AAK) von 0,0 mg/l. Der Betroffene verweigerte einen freiwilligen Drogentest, weshalb eine Blutentnahme polizeilich angeordnet wurde, welche am 30.07.2023 um 23.31 Uhr ärztlich mit dem Resultat eines THC-Messwertes von 2,1 ng/ml durchgeführt wurde. Das festgestellte THC rührte nicht aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels. Mit der gegen seine Verurteilung gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Mit Zuleitungsschrift vom 20.09.2024 beantragt die Generalstaatsanwaltschaft München, den Betroffenen unter Aufhebung des angefochtenen Urteils freizusprechen.

    II.

    Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist bereits auf die Sachrüge hin begründet. Sie führt neben der Aufhebung des angefochtenen Urteils zum Freispruch des Betroffenen. Auf den weiteren, von der Rechtsbeschwerde offenbar rechtsirrig als Vorbringen im Rahmen der Beanstandung von vermeintlichen Verfahrensfehlern vorgebrachten Rügevortrag kommt es nicht mehr an. Zu den zur Urteilsaufhebung zwingenden und den Freispruch gebietenden Rechtsgründen führt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer vorgenannten Antragsschrift im Wesentlichen aus:

    „Der Betroffene ist aus Rechtsgründen freizusprechen, weil die rechtsfehlerfrei festgestellte Tat nach Inkrafttreten des 6. Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 16.08.2024 (BGBl. I 2024 Nr. 266) nicht mehr geahndet werden kann.

    1. Das Amtsgericht ist zwar zum Entscheidungszeitpunkt unter Heranziehung der bis zum 21.08.2024 geltenden Rechtslage zu Recht davon ausgegangen, dass der Betroffene, weil er zur Tatzeit eine Konzentration von 2,1 ng/ml THC im Blutserum hatte, den Bußgeldtatbestand des § 24a Abs. 2 StVG in der damals geltenden Fassung verwirklicht hat. Nach der Rechtsprechung konnte bei dem Fahren unter dem Einfluss der in der Anlage zu § 24a StVG aufgeführten Betäubungsmittel ab einer bestimmten analytischen Konzentration im Blut auf ein objektiv und subjektiv sorgfaltswidriges Verhalten im Sinne des § 24a Abs. 2 und 3 StVG a.F. geschlossen werden, ohne dass der Tatrichter einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Konsum und Fahrtantritt feststellen muss […]. Dieser Grenzwert lag in Bezug auf den Konsum von Cannabis in st.Rspr. der Oberlandesgerichte bei 1 ng/ml THC im Blutserum. Veranlassung, vor Inkrafttreten der Neuregelung von diesem maßgeblichen sog. analytischen Nachweisgrenzwert für THC bzw. Cannabisprodukte zugunsten einer mit Blick auf § 44 KCanG in Aussicht genommenen Implementierung eines höheren gesetzlichen Wirkungsgrenzwertes im Rahmen des als abstraktes Gefährdungsdelikts ausgestalteten Tatbestandes des § 24a StVG abzuweichen, bestand für das Amtsgericht nicht (BayObLG, Beschl. v. 02.05.2024 ‒ 202 ObOWi 374/24, juris Rn. 5 mwN).

    Allerdings hat der Gesetzgeber im Zuge der zwischenzeitlich am 22.08.2024 in Kraft getretenen Neuregelung ‚Cannabis‘ aus der Anlage zu § 24a StVG gestrichen und mit § 24a Abs. 1a StVG n.F. für das Führen eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr unter dem Einfluss von Cannabis einen eigenen Bußgeldtatbestand geschaffen, wobei er den Wirkungsgrenzwert gesetzlich auf 3,5 ng/ml THC oder mehr im Blutserum festgelegt hat. Dieser Wert wird vorliegend nicht erreicht, so dass das festgestellte Verhalten weder dem Tatbestand des § 24a Abs. 2 StVG n.F. noch dem des § 24a Abs. 1a StVG n.F. unterfällt.
    Maßgebend ist die Rechtslage im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung, weil das neue Recht für den Betroffenen günstiger ist; § 4 Abs. 3 OWiG, § 354a StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG […].

    2. Dass die Urteilsgründe offenlassen, ob sich der Betroffene, dem die Fahrerlaubnis 2019 möglicherweise auf Grundlage der Vorschriften über die Probezeit nach § 2a Abs. 2, 3 oder 4 StVG entzogen und erst 2022 neu erteilt worden war (UA S. 2), sich bei Begehung der Tat noch in der ‒ ggf. auch verlängerten ‒ Probezeit nach § 2a StVG befand (vgl. § 2a Abs. 1 Satz 7, Abs. 2a Satz 2 StVG), steht einem freisprechenden Erkenntnis nicht entgegen. Zwar wäre im Fall der Tatbegehung innerhalb der Probezeit nach neuem Recht der Bußgeldtatbestand des § 24c Abs. 1 StVG verwirklicht. Dieser sieht für Fahranfänger, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder sich in der Probezeit befinden, ein Alkohol- und Cannabisverbot vor, das in § 24c Abs. 1 Nr. 2 StVG in Bezug auf Cannabis die nach § 24a Abs. 2 und 3 StVG a.F. geltende frühere Rechtslage fortschreibt und für diesen Personenkreis ‒ neben dem in § 24c Abs. 1 Nr. 1 StVG geregelten Konsum während der Fahrt ‒ den Fahrtantritt unter der Wirkung der Substanz THC weiterhin mit Bußgeld bedroht. Ein Fall, dass der Gesetzgeber durch die völlige Umgestaltung der Rechtslage zu erkennen gegeben hätte, dass er nicht mehr das bisher verpönte, sondern ein ganz anders geartetes Verhalten als ordnungswidrig betrachtet, mit der Folge, dass die Tatbestände des alten und des neuen Gesetzes nicht mehr zueinander in Beziehung gesetzt werden können, liegt hier nicht vor. Die Anwendung des neuen Rechts würde mithin auch nicht gegen das Rückwirkungsverbot und das Bestimmtheitsgebot verstoßen (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 10.07.1975 ‒ GSSt 1/75, BGHSt 26, 167, 172 f.; zuletzt auch BayObLG, Beschl. v. 08.04.2024 ‒ 203 StRR 39/24, juris Rn. 11). Allerdings würde einer Ahndung der Tat unter dem Gesichtspunkt des § 24c Abs. 1 Nr. 2 StVG hier in jedem Fall das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung entgegenstehen. Die vorliegend allein in Betracht kommende fahrlässige Verwirklichung des § 24c Abs. 1 Nr. 2 StVG ist im Höchstmaß mit Geldbuße von 500 Euro bedroht […] und verjährt daher binnen sechs Monaten (§ 31 Abs. 2 Nr. 4 OWiG; zur Maßgeblichkeit der Bußgelddrohung des neuen Rechts für die Bestimmung der Verjährungsfrist vgl. nur Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, § 78 Rn. 5a mwN). Da der Betroffene die Tat am 30.07.2023 begangen hat, ihm bereits am Tattag im Zuge der polizeilichen Kontrolle der Verdacht einer Straftat eröffnet (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG bzw. § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB) und das Institut für Rechtsmedizin spätestens am 03.08.2023 (Bl. 28 d.A.) mit der Untersuchung der Blutprobe beauftragt worden war (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG), indes der Bußgeldbescheid erst am 07.02.2024 erging, d.h. nach mehr als sechs Monaten nach der letzten Unterbrechungshandlung, wäre insoweit […] Verfolgungsverjährung eingetreten. […]

    Da es sich bei der Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1a StVG, die mit einer höheren Geldbuße bedroht ist und zudem ein Regelfahrverbot nach sich ziehen würde, gegenüber § 24c Abs. 1 Nr. 2 StVG um den schwerwiegenderen Vorwurf handelt, hat der Freispruch hier den Vorrang; weiterer Sachaufklärung zur Verwirklichung des § 24c Abs. 1 Nr. 2 StVG bedarf es nicht […]."

    Diese in jeder Hinsicht zutreffenden, mit der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. zu § 24a Abs. 2 und 3 StVG a.F. BayObLG, Beschl. v. 02.05.2024 ‒ 202 ObOWi 374/24 bei juris = NZV 2024, 277 = DAR 2024, 401 = ZfSch 2024, 403 = Blutalkohol 61 [2024], 411 = BeckRS 2024, 10124 einerseits, zu § 24a Abs. 1a und 3 StVG n.F. i.V.m. lfd.Nr. 242 BKat n.F. OLG Oldenburg, Beschl. v. 29.08.2024 ‒ 2 ORbs 95/24 bei juris = BeckRS 2024, 22071 andererseits) im Einklang stehenden rechtlichen Erwägungen macht sich der Senat nach eigener Sachprüfung zu eigen.

    III.

    Nach alledem ist der Betroffene unter Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Sonthofen vom 09.07.2024 freizusprechen (§ 79 Abs. 3, 5 und 6 OWiG i.V.m. §§ 349 Abs. 4, 354a, 354 Abs. 1 StPO).

    IV.

    Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.

    V.

    Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 und Abs. 6 OWiG.

    VI.

    Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.

    RechtsgebieteKCanG, StGB, StBV, OWiG, StPO, BKatVorschriften§ 44 KCanG; § 78c Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB; § 2a StVG, § 24a Abs. 1a StVG, § 24a Abs. 2 StVG, § 24a Abs. 3 StVG, § 24c Abs. 1 Nr. 2 StVG; § 4 Abs. 3 OWiG, § 31 OWiG, § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG, § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 OWiG, § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG, § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG, § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, § 79 Abs. 5 OWiG, § 79 Abs. 6 OWiG, § 80a Abs. 1 OWiG; § 349 Abs. 4 StPO, § 354 Abs. 1 StPO, § 354a StPO, § 467 Abs. 1 StPO; BKat lfd.Nr. 242 n.F.