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  • 28.04.2017 · IWW-Abrufnummer 193567

    Amtsgericht Esslingen: Beschluss vom 03.03.2017 – 4 OWi 22/17

    Dem Verteidiger ist Akteneinsicht in den kompletten Messfilm, die Rohmessdaten und die Kalibrierungsfotos zu gewähren. Der Betroffene bzw. sein Verteidiger hat der Bußgeldbehörde hierfür geeignete Speichermedien zur Verfügung zu stellen, die sodann bespielt dem Verteidiger zur Verfügung zu stellen sind.


    Amtsgericht Esslingen

    4 OWi 22/17

    Beschluss

    In dem Bußgeldverfahren gegen

    wegen Ordnungswidrigkeit

    hat das Amtsgericht Esslingen durch den Richter Ehni am 03.03.2017 beschlossen:

    Dem Verteidiger ist Akteneinsicht in den kompletten Messfilm, die Rohmessdaten und die Kali­brierungsfotos zu gewähren. Der Betroffene bzw. sein Verteidiger hat der Bußgeldbehörde hierfür geeignete Speichermedien zur Verfügung zu stellen, die sodann bespielt dem Verteidiger zur Ver­fügung zu stellen sind.

    Die Kosten des Antrages auf gerichtliche Entscheidung trägt die Staatskasse.

    Gründe:

    Die Bußgeldbehörde wirft dem Betroffenen vor, am 22. September 2016 um 15:20 Uhr in Wernau die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 25 km/h über­schritten zu haben, weshalb sie am 13. Dezember 2016 einen Bußgeldbescheid gegen den Be­troffenen erließ. Bereits mit Schreiben vom 31. Oktober 2016, eingegangen bei der Stadt Wernau am 02.11.2016, beantragte der Verteidiger Akteneinsicht in die „Bedienungsanleitung und Lebens­akte des Meßgeräts (soweit keine Lebensakte geführt wird, sind Auskünfte über Nacheichungen, Reparaturen usw. seit der letzten Eichung bis zum Tatzeitpunkt zu erteilen), Eichschein, Meßprotokoll, Beschilderungsplan, Ausbildungsnachweise des Meßbeamten, gesamter Messfilm bzw. gesamte Messwertreihe des Tattages und Tatorts, Kalibrierungsfotos und Rohmessdaten". Die­sem Antrag kam die Bußgeldbehörde lediglich teilweise nach. Die Bußgeldbehörde nahm von der Akteneinsicht die Lebensakte, den Beschilderungsplan, den Meßfilm sowie die Rohmessdaten aus. Ein Beschilderungsplan sei nicht vorhanden. Eine Lebensakte werde nicht geführt. Hinsicht­lich des Meßfilms bestehe keine eindeutige Linie in der Rechtsprechung.

    Akteneinsicht werde aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken nicht gewährt. Bei den Rohmessdaten handele es sich nicht um Aktenbestandteile. Gegen die ablehnende Verfügung der Stadt Wernau stellte der Verteidiger am 27.12.2016 Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit dem der Verteidiger Aktenein­sicht in den Messfilm, die Rohmessdaten und die Kalibrierungsfotos begehrt.

    Der Antrag ist zulässig und begründet.

    Aus den Grundsätzen des fairen Verfahrens und der Gewährung rechtlichen Gehörs folgt, dass dem Betroffenen auf dessen Antrag hin die Rohmessdaten zur Verfügung zu stellen sind. Würde man dem Betroffenen dieses Einsichtsrecht versagen, würde der Betroffene in seinen Verfah­rensrechten eingeschränkt. Ein zentrales Anliegen eines rechtsstaatlich geordneten Bußgeldver­fahrens ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts als notwendige Grundlage eines gerechten Urteils (AG Weißenfels, Beschluss vom 03. September 2015, 10 AR 1/15).

    Verfahrensentschei­dungen, die die Ermittlung der Wahrheit zulasten des Betroffenen behindern, können daher einen Anspruch auf ein faires Verfahren verletzen. Hiergegen würde es verstoßen, wenn dem Betroffe­nen die Möglichkeit der Überprüfung verfahrensrelevanter Daten versagt wird. Der Betroffene hat daher einen Anspruch auf Überlassung der Rohmessdaten (Im Ergebnis ebenso AG Völklingen 6 Gs 49/16).

    Einer solchen Datenherausgabe stehen im Fall der Herausgabe lediglich an den Ver­teidiger und von ihr beauftragter Sachverständiger auch eventuelle datenschutzrechtliche Beden­ken nicht entgegen (AG Völklingen aaO m.w.Nw.).

    Des Weiteren ist Akteneinsicht in die Kalibrierungsbilder und den vollständigen Messfilm zu ge­währen. Der Verteidiger hat gemäß § 46 i.V.m. § 147 StPO ein Recht auf Akteneinsicht, das sich auf alle Schriftstücke, Bild-, Video- und Tonaufnahmen bezieht, die für den Betroffenen belastend oder entlastend sein können. Dies gilt auch für Kalibrierungsbilder, die der Verteidigung zur Verfü­gung gestellt werden müssen (Lüderssen/Jahn in Löwe-Rosenberg, § 147 Rn. 154). Gleiches gilt für den Messfilm. Auch wenn der vollständige Messfilm nicht zu den Akten genommen wird, wird der Vorwurf in tatsächlicher Hinsicht darauf gestützt. Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes greifen nicht durch (Vgl. exemplarisch statt vieler AG Fritzlar, 4 Owi 11/14, Beschluss vom 07.10.2014 sowie AG Stuttgart DAR 2014, 406).

    Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46, 467 Abs. 1 StPO. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 62 II 3 OWiG).