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  • 12.02.2015 · IWW-Abrufnummer 143837

    Oberlandesgericht Frankfurt/Main: Urteil vom 28.10.2014 – 22 U 150/13

    1. Die Teilzahlung des Kaskoversicherers während des Haftungsprozesses führt angesichts der Wirkung des § 86 VVG nicht zu einer Erledigung der Hauptsache, sondern ist gemäß § 265 Abs. 3 ZPO zu behandeln.

    2. Das Gericht ist dennoch an übereinstimmende Erledigungserklärungen gebunden.

    3. Zum Beweis des ersten Anscheins für Verletzung der absoluten Sorgfaltspflicht des § 7 Abs. 5 StVO bei Unfall in zeitlichem und örtlichem Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel.


    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    Urt. v. 28.10.2014

    Az.: 22 U 150/13

    Tenor:

    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 28. Juni 2013 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Das angefochtene Urteil wird für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung erklärt.

    Der Gegenstandswert für die Berufungsinstanz wird auf 11.783,13 € festgesetzt.
    Gründe

    I.

    Von der Wiedergabe des Sachverhalts wird gemäß den §§ 540 Abs. 2, 313a ZPO abgesehen, da ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung unzweifelhaft nicht zulässig ist.

    II.

    Die Berufung ist unbegründet.

    Das Landgericht hat durch das angefochtene Urteil zutreffend festgestellt, dass die Klägerin gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz aus dem Verkehrsunfall vom ... .09.2012 auf der B ... von O1 in Richtung O2 hat. Das Landgericht hat eine Beweisaufnahme durchgeführt und ist anschließend dazu gekommen, dass es von der Unfalldarstellung der Beklagten überzeugt ist. Das Landgericht hat ausgeführt, dass der Ehemann der Klägerin auf die linke Spur gefahren sei, um einen vor ihm fahrenden Lkw zu überholen, so dass der Beklagte zu 2), der bereits seit längerer Zeit mit angemessener Geschwindigkeit schon auf der linken Fahrspur gefahren sei, den Unfall durch sofortige Bremsung nicht mehr habe verhindern können. Das Landgericht hat sich dabei insbesondere auf die Aussage der Zeugin Z1 gestützt. Das Landgericht hat weiter ausgeführt, dass die Überzeugung aufgrund der Aussage der Zeugin Z1, die mit der Schilderung des Beklagten zu 2) übereinstimme, auch nicht durch die Aussage des Zeugen Z2 erschüttert werde. Dieser habe zwar angegeben, dass der Beklagte zu 2) noch ca. 100 Meter hinter ihm auf der rechten Fahrspur gewesen sei, als er auf die linke Fahrspur ausgeschert sei. Das Gericht habe nicht den Eindruck gehabt, dass der Zeuge bewusst die Unwahrheit gesagt habe. Dennoch könne vorliegend nicht ausgeschlossen sein, dass die Erinnerung des Zeugen getrübt und dieser angesichts des erheblichen wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits unbewusst die Unwahrheit gesagt habe.

    Angesichts des Verstoßes des Zeugen Z2 gegen § 7 Abs. 5 StVG habe die Klägerin den Unfall insgesamt verursacht, weshalb die Klage abzuweisen war.

    Diese Ausführungen halten jedenfalls im Ergebnis einer rechtlichen Überprüfung Stand. Weitere Beweisaufnahmen sind entgegen der Auffassung der Klägerin nicht erforderlich.

    Zunächst ist festzustellen, dass die Parteien übereinstimmend den Rechtsstreit in Höhe von 8.274,63 € in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Klägerin ihre Vollkaskoversicherung in Anspruch genommen hat, die entsprechend einen Betrag gezahlt hat. Der Senat ist an die Erledigungserklärungen der Parteien gebunden, da es sich um Bewirkungshandlungen handelt, deren Auslegung oder Korrektur durch den Senat nicht möglich ist. Der Senat ist deshalb an die Festlegung der Erledigung gebunden, obwohl tatsächlich kein Fall der Erledigung im Sinne des § 91a ZPO vorliegt. Durch die Zahlung der Vollkaskoversicherung ist ein Schadensersatzanspruch der Klägerin nicht erfüllt worden, vielmehr hat die Vollkaskoversicherung aufgrund des Versicherungsvertrags geleistet. Im Rahmen des Quotenvorrechtes des Versicherungsnehmers geht der Anspruch, soweit er für die Klägerin nicht mehr benötigt wird, gemäß § 86 VVG auf die Versicherung über. Der Anspruch ist mithin nicht untergegangen, sondern es liegt ein Fall des § 265 ZPO vor, der dazu führt, dass entweder in Form der Prozessstandschaft der Anspruch weiter durch die Klägerin geltend gemacht würde oder eine entsprechende Umstellung gemäß § 265 Abs. 3 ZPO zu erfolgen hat (vgl. nur OLG Karlsruhe, 13.12.2013, 1 U 51/13).

    Im Ergebnis spielt die Frage der Erledigung allerdings keine Rolle, da gemäß § 91a ZPO über die Kosten des Rechtsstreits danach zu entscheiden ist, wer ohne das eintretende Ereignis in der Hauptsache obsiegt hätte oder unterlegen gewesen wäre. Keinesfalls führt die Erledigungserklärung, wie die Klägerin meint, dazu, dass die Beklagtenseite die Kosten zu tragen hätte.

    Es kann vorliegend auch offenbleiben, ob die Beweisaufnahme durch das Landgericht vollständig und die Beweiswürdigung ausreichend erfolgt ist. Das Landgericht hat die angebotenen Zeugen vernommen und hat eine entsprechende Beweiswürdigung durchgeführt. Es kann davon ausgegangen werden, dass das Landgericht die verschiedenen Zeugenaussagen gegeneinander abgewogen hat und infolgedessen zu einer Überzeugung hinsichtlich des Vortrags der Beklagten gekommen ist. Die Darstellung der Beweiswürdigung krankt allerdings daran, dass zunächst dargestellt worden ist, dass das Gericht eine Überzeugung aufgrund der Aussage der Zeugin Z1 in Verbindung mit der Aussage des Beklagten zu 2) gefunden hat, die durch die Aussage des Zeugen Z2 nicht erschüttert werden konnte. Der Senat geht allerdings davon aus, dass es sich dabei lediglich um eine Frage der Formulierung handelt. Korrekt wäre die Darstellung, dass aufgrund der Gesamtwürdigung sämtlicher Aussagen das Gericht zu einer bestimmten Beweiswürdigung kommt. Es geht nämlich nicht darum, dass die Aussage eines Zeugen eine schon bereits gefundene Überzeugung erschüttern würde, sondern eine solche kann erst gefunden werden bei Abwägung sämtlicher Aussagen.

    Der Senat hält es auch nicht für erforderlich, ein Sachverständigengutachten einzuholen, insbesondere auch nicht zu der Frage, ob die Zeugin Z1 die fraglichen Fahrzeuge überhaupt ausreichend sehen konnte. Es gibt vorliegend kaum feste Anhaltspunkte, die als Anknüpfungspunkte für ein Sachverständigengutachten in Betracht kommen. Es kann auch für den Senat dahinstehen, inwieweit die Zeugin Z1 überhaupt die Unfallstelle einsehen konnte oder nicht. Angesichts der widerstreitenden Zeugen- und Parteiaussagen steht für den Senat lediglich fest, dass der Unfall passiert ist, als der Zeuge Z2 von der rechten auf die linke Fahrspur gewechselt ist. Wo sich das Fahrzeug des Beklagten zu 2) befunden hatte, bevor der Zeuge Z2 sein Fahrzeug auf die linke Fahrspur lenkte, ist zwischen den Parteien streitig, wenn auch eindeutig von der Zeugin Z1 bekundet. Die Frage kann allerdings offenbleiben, da jedenfalls im Zeitpunkt des Fahrspurwechsels der Beklagte zu 2) mit seinem Fahrzeug so nah an dem Fahrzeug des Klägers war, dass es im Zusammenhang mit dem Fahrspurwechsel zu einer Kollision gekommen ist.

    Gemäß § 7 Abs. 5 StVO hat sich der Fahrer des ausscherenden Fahrzeugs so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Aus der Regelung dieser absoluten Sorgfaltspflicht folgert die herrschende Rechtsprechung einen Anscheinsbeweis dahingehend, dass der Beweis des ersten Anscheins dafür spricht, dass diese Sorgfaltspflicht verletzt wurde, wenn es in örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Fahrspurwechsel zu einem Unfall gekommen ist (vgl. nur OLG Frankfurt, 21.01.08, 25 U 220/04, Nugel DAR 09, 552; OLG Frankfurt, 11.04.11, 22 U 128/09; Heß/Burmann, NJW 08, Seite 810).

    Der Beweis des ersten Anscheins als Ausprägung der richterlichen Überzeugung gemäß § 286 ZPO kann erschüttert werden, wenn die dadurch belastete Partei die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs dargetan und die dafür erforderlichen Tatsachen bewiesen hat (BGH, 13.02.07, 6 ZR 58/06; OLG Frankfurt am Main, 15.11.07, 26 U 9/07; OLG Celle, 27.05.09, 14 U 2/09).

    Dafür ist vorliegend allerdings nichts Ausreichendes ersichtlich. Der Zeuge Z2 hat zwar bekundet, dass ihn kein Verschulden am Unfall infolge des Fahrstreifenwechsels traf. Dies reicht allerdings angesichts der entgegenstehenden Aussage des Beklagten zu 2), der als Partei des Unfalls die gleiche Glaubwürdigkeit besitzt wie der am Unfall ebenfalls beteiligte Zeuge, nicht aus. Unabhängig von der Rolle im Prozess haben die Unfallbeteiligten jeweils grundsätzlich die gleiche persönliche Glaubwürdigkeit. Allein die Tatsache, dass die Zeugenaussage unter einer ausdrücklichen Strafbarkeitsregelung steht, reicht zu einer unterschiedlichen Bewertung nach allgemeiner neuerer Ansicht nicht aus.

    Es gibt auch keine weiteren Anhaltspunkte, die den Beweis des ersten Anscheins erschüttern könnten, so dass für den Senat feststeht, dass der Unfall durch den Zeugen Z2 durch Unterlassung der erforderlichen Sorgfalt gemäß § 7 Abs. 5 StVO verursacht worden ist.

    Angesichts dieser Sorgfaltspflichtverletzung tritt nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung eine einfache Betriebsgefahr im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG, die nicht nachgewiesenermaßen durch besondere Umstände erhöht ist, in vollem Umfang zurück (vgl. nur OLG Saarbrücken, 27.07.2010, 4 U 585/09).

    Scheidet mithin ein Verursachungsbeitrag der Beklagtenseite in vollem Umfang aus, ist die Klage auch in dem geänderten Umfang vollständig unbegründet.

    Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO. Anhaltspunkte für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 543 ZPO).

    RechtsgebieteStVO, ZPO, VVG, StVGVorschriftenStVO § 7 Abs. 5; ZPO § 91a; ZPO § 265 Abs. 3; VVG § 86; § 7 Abs. 1 StVG; § 17 Abs. 2 StVG