12.02.2015 · IWW-Abrufnummer 143838
Oberlandesgericht Frankfurt/Main: Urteil vom 28.10.2014 – 22 U 175/13
Die ursprünglich zulässige Feststellungsklage wird nicht dadurch unzulässig, dass im Verfahren ein Teilurteil hinsichtlich der Zukunftsschäden ergeht und die eingetretenen Schäden bezifferbar sind.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main
Urt. v. 28.10.2014
Az.: 22 U 175/13
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 12.7.2013 abgeändert. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom ... 1.2012 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 961,28 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 8.1.2013 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Gegenstandswert für die Berufungsinstanz wird auf 16.019,52 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin verlangt mit der Klage die Feststellung von Schadensersatzansprüchen aus einem Verkehrsunfall vom ... 1.2012 in O1, bei dem die Klägerin als Fußgängerin durch das bei der Beklagten haftpflichtversicherte Kraftfahrzeug verletzt wurde. Die Klägerin erlitt Wirbelfrakturen, eine Nasenbeinfraktur, Rippenprellungen und Hautabschürfungen. Eine Operation hinsichtlich der Wirbelfrakturen musste nicht erfolgen. Ab dem 27.3.2012 konnte die Klägerin ihr duales Studium bei der A wieder aufnehmen. Vom 29.4. - 5.5.2012 befand sie sich wegen HWS-Schmerzen in stationärer Behandlung. Am 28.6.2012 unterzog sich die Klägerin einer Nasenoperation, die unter dem 12.5.2013 wiederholt werden musste.
Die Klägerin nahm außerdem wegen der Wirbelkörperfrakturen an zahlreichen Rehabilitationsmaßnahmen teil, die nach den vorgelegten Unterlagen jedenfalls bis Ende 2012 andauerten.
Mit Schreiben vom 23.2.2012 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten erste Ansprüche auf Schmerzensgeld, vermehrte Bedürfnisse und Haushaltsführungs-Schaden geltend und verlangte 7.344,- €. Auf diesen Betrag zahlte die Beklagte einen Betrag von 7.000 €. Mit Schreiben vom 15.8.2012 forderte die Klägerin die Beklagte auf, eine Titel ersetzende Haftungserklärung abzugeben und bezifferte, nachdem zwischenzeitlich die Nasenoperation erfolgt war, den Gesamtschaden auf 20.054,50 €. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Bl. 7 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.
Die Beklagte erklärte mit Schriftsatz vom 29.8.2012, dass sie insgesamt lediglich einen Betrag von 5.862,28 € akzeptiere, weshalb durch die Zahlung von 7.000,00 € ein angemessener Ausgleich erfolgt sei. Die Abgabe einer Haftungserklärung zur Feststellung ("Feststeller") hielt die Beklagte mangels Vorliegens eines Dauerschadens für nicht erforderlich.
Nachdem die Klägerin mit der Klage die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten verlangt hatte, hat diese den Anspruch teilweise hinsichtlich der zukünftigen Schäden anerkannt, weshalb insoweit Teilanerkenntnis des Landgerichts am 20.2.2013 ergangen ist.
Das Landgericht hat durch das angefochtene Urteil, auf das hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie der dort gestellten Anträge Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen.
Es hat zur Begründung ausgeführt, dass die Klage nicht zulässig sei. Nachdem wegen der Zukunftsschäden das Teilanerkenntnis ergangen sei, könne die Klägerin wegen der bereits eingetretenen Schäden nicht mehr Feststellung verlangen, sondern müsse wegen der Exklusivität der Leistungsklage eine solche erheben. Ihr fehle deshalb das Rechtsschutzbedürfnis. Dass die Klägerin die Ansprüche für die Vergangenheit beziffern könne, folge bereits aus dem Berechnungsschreiben. Aus einem Feststellungsurteil könne auch keine Rechtssicherheit hinsichtlich der in der Vergangenheit entstandenen Schäden geschaffen werden, weil die Beklagte inhaltliche Einwände gegen die Berechnung der Klägerin erhoben habe, die sich nicht auf die Haftungsquote, sondern auf den entstandenen Schaden an sich bezögen.
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin, mit der diese ihr erstinstanzliches Begehren weiter verfolgt und darauf hinweist, dass es vorliegend lediglich um die Sicherung des Stammrechts gehe, das weder teilbar noch von der Beklagten außergerichtlich oder gerichtlich ausreichend anerkannt worden sei.
Die Klägerin beantragt,
wie erkannt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und macht geltend, dass die Klägerin ohne weiteres zur Bezifferung ihrer Ansprüche in der Lage sei. Die Klägerin müsse auch nachweisen, dass sich ein Schaden noch in der Entwicklung befinde. Da die wesentlichen Schäden der Klägerin bereits bezifferbar gewesen seien, habe die Erhebung der Feststellungsklage auch nicht vor der Einrede der Verjährung schützen können. Insbesondere sei die Korrekturoperation der Nase aus kosmetischen Gründen durchgeführt worden. Hinsichtlich der HWS-Schmerzen werde eine Unfallfolge bestritten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands in der zweiten Instanz wird auf die wechselseitigen Schriftsätze und die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung ist begründet.
Die Klägerin hat Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten hinsichtlich der durch den Unfall entstandenen Schäden.
Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft wegen der Möglichkeit einer Leistungsklage die Feststellungsklage hinsichtlich der Sachschäden mangels eines rechtlichen Interesses an der Feststellung im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO als unzulässig abgewiesen, weil der Klägerin eine Bezifferung der unfallursächlichen Sachschäden möglich sei.
Nach der Rechtsprechung des BGH besteht keine allgemeine Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage; vielmehr ist eine Feststellungsklage trotz der Möglichkeit Leistungsklage zu erheben, zulässig, wenn die Durchführung des Feststellungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt (BGH 4.6.96 - VI ZR 123/95 -; BGH 28.9.99 - VI ZR 195/98).
1.
Dabei sind grundsätzlich zwei Arten von Feststellungsklagen zu unterscheiden: die allgemeine Feststellungsklage zur Klärung des Haftungsgrundes und Verjährungsunterbrechung und die besondere Feststellungsklage zur Klärung einzelner Schadenspositionen (BGH 28.9.99 - VI ZR 195/98).
Grundsätzlich ist anerkannt, dass eine große Versicherung begründete Ansprüche regulieren wird und deshalb eine Feststellungsklage grundsätzlich ausreicht (BGH aaO.; BGH 4.12.86 III ZR 205/85; BGH 9.3.04 - VI ZR 439/02). Dabei geht es aber nur um die Frage, ob der Antrag auf Feststellung bestimmter Schadenspositionen ausreichen würde. Dies ist vorliegend nicht einschlägig, da die Beklagte nicht ihre grundsätzliche Einstandspflicht, sondern den Anfall bestimmter Schadenspositionen bestreitet. Deshalb hilft die von der Klägerin geltend gemachte allgemeine Feststellungsklage dafür nicht weiter.
2.
Es kommt deshalb auf die Frage an, ob die Klägerin, obwohl ein Großteil der von ihr geltend gemachten Schäden bereits bezifferbar ist, dennoch die allgemeine Feststellungsklage erheben kann.
Dies ist vorliegend schon deshalb der Fall, weil im Zeitpunkt der Klageerhebung die Schadensentwicklung noch nicht vollständig abgeschlossen war. Soweit eine Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist, kann der Geschädigte in vollem Umfang die Feststellung der Ersatzpflicht begehren und nicht wegen des bereits entstandenen Schadens auf eine Leistungsklage verwiesen werden.
Ist bei Klageerhebung ein Teil des Schadens schon entstanden, die Entstehung weiteren Schadens jedenfalls nach seinem Vortrag aber noch zu erwarten, ist der Geschädigte grundsätzlich nicht gehalten, seine Klage in eine Leistungs- und Feststellungsklage aufzuspalten (BGH 21.2.91 - III ZR 204/89; BGH 8.7.03 - VI ZR 304/02; OLG Frankfurt am Main 18.9.14 - 12 U 111/13).
Vorliegend hat die Klägerin dargelegt, dass hinsichtlich ihrer Nase noch eine Operation zu erwarten war und sie weiterhin krankengymnastische Behandlungen zur Ausheilung der Wirbelsäulenverletzung in Anspruch nahm. Ob diese Behandlungen tatsächlich unfallbedingt waren, muss hier nicht entschieden werden, da es für die Frage des Feststellungsinteresses nur auf den Vortrag des Geschädigten ankommt.
3.
Der Senat ist darüber hinaus allerdings auch der Auffassung, dass bereits dann die generelle Feststellung der Ersatzpflicht verlangt werden kann, wenn nur noch Zukunftsschäden im Raum stehen. Der Geschädigte kann in einem solchen Falle nicht hinsichtlich des bereits entstandenen Schadens auf eine Leistungsklage verwiesen werden. Er braucht also sein Klagebegehren nicht in einen Leistungs- und einen Feststellungsantrag aufzuspalten Der Bundesgerichtshof hat insoweit ausdrücklich entschieden (BGH 4.12.86 - III ZR 205/85; so auch OLG Köln 15.1.08 - 4 U 21/07; 22.9.09 - 5 W 25/09; OLG Frankfurt am Main 12.10.11 - 12 U 98/10; LG Bad Kreuznach 29.12.08 - 3 O 87/08):
"Das Berufungsgericht hat Zukunftsschäden für möglich gehalten und insoweit der Feststellungsklage stattgegeben. Dann durfte es aber hinsichtlich der bereits in der Vergangenheit entstandenen Schäden ein Feststellungsinteresse des Klägers nicht verneinen."
Der BGH unterscheidet bei zukünftigen Schäden zwischen der Zulässigkeit der Feststellungsklage, für die lediglich die Möglichkeit eines weiteren Schadenseintritts ausreicht, also der Geschädigte bei verständiger Würdigung damit rechnen kann (BGH 2.4.14 - VIII ZR 19/13), und der Begründetheit. Ob dafür eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist, hat er offen gelassen (BGH 16.1.01 - VI ZR 381/99; BGH 9.1.07 - VI ZR 133/06).
Da vorliegend unzweifelhaft angesichts der erheblichen Verletzungen die Möglichkeit eines weiteren Schadenseintritts bestand - wie die Beklagte mit ihrem Teilanerkenntnis eingeräumt hat -, kam eine Aufspaltung in zwei Schadenskomplexe nach diesen Grundsätzen nicht in Betracht. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass bereits ein Teilurteil hinsichtlich der zukünftigen Schäden ergangen ist. Dieser prozessuale Akt ändert nichts an der zu diesem Zeitpunkt bereits vorhandenen Zulässigkeit der allgemeinen Feststellungsklage.
4.
Diesen Überlegungen stehen auch Gerechtigkeitsgesichtspunkte nicht entgegen. Die Beklagte hätte ohne weiteres die Möglichkeit gehabt, das Verfahren durch die übliche Abgabe einer Titel ersetzenden Erklärung zu vermeiden. Warum sie dies trotz der feststehenden Haftung nicht getan hat, ergibt sich lediglich aus ihrer fehlerhaften Einschätzung des Dauerschadens. Dass durch eine solche Erklärung die Verjährung auch hinsichtlich bereits entstandener Ansprüche für 30 Jahre gehemmt war, ist im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit des Geschädigten hinzunehmen, der nach der Rechtsprechung des BGH die Schadensentwicklung insgesamt abwarten darf und auch im Hinblick auf das Schmerzensgeld keine vorzeitigen Festlegungen vornehmen muss.
III.
Die Nebenforderung folgt aus § 286 BGB.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, da der Senat nicht von der Rechtsprechung anderer Gerichte abweicht und die zugrunde liegenden Rechtsfragen geklärt sind (§ 543 ZPO).