13.11.2013 · IWW-Abrufnummer 133440
Oberlandesgericht Köln: Beschluss vom 15.08.2013 – 1 RBs 233/13
Auch wenn der Widerspruch gegen eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung nicht gegenüber dem Amtsgericht, sondern gegenüber der Verwaltungsbehörde erklärt wurde, ist dem Tatrichter der in das schriftliche Verfahren versperrt.
OBERLANDESGERICHT KÖLN
BESCHLUSS
In der Bußgeldsache
gegen pp.
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Köln
auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Wipperfürth vom 4. April 2013
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 79 Abs. 3, 5 OWiG
in der Besetzung gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht
am 15. August 2013 beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur Verhandlung und erneuten Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Wipperfürth zurückverwiesen.
Gründe
Die Entscheidung entspricht dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, der wie folgt begründet worden ist:
„Der Landrat des Oberbergischen Kreises hat gegen den Betroffenen mit Buß-geldbescheid vom 05.10.2012 wegen Überschreitens der zulässigen Höchst-geschwindigkeit innerhalt ge-schlossener Ortschaften eine Geldbuße in Höhe von 620,00 Euro festgesetzt und zugleich ein Fahrverbot für die Dauer von drei Monaten angeordnet (BI. 32 f. d. VV).
Gegen diesen Bescheid hat der Betroffene mit anwaltlichem Schreiben vom 15.10.2012 Ein-spruch eingelegt. Zugleich hat er einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung widersprochen (BI. 37 f. d. VV).
Mit Schreiben vom11.03.2013 hat das Amtsgericht dem Betroffenen mitgeteilt, das beabsichtigt sei, über den Einspruch ohne Hauptverhandlung durch Beschluss zu entscheiden (BI. 3 f. d. A.). Nachdem der Betroffene darauf nicht reagiert hat, hat das Amtsgericht Wipperfürth mit Beschluss vom 04.04.2013 - 4 OWi 116/13 - gegen den Betroffenen gemäß § 72 OWiG im schriftlichen Verfahren wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße in Höhe von 620,00 Euro und ein Fahrverbot von drei Monaten festgesetzt (BL 7 f. d. A.).
Gegen diesen, dem Verteidiger am 28.05.2013 zugestellten (81. 13 d. A.), Beschluss hat der Betroffene mit anwaltlichem Schreiben vom 28.05.2013, beim Amtsgericht eingegangen am selben Tag, Rechtsbeschwerde eingelegt (BI. 14 f. d. A.), mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 5 OWiG statthaft und begegnet auch hinsichtlich der Erfüllung ihrer Zulässigkeitsvoraus-setzungen keinen Bedenken. In der Sache `erweist sie sich als begründet.
Die ordnungsgemäß ausgeführte Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe unter Verstoß gegen § 72 Abs. 1 OWiG im Beschlussverfahren entschieden, greift durch.
Zur ordnungsgemäßen Rüge der Verletzung des § 72 Abs. 1 OWiG müssen die Verfahrensvorgänge vollständig vorgetragen werden, die den rechtzeitigen Widerspruch gegen das Beschlussverfahren belegen oder sonst das schriftliche Verfahren sperren. Es muss demnach vorgetragen werden, dass der Betroffene einer Beschlussentscheidung rechtzeitig widersprochen hat oder dass der Tatrichter aus sonstigen Gründen nicht von einem Einverständnis des Betroffenen mit einer Entscheidung im Beschlussverfahren ausgehen konnte (vgl. u. a. SenE vom 07.01.2002 - Ss 545/01 B ). Der vorliegenden Begründungsschrift ist eine diesen Anforderungen genügende Rüge zu entnehmen.
In der Sache hat das Rechtsmittel insofern (vorläufigen) Erfolg, als es gemäß § 353 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht (§ 79 Abs. 6 OWiG) führt.
Bei dem vorliegenden Verfahrensgang durfte das Amtsgericht keine Entscheidung durch Be-schluss (§ 72 OWiG) treffen. Denn der von dem Verteidiger des Betroffenen bereits mit dem Schreiben vom 15.10.2012 erklärte Widerspruch gegen eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung hat dem Amtsgericht gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 OWiG den Weg in das schriftliche Verfahren versperrt. Insoweit kommt der Tatsache, dass der Widerspruch nicht gegenüber dem Amtsgericht, sondern gegenüber der Verwaltungsbehörde erklärt wurde, keine Bedeutung zu. Mit dem Eingang der Akten beim Amtsgericht gilt nämlich auch der im Vorverfahren erklärte Widerspruch gegen eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung als gegenüber dem Gericht abgegeben (vgl. Göhler, OWiG, 15. Auflage, § 72 Rdnr. 11 und 29 m. w. N.).
Dass der Betroffene auf das Schreiben des Amtsgerichts vom 11.03.2013 nicht reagiert hat, ändert an dieser Verfahrenslage nichts. Denn ein wirksam erklärter Widerspruch gegen das Beschlussverfahren kann nur durch eine eindeutige Rücknahmeerklärung seine Bedeutung verlieren. Eine solche kann jedoch in einem bloßen Schweigen des Betroffenen auf den Hinweis des Gerichts nach § 72 Abs. 1 Satz 2 OWiG nicht erkannt werden (vgl. Göhler, a. a. 0., § 72 Rdnr. 25 m. w. N.)."
Der Senat stimmt diesen Ausführungen, die in Einklang mit seiner ständigen Rechtsprechung stehen, zu (vgl. zum Widerspruch vor Anhänigkeit der Sache bei Gericht: SenE v. 03.01.1986 - Ss 794/85 -; SenE v. 03.04.2002 - Ss 134/02 B -; SenE v. 24.10.2007 - 83 Ss-OWi 77/07 -; zum späteren Schweigen auf die Belehrung ferner: SenE v. 29.04.2003 - Ss 174/03 B -) .