27.08.2014 · IWW-Abrufnummer 142590
Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 26.06.2014 – 1 RBs 105/14
1. 1.
Beim Messprotokoll handelt es sich um eine "in einer Urkunde enthaltene Erklärung der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen", die keine Vernehmung zum Gegenstand haben (§ 256 Abs. 1 S. 5 StPO i.V.m. 71 OWiG). Insoweit besteht für die Verlesung kein Zustimmungserfordernis und dementsprechend auch nicht für die Bekanntgabe dem wesentlichen Inhalt nach (§ 78 Abs. 1 OWiG). § 77a Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 OWiG greift nicht ein, da das Zustimmungserfordernis hier nur gilt, wenn es um Erklärungen geht, die nicht schon unter § 256 StPO fallen.
2. 2.
Bedarf die Verlesung des Schriftstücks keiner Zustimmung, so bedarf auch die Bekanntgabe seines wesentlichen Inhalts statt der Verlesung nach § 78 OWiG keiner solchen.
3. 3.
Die Zustimmung nach § 77a Abs. 4 OWiG zur Verlesung eines Schriftstücks umfasst nicht automatisch auch die Zustimmung zu einer Bekanntgabe des Schriftstücks seinem wesentlichen Inhalt nach.
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens trägt der Betroffene (§ 473 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG).
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 160 Euro verurteilt und gegen ihn ein einmonatiges Fahrverbot unter Gewährung der sog. "Viermonatsfrist" angeordnet.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 04.04.2013 gegen 10.31 Uhr innerorts die K17 in Höhe des Hauses Im Schade 2 in Attendorn aus Fahrtrichtung Olpe kommend mit einer Geschwindigkeit von 83 km/h. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit ist dort auf 50 km/h begrenzt.
Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Er erhebt Verfahrensrügen sowie die Rüge der Verletzung materiellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist offensichtlich unbegründet i.S.v. § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerderechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat.
1.
Der Betroffene dringt mit seinen Verfahrensrügen nicht durch.
a) Soweit der Betroffene eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes in Form der Verletzung der §§ 77a, 78 OWiG wegen fehlender Zustimmung des Betroffenen und des Verteidigers rügt, genügt die Rügebegründung - anders als die Generalstaatsanwaltschaft meint - den Anforderungen von § 344 Abs. 2 StPO (mit Ausnahme des Schriftstücks "Datensatz, Blatt (unleserlich) der Akten"). Insbesondere teilt sie mit, dass der Betroffene und sein Verteidiger dem Vorgehen nicht widersprochen hatten (S. 2 unten der Revisionsbegründung). Der Mitteilung, dass auch keine diesbezüglichen Beweisanträge gestellt wurden, bedurfte es hingegen nicht, weil dies (möglicherweise anders als bei der Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht) keine Auswirkungen auf den Erfolg dieser Rüge haben kann. Da die in der Rüge benannten Schriftstücke "ihrem wesentlichen Inhalt nach" bekanntgegeben und nicht etwa verlesen wurden und sich der wesentliche Inhalt aus den aufgrund der erhobenen Sachrüge vom Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmenden Urteilsgründen ergibt, bedurfte es - anders als im Falle einer Verlesung (vgl. OLG Karlsruhe VRS 1993, 362) - der wörtlichen Wiedergabe dieser Schriftstücke nicht. Dass bei einem Schriftstück in der Rechtsbeschwerdegründung wegen angeblicher Unleserlichkeit (die tatsächlich nicht gegeben ist, da die Zahl "8" eindeutig erkennbar ist) dessen nähere Bezeichnung fehlt, begründet nur in diesem Punkt, nicht aber insgesamt, einen Verstoß gegen die Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 StPO.
Der Umstand, dass in der Rechtsbeschwerdebegründung immer wieder darauf abgestellt wird, dass der Betroffene und sein Verteidiger der "Verwertung der verlesenen und in Augenschein genommenen Dokumente" nicht zugestimmt hätten, führt nicht zu einem Verstoß gegen § 344 Abs. 2 StPO. Zwar geht es hier nicht darum, ob die in der Rüge benannten Schriftstücke hätten verlesen oder in Augenschein genommen werden dürfen, sondern darum, ob sie - wie vorgetragen - durch Bekanntgabe ihres wesentlichen Inhalts zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden durften. Aus dem Gesamtinhalt der Rüge, insbesondere aus ihrem Einleitungssatz, ist aber hinreichend erkennbar, dass es dem Betroffenen gerade hierum geht.
Die Rüge ist aber nicht begründet.
Beim Messprotokoll und bei der Stellungnahme des PHK J (Bl. 41 d.A.) zum Tatort und zur dort bestehenden Geschwindigkeitsbeschränkung handelt es sich um "in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen", die keine Vernehmung zum Gegenstand haben (§ 256 Abs. 1 S. 5 StPO i.V.m. 71 OWiG). Insoweit besteht für die Verlesung kein Zustimmungserfordernis und dementsprechend auch nicht für die Bekanntgabe dem wesentlichen Inhalt nach (§ 78 Abs. 1 OWiG). § 77a Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 OWiG greift nicht ein, da das Zustimmungserfordernis hier nur gilt, wenn es um Erklärungen geht, die nicht schon unter § 256 StPO fallen (vgl. Göhler-Seitz, OWiG, 15. Aufl., § 77a Rdn. 3). Bedarf aber die Verlesung des Schriftstücks keiner Zustimmung, so bedarf auch die Bekanntgabe seines wesentlichen Inhalts statt der Verlesung nach § 78 OWiG keiner solchen (§ 78 Abs. 1 S. 2 OWiG "soweit").
Auch für die Bekanntgabe des wesentlichen Inhalts der übrigen Schriftstücke bestand kein Zustimmungserfordernis. Der Schulungsnachweis ist ebenso eine Urkunde wie der Datensatz Bl. 6 d.A. und der Eichschein, so dass diese nach §§ 71 OWiG, 249 StPO ebenfalls ohne Zustimmung weiterer Beteiligter in die Hauptverhandlung eingeführt werden konnten.
b) Die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht genügt schon deswegen nicht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 StPO, weil der Rechtsmittelführer in einem wesentlichen Punkt objektiv falsch vorträgt (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 10.05.2011 - 4 StR 584/10 = BeckRS 2011, 15304). Er behauptet nämlich, dass sich Angaben zur Fahrtrichtung des Betroffenen allenfalls aus der Stellungnahme des PHK J hätten gewinnen lassen können. Diese sei aber nur in Augenschein genommen worden. Tatsächlich wurde sie aber - ordnungsgemäß (vgl. oben) - nach §§ 78, 77a OWiG ihrem wesentlichen Inhalt nach bekanntgegeben.
2.
Im Übrigen schließt sich der Senat den zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft Hamm an.
Die Abfassung des Hauptverhandlungsprotokolls gibt dem Senat Anlass zu folgender Bemerkung:
Das Protokoll enthält - offenbar formularmäßig - folgenden Eintrag: "Der Betroffene, der/die Verteidiger/in sowie die Staatsanwaltschaft haben dem Verlesen und der Verwertung für die gerichtliche Entscheidung zugestimmt". Werden hier keine an den Einzelfall angepassten Streichungen vorgenommen, so kann dies die Beweiskraft des Protokolls gefährden, etwa wenn Widersprüche dadurch auftreten, dass dort eine Prozesshandlung eines Beteiligten beurkundet wird, der im Eingang des Protokolls unter den Erschienenen bzw. Anwesenden nicht aufgeführt ist (z.B. Staatsanwaltschaft). Außerdem bezieht sich dieser Satz nur auf das Verlesen der Schriftstücke, nicht aber auch auf eine Bekanntgabe ihres wesentlichen Inhalts nach § 78 OWiG. Die Zustimmung zur Verlesung beinhaltet aber nicht die Zustimmung auch zur Bekanntgabe nach § 78 OWiG. Denn es ist durchaus denkbar, dass ein Verfahrensbeteiligter der Verlesung eines Schriftstückes zustimmt, dessen Bekanntgabe seinem wesentlichen Inhalt nach aber nicht. Das kann z.B. der Fall sein, wenn es dem Verfahrensbeteiligten gerade auf den Wortlaut ankommt.