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  • 20.12.2019 · IWW-Abrufnummer 213246

    Landgericht Nürnberg-Fürth: Beschluss vom 05.12.2019 – 5 Qs 73/19

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Landgericht Nürnberg-Fürth

    In dem Strafverfahren
    gegen pp.

    Verteidiger:

    wegen unerl. Entfernens vom Unfallort

    erlässt das Landgericht Nürnberg-Fürth - 5. Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 5. Dezember 2019 folgenden
    Beschluss

    1. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg, Az. 54 Cs 702 Js 105103/19, vom 02.10.2019 aufgehoben.
    2. Der Führerschein ist dem Angeklagten unverzüglich herauszugeben.
    3. Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.

    Gründe

    I.

    Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth führt gegen den Angeklagten ein Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall, der sich am 23.02.2019 gegen 22:00 Uhr auf der Autobahn A73 in Richtung Feucht kurz vor der Anschlussstelle Nürnberg-Zollhaus ereignet haben soll. Der Angeklagte soll seinen PKW Ford Ranger, amtliches Kennzeichen pp., von der rechten auf die linke Spur gezogen haben, während eine weitere Verkehrsteilnehmerin mit ihrem PKW Audi A 1 auf der linken Spur den Angeklagten überholt haben soll. Hierbei soll es zu einer Kollision mit deren PKW Audi A 1 gekommen sein. Das Amtsgericht Nürnberg erließ am 02.10.2019 deswegen einen Strafbefehl gegen den Angeklagten, in welchem ihm vorgeworfen wird bei der Kollision den PKW Audi A 1 beschädigt und einen Fremdschaden von 1984,72 Euro netto verursacht zu haben. Obwohl der Angeklagte den Unfall bemerkt und erkannt bzw. damit gerechnet habe, dass ein nicht völlig unbedeutender Fremdschaden entstanden sei, habe er die Unfallstelle verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen ermöglicht zu haben. Dadurch habe sich der Angeklagte als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen.

    Das Amtsgericht Nürnberg entzog dem Angeklagten mit Beschluss vom gleichen Tag vorläufig die Fahrerlaubnis. Zudem ordnete das Amtsgericht die Beschlagnahme des Führerscheins an.
    Sein Führerschein wurde am 20.10.2019 beschlagnahmt.

    Der Angeklagte legte gegen den Strafbefehl Einspruch ein und erhob gegen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis am 27.11.2019 Beschwerde.

    Das Amtsgericht hat der Beschwerde am 28.11.2019 nicht abgeholfen. Die Staatsanwaltschaft beantragte am 02.12.2018 die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

    II.

    Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Nach § 111 a StPO kann die Fahrerlaubnis vorläufig nur dann entzogen werden, wenn sich aus der vorgeworfenen Tat auch ergibt, dass der Angeklagte zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist (§ 69 StGB). Dringende Gründe für den endgültigen Entzug der Fahrerlaubnis liegen vor, wenn dies in hohem Maße wahrscheinlich ist. Das ist der Fall, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für die körperliche oder charakterliche Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen besteht. Nach derzeitigen Ermittlungsstand ist ein endgültiger Entzug der Fahrerlaubnis mangels Nachweisbarkeit der charakterlichen Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen unwahrscheinlich,

    a) Der Angeklagte ist derzeit nicht dringend verdächtig, einen Regelfall des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB verwirklicht zu haben. Zwar besteht momentan ein dringender Tatverdacht der Unfallflucht (§ 142 Abs. 1 StGB) aufgrund der Angaben der Zeugin pp. (vgl. BI. 8 d.A.), der Lichtbilder des PHM pp. (vgl. BI. 22 bis 32 d. A.) sowie der Angaben des Angeklagten gegenüber POM pp. am 23.02.2019 (vgl. BI. 14f. d.A.). Nach dem derzeitigen Ermittlungsergebnis zur Schadenshöhe, insbesondere dem Gutachten des Sachverständigen Dipl.lng. (FH) pp. (vgl. BI. 44 ff d.A.), besteht jedoch kein dringender Verdacht, dass der Angeklagte durch den Unfall einen bedeutenden Fremdschaden verursacht.

    Ein bedeutender Fremdschaden liegt ab einem Betrag von 2.500,00 € netto vor (ständige Rechtsprechung der Kammer, vgl. Beschluss vom 24.04.19, Az. 5 Qs 25/19). Die Kammer hatte Anfang 2018 die Änderung von § 44 Abs. 1 StPO und damit die seit dem 24.08.2017 geschaffene Möglichkeit der Verhängung von Fahrverboten von bis zu 6 Monaten anstelle von 3 Monaten zum Anlass genommen, ihre Rechtsprechung zum Begriff des bedeutenden Fremdschadens zu ändern (bis 2017: 1.800,00 € vgl. z. B. Beschluss vom 11.04.2008, Az. 5 Qs 61/08). Im Hinblick auf die in § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB angeordnete Gleichsetzung des bedeutenden Fremdschadens mit der Tötung bzw. nicht unerheblichen Verletzung eines Menschen einerseits und der wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten 10 Jahren andererseits hat die Kammer im Interesse der Rechtssicherheit eine großzügige Anpassung der Wertgrenze nach oben vorgenommen. Die Kammer hat dabei die Entwicklung der Einkommen und der Kosten für die Beseitigung der Folgen von Verkehrsunfällen berücksichtigt und sich an einer groben Schätzung der wirtschaftlichen Entwicklung orientiert. Eine exakte Ermittlung der Kostenentwicklung bei der Beseitigung von Unfallfolgen ist nicht zuletzt wegen der Vielfältigkeit der Unfallszenarien von geringer Aussagekraft. Die Kammer hat deswegen davon abgesehen anhand von einem Musterunfallgeschehen auf eine insoweit singuläre Kostenentwicklung abzustellen (vgl. aber zu diesem Ansatz, LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 13.05.2008, Az. 5/9a Qs 5/08). Die Verbraucherpreise für die Wartung und Reparatur von Fahrzeugen sind allein in den Jahren von 2010 bis 2016 um 1 1,6 % angestiegen (vgl. Statistisches Bundesamt, Verbraucherpreisindex für Deutschland, Klassifikation CC 0723). Im gleichen Zeitraum steigerte sich der Reallohnindex lediglich um 7,8 % (vgl. Statistisches Bundesamt, Verdienste und Arbeitskosten, Reallohnindex und Nominallohnindex, 4. Vierteljahr 2017). Auch im Bereich der Bergungs- und Abschleppkosten ist es zu deutlichen Preissteigerungen gekommen. So sind beispielsweise die Preise für ein Standard-Bergungsfahrzeug zum Abtransport von liegen gebliebenen PKWs bis 7,49 t zwischen den Jahren 2006 und 2016 um 35,5 % angestiegen (vgl. VBA, Preis- und Strukturumfrage im Bergungs- und Abschleppgewerbe, Ergebnisse 2006 bis 2016). Eine großzügige Anpassung der Wertgrenze war im Interesse der Rechtssicherheit geboten, um eine wiederholte Anpassung um kleinere Beträge in kürzeren Zeitabständen möglichst zu vermeiden.

    Nachdem der im Strafbefehl bezifferte Schaden, auf dessen Sachverhalt das Amtsgericht bei der vorläufigen Entziehung Bezug genommen hat, mit 1984,72 EURO netto unterhalb dieses Betrages liegt, kommt es nicht mehr darauf an, ob - wozu im angegriffenen Beschluss des Amtsgerichts keinerlei Ausführungen gemacht werden - der Angeklagte wusste oder hätte wissen können, dass ein Schaden in dieser Höhe eingetreten ist. Dies scheint nach den in der Akte enthaltenen Lichtbildern des Schadens (BI. 22 bis 32 d. A.) auch fraglich.

    b) Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte aus anderen Gründen zur Führung von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Allein aus dem Umstand, dass der Angeklagte mit der vorliegend angeklagten Tat dringend einer Unfallflucht, also einer Katalogtat im Sinne des § 69 Abs. 2 StGB, verdächtigt ist, kann noch nicht auf eine charakterliche Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen werden.

    c) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 StPO.a