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  • 14.01.2016 · IWW-Abrufnummer 146152

    Kammergericht Berlin: Beschluss vom 10.10.2013 – 2 AR 38/13

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Kammergericht

    Beschluss

    Geschäftsnummer: 2 AR 38/13

    In dem Rechtsstreit

    F ./. A

    hat der zweite Zivilsenat des Kammergerichts am 10. Oktober 2013 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Hawickhorst, die Richterin am Kammergericht Lang und den Richter am Kammgericht Franck

    b e s c h l o s s e n :

    Das Amtsgericht Mitte wird als örtlich zuständiges Gericht bestimmt.

    G r ü n d e

    I.

    Der Kläger reichte bei dem Amtsgericht Mitte nach einem Verkehrsunfall eine Klage gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Fahrzeugs des Unfallverursachers ein. Die Beklagte unterhält nach ihrem unbestrittenen Vortrag im Schriftsatz vom 3. Juli 2013 in Berlin eine Betriebsstätte mit über 1800 Mitarbeitern, die unter anderem für das Betriebsgebiet Nordost sämtliche Vertragsangelegenheiten abwickelt und dabei auch die Versicherungsfälle bearbeitet. Der Fall des Klägers fällt in die Zuständigkeit dieses Standorts. Das Amtsgericht Mitte ordnete zunächst das schriftliche Vorverfahren an und wies später die Parteien durch Verfügung vom 26. Juni 2013 darauf hin, dass Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit bestünden. Es spräche mangels Eintragung im Handelsregister „ein erheblicher Anschein“ dafür, dass die Beklagte in Berlin keine Niederlassung im Sinne von § 21 ZPO unterhalte. Deshalb werde angeregt, einen Verweisungsantrag zu stellen. Die Parteien verteidigten ihre gegenteilige Auffassung, wobei die Beklagte vortrug, dass in Berlin rund 1.800 Mitarbeiter unter anderem alle Vertragsangelegenheiten und dazu gehörenden Versicherungsfälle, die das Betriebsgebiet Nordost beträfen, bearbeiteten. Das Amtsgericht teilte darauf hin durch Verfügung mit, dass die Klage abgewiesen werden müsse. wenn kein Verweisungsantrag gestellt werde. Ein rügelose Einlasssung der Beklagte sei zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. Der Kläger beantragte deshalb unter Aufrechterhaltung seiner Auffassung vorsorglich, den Rechtsstreit an das Amtsgericht Dinslaken zu verweisen.

    Das Amtsgericht Mitte hat den Rechtsstreit dann durch Beschluss vom 8. August 2013, dem Datum des Eingangs des Originalschriftsatzes mit dem Verweisungsantrag, an das Amtsgericht Dinslaken verwiesen. Zur Begründung hat es die Ausführungen aus den vorangehenden Verfügungen im Wesentlichen wiederholt. Das Amtsgericht Dinslaken hat sich letztlich durch Beschluss vom 26. September 2013 ebenfalls für unzuständig erklärt und die Sache dem Kammergericht zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt.

    II.

    Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind gegeben, da sowohl das Amtsgericht Mitte als auch das Amtsgericht Dinslaken sich rechtskräftig im Sinne der Vorschrift (zum Begriff BGH, Beschluss vom 4. Juni 1997 - XII AZR 13/97) für unzuständig erklärt haben.

    Das Amtsgericht Mitte ist gemäß § 21 ZPO örtlich zuständig. Die Beklagte unterhält in Berlin eine selbständige Niederlassung. Dies ist schon nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien so. Überdies hat die Beklagte unbestritten vorgetragen, dass in Berlin rund 1.800 Mitarbeiter unter anderem alle Vertragsangelegenheiten und dazu gehörenden Versicherungsfälle, die das Betriebsgebiet Nordost betrafen, bearbeiten. Tatsachen, die gegen die Annahme einer Niederlassung sprechen, sind nicht festgestellt oder sonst ersichtlich.

    Das Amtsgericht Mitte hat seine Zuständigkeit nicht auf Grund der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Mitte gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO verloren. Diese Vorschrift entzieht zwar auch einen sachlich fehlerhaften und zu Unrecht ergangenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich der Überprüfung. Dies folgt aus dem Zweck der Vorschrift, die der Prozessökonomie dienen und Zuständigkeitsstreitigkeiten vermeiden soll. Die Bindungswirkung entfällt jedoch ausnahmsweise dann, wenn der Beschluss schlechterdings als nicht im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist. Dies ist etwa der Fall, wenn er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht von dem gesetzlichen Richter erlassen worden ist oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Die Beschlussbegründung muss sich bei Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnorm so weit vom Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernen, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist, da sie nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar ist (vergl. BVerfGE 29, 45, 49; BGH NJW-RR 2008, 1309).

    Ein solcher Fall willkürlicher Verweisung ist hier gegeben. Das Amtsgericht Mitte hat durch die Gestaltung seines Verfahrens mit großer Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, dass es die Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit nicht an den gesetzlichen Vorschriften orientieren wollte. Dies begann damit, dass es seine Anregung, einen Verweisungsantrag zu stellen, nicht auf bestimmte Tatsachen, sondern auf einen erheblichen Anschein stützte, obwohl eine Verweisung nur dann in Betracht kommt, wenn feststeht, dass das angerufene Gericht unzuständig ist. Eigene tatsächliche Feststellungen zu den Voraussetzungen einer Niederlassung gemäß
    § 21 ZPO hat das Amtsgericht nicht getroffen.

    Weiterhin hat das Amtsgericht den Kläger mit der offensichtlich rechtswidrigen Ankündigung, die Klage als unzulässig abzuweisen, dazu bewegt, den Verweisungsantrag vorsorglich zu stellen. Diese Ankündigung war deshalb rechtlich nicht zutreffend, weil die Beklagte Gelegenheit gehabt hätte, durch rügeloses Verhandeln die Zuständigkeit des Amtsgerichts Mitte jedenfalls nachträglich herbeizuführen. Diese Gelegenheit hätte das Amtsgericht mit rechtlich zulässigen Mitteln nicht vereiteln können. Wenn es nämlich tatsächlich die Klage mangels örtlicher Zuständigkeit nicht für zulässig gehalten haben sollte, hätte es Termin anberaumen müssen. Dort hätte die Beklagte nach rechtlichem Hinweis gemäß § 504 ZPO, zu dem das Gericht verpflichtet gewesen wäre, rügelos verhandeln können.

    Dann hat das Amtsgericht den Sachvortrag der Beklagten zur Frage der Eigenschaft der Betriebsstätte in Berlin augenscheinlich nicht würdigen wollen. Der Vortrag, dass in Berlin rund 1.800 Mitarbeiter unter anderem alle Vertragsangelegenheiten und dazu gehörenden Versicherungsfälle, die das Betriebsgebiet Nordost betrafen, bearbeiten, findet keine Erwähnung.

    Auch der Umstand, dass der Senat gegenüber dem Amtsgericht Mitte in mehreren Entscheidungen willkürliche Verweisungen vor dem Hintergrund des § 21 ZPO festgestellt hat, findet in der Verweisungentscheidung keine Berücksichtigung, die statt dessen mit auch für ein Amtsgericht bemerkenswerter Geschwindigkeit noch am Tag des Eingangs des Antrags die Bearbeitung der Sache auf ein anderes Amtsgericht zu verlagern versuchte.