12.08.2014 · IWW-Abrufnummer 142360
Bundesgerichtshof: Urteil vom 15.07.2014 – VI ZR 313/13
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 16. Mai 2014 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Pauge und Stöhr, die Richterin von Pentz und den Richter Offenloch
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 4. Juni 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt restlichen Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall am 27. November 2011, bei dem der Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeugs die Fahrerseite des parkenden Fahrzeugs der Klägerin beschädigte. Die volle Einstandspflicht der Beklagten ist unstreitig.
2
Der von der Klägerin beauftragte Sachverständige U. gelangte in seinem Gutachten vom 29. November 2011 zu Nettoreparaturkosten in Höhe von 6.579,97 €, wobei er für Instandsetzungs- und Lackierarbeiten einen Nettostundensatz von 96,96 € zugrunde legte und unter anderem Kosten für Fahrzeugverbringung in Höhe von 96,96 € und einen Preisaufschlag auf die unverbindlich empfohlenen Preise für Ersatzteile (UPE-Zuschlag) von 10 % in Ansatz brachte. Mit Schreiben vom 5. Dezember 2011 machte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin unter Übersendung des Gutachtens gegenüber der Beklagten unter anderem die Nettoreparaturkosten geltend, wobei er darauf verwies, dass die Klägerin vorerst auf Gutachtenbasis abrechne. Diese reparierte das Fahrzeug nachfolgend in Eigenregie.
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Mit Schreiben vom 30. Dezember 2011 rechnete die Beklagte den Schaden ab. Auf die Reparaturkosten kündigte sie eine Zahlung von 5.686,37 € an unter Hinweis auf ihren beigefügten Prüfbericht vom 13. Dezember 2011, in dem die im Gutachten ausgewiesenen Stundenverrechnungssätze als nicht erforderlich bezeichnet wurden. Zudem verwies sie auf den Meisterbetrieb Firma B. GmbH, dessen Stundenverrechnungssatz für Karosseriearbeiten 89 €, für Lackierung 93 € und für Mechanikarbeiten sowie Elektrikarbeiten 68 € betrage. Darüber hinaus wurden zwei weitere Reparaturbetriebe als gleichwertig bezeichnet und benannt.
4
Die Klägerin verlangt den Differenzbetrag zwischen den vom Sachverständigen U. kalkulierten Nettoreparaturkosten gemäß Gutachten und den im Prüfbericht zugestandenen in Höhe von 893,60 €. Zudem hat sie Ansprüche auf Zahlung bzw. Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten geltend gemacht. Das Amtsgericht hat die Klage hinsichtlich des Hauptantrages abgewiesen und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 155,29 € zu zahlen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des Amtsgerichts teilweise abgeändert und die Beklagte auch verurteilt, an die Klägerin 893,60 € zu zahlen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag weiter, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts in vollem Umfang zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
5
Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin nach Maßgabe des Gutachtens des Sachverständigen U. gemäß § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG ein weiterer Schadensersatzanspruch in Höhe von 893,60 € zu. Dabei könne es dahinstehen, ob es sich bei den von der Beklagten benannten Werkstätten um Partnerwerkstätten der Beklagten handele und sich diese deshalb nicht auf deren Stundenverrechnungssätze berufen dürfe. Denn die Klägerin sei zur fiktiven Abrechnung nach den im Gutachten U. wiedergegebenen Stundenverrechnungssätzen einer markengebundenen Fachwerkstatt schon deshalb berechtigt, weil ihr der Prüfbericht der Beklagten nicht rechtzeitig übermittelt worden sei.
II.
6
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
7
1. Das Berufungsgericht hat seine Auffassung, die Klägerin sei zur fiktiven Abrechnung nach den im Gutachten U. wiedergegebenen Stundenverrechnungssätzen berechtigt, damit begründet, dass ihr der Prüfbericht der Beklagten nicht rechtzeitig übermittelt worden sei. Dies steht im Widerspruch zur - zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung noch nicht veröffentlichten - Entscheidung des erkennenden Senats vom 14. Mai 2013 (VI ZR 320/12, VersR 2013, 876). Danach darf der Schädiger den Geschädigten, der - wie hier - fiktiv abrechnet, unter Umständen noch im Rechtsstreit auf günstigere Reparaturmöglichkeiten in einer Referenzwerkstatt verweisen.
8
a) Der Geschädigte darf, sofern die Voraussetzungen für eine fiktive Schadensberechnung vorliegen, dieser grundsätzlich die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (Senatsurteile vom 29. April 2003 - VI ZR 398/02, BGHZ 155, 1, 4 - Porsche-Urteil; vom 20. Oktober 2009 - VI ZR 53/09, BGHZ 183, 21 Rn. 7 f. - VW-Urteil; vom 22. Juni 2010 - VI ZR 302/08, VersR 2010, 1096 Rn. 6 - Audi-Quattro-Urteil; vom 22. Juni 2010 - VI ZR 337/09, VersR 2010, 1097 Rn. 6 - Mercedes-A 170-Urteil). Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats besteht in der Regel ein Anspruch des Geschädigten auf Ersatz der in einer markengebundenen Vertragswerkstatt anfallenden Reparaturkosten unabhängig davon, ob der Geschädigte den Wagen tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt (vgl. z.B. Senatsurteile vom 23. März 1976 - VI ZR 41/74, BGHZ 66, 239, 241; vom 29. April 2003 - VI ZR 398/02, BGHZ 155, 1, 3). Allerdings ist unter Umständen ein Verweis des Schädigers auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen anderen markengebundenen oder "freien" Fachwerkstatt möglich, wenn der Schädiger darlegt und ggf. beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht und der Geschädigte keine Umstände aufzeigt, die ihm eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen (Senatsurteile vom 20. Oktober 2009 - VI ZR 53/09, aaO Rn. 12 ff. - VW-Urteil; vom 23. Februar 2010 - VI ZR 91/09, VersR 2010, 923 Rn. 9, 11 - BMW-Urteil; vom 22. Juni 2010 - VI ZR 302/08, VersR 2010, 1096 Rn. 7 - Audi-Quattro-Urteil; vom 22. Juni 2010 - VI ZR 337/09, VersR 2010, 1097 Rn. 7 - Mercedes-A 170-Urteil; vom 13. Juli 2010 - VI ZR 259/09, VersR 2010, 1380 Rn. 7 - Mercedes-A 140-Urteil).
9
b) Hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem der Verweis spätestens erfolgen muss, bestanden zum Zeitpunkt des Erlasses des Berufungsurteils unterschiedliche Auffassungen. Der erkennende Senat hat inzwischen entschieden, dass der Verweis auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit im Fall einer fiktiven Schadensabrechnung des Geschädigten noch im Rechtsstreit erfolgen kann, soweit dem nicht prozessuale Gründe, wie die Verspätungsvorschriften, entgegenstehen (Senatsurteil vom 14. Mai 2013 - VI ZR 320/12, VersR 2013, 876 Rn. 10 f.; zustimmend Lemcke, r+s 2013, 359, 360; Witt, NJW 2013, 2818). Für den Geschädigten, der fiktiv abrechnet, ist es unerheblich, ob und wann der Versicherer auf die alternative Reparaturmöglichkeit verweist. Dem steht nicht entgegen, dass der Geschädigte nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen. Entscheidend ist, dass in solchen Fällen der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln ist. Der Geschädigte disponiert dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf dieser objektiven Grundlage zufrieden gibt. Hinweise des Schädigers auf Referenzwerkstätten dienen hier nur dazu, der in dem vom Geschädigten vorgelegten Sachverständigengutachten vorgenommenen Abrechnung entgegenzutreten. Im Hinblick darauf muss auch der Geschädigte, der den Fahrzeugschaden bereits behoben hat, ihn aber weiterhin fiktiv auf Gutachtenbasis abrechnet, mit der Möglichkeit rechnen, dass die Erforderlichkeit des vom Gutachter ermittelten Geldbetrages noch im Prozess von der Gegenseite bestritten wird und sich bei der Überzeugungsbildung des Gerichts, ob der verlangte Geldbetrag der erforderliche Geldbetrag im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ist, ein geringerer zu ersetzender Betrag ergibt (vgl. Lemcke, aaO).
10
2. Die Sache ist nach den vorstehenden Ausführungen gemäß § 563 Abs. 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil dieses nicht geprüft hat, ob die Voraussetzungen für einen Verweis des Schädigers auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit erfüllt sind.
Galke
Offenloch
von Pentz
Stöhr
Pauge
Von Rechts wegen
Verkündet am: 15. Juli 2014