30.01.2018 · IWW-Abrufnummer 199278
Oberlandesgericht Bamberg: Beschluss vom 30.10.2017 – 3 Ss OWi 1206/17
1. Wie die Einlegung des Einspruchs selbst ist auch die Beschränkung des Einspruchs als Prozesshandlung bedingungsfeindlich. Ergibt sich aus Erklärungen des Betroffenen oder seiner Verteidigung, dass (weiterhin) auch die Schuld oder deren Umfang angegriffen wird, ist die Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam (u.a. Anschluss an OLG Frankfurt, Beschl. v. 23.3.2016 – 2 Ss OWi 52/16 = NStZ-RR 2016, 152; BayObLG, Beschl. v. 04.09.2000 – 1 ObOWi 443/00 [bei juris]).
2. Eine über die Beschränkung auf den sich aus Geldbuße und Fahrverbotsanordnung zusammensetzenden Rechtsfolgenausspruch des Bußgeldbescheids in seiner Gesamtheit hinausgehende Einspruchsbeschränkung isoliert auf die Frage der Fahrverbotsanordnung, der Fahrverbotsdauer oder der Fahrverbotsbeschränkung auf Kfz einer bestimmten Art scheidet aufgrund der engen Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße grundsätzlich aus (u.a. Anschluss an OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.11.2016 – 2 RBs 157/16 = DAR 2017, 92 = BA 54 [2017], 45; OLG Rostock NZV 2002, 137; OLG Hamm NZV 2002, 142; BayObLG NZV 2000, 50).
Beschluss vom 30.10.2017
3 Ss OWi 1206/17
Zum Sachverhalt:
Mit Bußgeldbescheid vom 13.09.2016 setzte die Bußgeldstelle gegen den Betr. wegen einer am 17.06.2016 als Führer eines Pkw auf einer BAB begangenen vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 62 km/h eine Geldbuße von 880 Euro fest und ordnete gegen ihn wegen des groben Pflichtenverstoßes ein zweimonatiges Fahrverbot an. Mit am selben Tag bei Gericht eingegangenem Verteidigerschriftsatz vom 02.12.2016 ließ der Betr. erklären, dass sein Einspruch vom 15.09.2016 gegen den Bußgeldbescheid „auf die Rechtsfolgen beschränkt“ und angeregt werde, „im Beschlusswege das Fahrverbot auf einen Monat zu reduzieren bei Feststellung von einem fahrlässigen Verstoß“, wobei „im Falle dessen […] auf eine Begründung verzichtet“ werde, da der Betr. beabsichtige, „das Fahrverbot über die Festtage abzuleisten“. Das AG hat mit Beschluss vom 22.12.2016 „unter Bezugnahme auf den ansonsten rechtskräftigen Bußgeldbescheid vom 13.9.2016 […] das FV auf 1 Monat festgesetzt“ und dem Betr. die Kosten des Verfahrens sowie seine notwendigen Auslagen auferlegt. Gegen diese im Beschlussverfahren nach § 72 OWiG ergangene Entscheidung wenden sich die StA und der Betr. mit ihren jeweils frist- und formgerecht eingelegten und mit Sachrüge begründeten Rechtsbeschwerden. Die Rechtsmittel führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung des Sache an das AG.
Aus den Gründen:
I. Die nach § 79 I 1 Nr. 3 OWiG bzw. nach den §§ 79 I 1 Nrn. 1 und 2 OWiG statthaften Rechtsbeschwerden sind jeweils zulässig und begründet, weil das AG den Umfang seiner Prüfungs- und Feststellungspflicht verkannt hat, indem es bei seiner Beschlussfassung nach § 72 OWiG – was das Rechtsbeschwerdegericht auf die Sachrügen von Amts wegen zu prüfen hat – schon zu Unrecht von einer wirksamen Einspruchsbeschränkung nach § 67 II OWiG auf den Rechtsfolgenausspruch des Bußgeldbescheids vom 13.09.2016 ausgegangen ist; es hat deshalb rechtsfehlerhaft nicht über alle im Rechtssinne angefochtenen Bestandteile des Bußgeldbescheids entschieden.
1. Zwar enthält der Verteidigerschriftsatz vom 02.12.2016 die einleitende Formulierung, dass der Einspruch „auf die Rechtsfolgen beschränkt“ werde. Schon im Rahmen der folgenden „Anregung“ einer Entscheidung im Beschlussverfahren wird seitens der Verteidigung aber deutlich gemacht, dass es dem Betr. nicht allein um die Reduzierung der im Bußgeldbescheid angeordneten Fahrverbotsdauer geht, sondern auch um die „Feststellung“, d.h. Abänderung der im Bußgeldbescheid angenommenen vorsätzlichen Schuldform hin zu einem nur noch „fahrlässigen Verstoß“. Letzte Zweifel am Anfechtungsumfang werden anhand der dem Verteidigerschreiben angehefteten und von diesem ausdrücklich in Bezug genommenen persönlichen „Stellungnahme des Betr. zum Tathergang“ vom 02.12.2016 beseitigt, in welcher sich der Betr. gerade gegen den ihn treffenden „Vorwurf des Vorsatzes“ argumentativ, u.a. unter Berufung auf ein sog. m‚Augenblicksversagen‘, zur Wehr setzt, weshalb es sich […] „in keinster Weise um Vorsatz, sondern nur um ein sehr unglückliches Versehen“ gehandelt habe.
2. Wie die Einlegung des Einspruchs selbst ist auch die Beschränkung des Einspruchs als Prozesshandlung bedingungsfeindlich, weshalb bei entsprechenden Erklärungen der Verteidigung oder des Betr. in oder – wie hier – außerhalb der Hauptverhandlung auf unmissverständliche Formulierungen und widerspruchsfreie transparente Prozesserklärungen zu achten ist. Ergibt sich aus den als Einspruchsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch zu wertenden Erklärungen des Betr. oder seiner Verteidigung, dass (weiterhin) auch die Schuld oder deren Umfang angegriffen wird, ist die Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam (OLG Frankfurt, Beschl. v. 23.3.2016 – 2 Ss OWi 52/16 = NStZ-RR 2016, 152; BayObLG, Beschl. v. 04.09.2000 – 1 ObOWi 443/00 [bei juris]; vgl. auch Burhoff [Hrsg.]/Gieg, Handbuch OWi-Verfahren, 5. Aufl. [2018], Rn. 944 und Göhler-Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. [2017] § 67 Rn. 29, 37).
3. Wegen der sich aufgrund der widersprüchlichen Erklärungen der Verteidigung aufdrängenden Zweifel am Beschränkungsumfang hätte das AG deshalb entweder vor seiner Entscheidung z.B. durch einen entsprechenden Hinweis an die Verteidigung auf eine präzise Festlegung des genauen Anfechtungsumfangs hinwirken oder aber im Falle fortbestehender Zweifel von einer unwirksamen Einspruchsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch und damit von einem unbeschränkten Anfechtungsumfang des Einspruchs des Betr. ausgehen müssen. Denn die von der Verteidigung und dem Betr. nach wie vor erstrebte Abänderung auch der im Bußgeldbescheid angenommenen vorsätzlichen Schuldform ist derart untrennbar mit der Rechtsfolge, insbesondere für die Frage der Anordnung eines Fahrverbots und seine Dauer, verknüpft, dass sie nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können (OLG Frankfurt a.a.O.).
II. Der angefochtene Beschluss kann insgesamt keinen Bestand haben und ist mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben (§ 79 III 1 OWiG, § 353 StPO). Auf die Rechtsbeschwerden der StA und des Betr. wird deshalb die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das AG zurückverweisen (§ 79 VI OWiG). Dieses wird nunmehr zur Bestimmung auch des Schuldspruchs und des Schuldumfangs Feststellungen u.a. auch zur schuldhaften (vorsätzlichen oder fahrlässigen) Verwirklichung des angenommenen Bußgeldtatbestandes und weiterhin ggf. dazu zu treffen haben, ob eine Abkürzung der an sich verwirkten Regelfahrverbotsdauer ausnahmsweise in Betracht kommen kann (vgl. hierzu zuletzt OLG Bamberg, Beschl. v. 04.05.2017 – 3 Ss OWi 550/17 [bei juris] und 28.12.2015 – 3 Ss OWi 1450/15 = BA 53 [2016], 192 = ZfS 2016, 290; ferner schon OLG Bamberg, Beschl. v. 11.04.2006 – 3 Ss OWi 354/06 = ZfS 2006, 533 = DAR 2006, 515 = VRR 2006, 230 = VRS 111, 62; 18.03.2009 – 3 Ss OWi 196/09 = DAR 2009, 401 = VM 2009, Nr. 63 = VRR 2009, 309 = OLGSt StVG § 25 Nr. 46 und 18.03.2014 – 3 Ss OWi 274/14 = DAR 2014, 332 = VM 2014, Nr. 36 = OLGSt StVG § 25 Nr. 57, jew. m.w.N.).
III. Vorsorglich weist der Senat noch auf folgendes hin: Eine über die Beschränkung auf den sich aus Geldbuße und Fahrverbotsanordnung zusammensetzenden Rechtsfolgenausspruch des Bußgeldbescheids in seiner Gesamtheit hinausgehende Einspruchsbeschränkung isoliert auf die Frage der Fahrverbotsanordnung, der Fahrverbotsdauer oder der Fahrverbotsbeschränkung auf Kraftfahrzeuge einer bestimmten Art (§ 25 I 1 StVG) scheidet nach st.Rspr. und ganz h.M. im Schrifttum aufgrund der engen Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße, wie sie etwa in § 4 IV BKatV ihren gesetzlichen Niederschlag gefunden hat, grundsätzlich aus (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 2.11.2016 – 2 RBs 157/16 = DAR 2017, 92 = BA 54 [2017], 45; OLG Rostock NZV 2002, 137; OLG Hamm NZV 2002, 142; BayObLG NZV 2000, 50; ferner Göhler-Seitz/Bauer OWiG § 67 Rn. 34g u. § 79 Rn. 9; Burhoff [Hrsg.]/Gieg a.a.O. Rn. 955; Rebmann/Roth/Herrmann OWiG § 67 Rn. 6; Bohnert/Krenberger/Krumm OWiG 4. Aufl. § 67 Rn. 60; Lemke/Mosbacher OWiG 2. Aufl. § 67 Rn. 33; Niehaus NZV 2003, 411; a.A. KK-OWiG/Ellbogen 4. Aufl., § 67 Rn 52 f.; für sonstige Nebenfolgen vgl. Göhler-Seitz/Bauer § 67 Rn. 34c). Hiervon unberührt bleibt die häufig eröffnete Möglichkeit, eine gleichwohl – auch schlüssig – erklärte Beschränkung allein auf das Fahrverbot oder seine Dauer bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen, insbesondere eines den Anforderungen des § 66 I OWiG genügenden Bußgeldbescheids, als Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruchs in seiner Gesamtheit auszulegen (KG NZV 2002, 466; OLG Rostock NZV 2002, 137; Göhler-Seitz/Bauer § 67 Rn. 34e ff.; Burhoff [Hrsg.]/Gieg a.a.O.; Niehaus a.a.O., S. 411). […]