27.05.2020 · IWW-Abrufnummer 215901
Oberlandesgericht Koblenz: Beschluss vom 07.05.2020 – 2 OWi 6 SsRs 120/20
Befindet sich die Bedienungsanleitung eines verwendeten standardisierten Messverfahrens nicht bei der Gerichtsakte, ist das Tatgericht grundsätzlich nicht verpflichtet, derartige Unterlagen auf Antrag der Verteidigung beizuziehen Die Verteidigung des Betroffenen wird zudem nur dann unzulässig beschränkt, wenn dieser schon bei der Verwaltungsbehörde und sodann vor dem Amtsgericht im Verfahren nach § 62 OWiG erfolglos einen auf Herausgabe dieser Unterlagen gerichteten Antrag gestellt hat und sein erneuter, in der Hauptverhandlung mit einem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens (§ 228 Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG) verbundener Antrag auf Einsichtnahme durch Beschluss des Gerichts zurückgewiesen wurde.
Oberlandesgericht Koblenz
2 OWi 6 SsRs 120/20
1024 Js 10041/19 - StA Bad Kreuznach
In der Bußgeldsache gegen
xxxwegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der 2. Strafsenat - 2. Senat für Bußgeldsachen - des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxx am 7. Mai 2020 beschlossen:
1. Die Beschwerde des Betroffenen gegen die (vermeintliche) Versagung der Akteneinsicht ist erledigt.
2. Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung seiner Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Simmern/Hunsrück wird auf seine Kosten (§ 46 Abs. 1 OWiG iVm. § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO) als unbegründet verworfen.
Gründe:
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 36 km/h eine Geldbuße von 170,- Euro festgesetzt. Nach den Feststellungen befuhr er am 21. März 2019 um 11.37 Uhr mit einem Pkw die Bundesstraße B 50 in 55487 Sohren im dort auf 120 km/h beschränkten Bereich mit einer Geschwindigkeit von 156 km/h, gemessen mit einem Messgerät des Typs Riegl FG21-P (Laserpistole).
Die Beschwerde gegen die vermeintliche Versagung der Akteneinsicht ist prozessual üerholt und erledigt, weil dem Verteidiger antragsgemäß Akteneinsicht gewährt wurde.
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Es ist weder geboten, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen, noch ist das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 OWiG).
1.
In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass und unter welchen Voraussetzungen es sich bei dem Messgerät Riegl FG21-P um ein standardisiertes Messverfahren handelt, welches bei sachgerechter Bedienung grundsätzlich zuverlässige Ergebnisse liefert. Die Einstufung als standardisiertes Messverfahren hat zur Folge, dass sich das Tatgericht in seinen Feststellungen auf die Mitteilung des verwendeten Messverfahrens, der gefahrenen Geschwindigkeit und der gewährten Toleranz beschränken kann. Dies gilt nur dann nicht, wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Gebrauchsanweisung für das Messgerät nicht eingehalten wurde oder sonstige Fehlerquellen konkret behauptet werden (KG Berlin, 3 Ws (B) 266/18 v. 05.12.2018 - VRS 2019, 29). Solche sind vorliegend weder vorgetragen noch ersichtlich.
2.
Soweit der Betroffene die Verletzung rechtlichen Gehörs bzw. des Rechts auf ein faires Verfahren damit begründet, dass ihm die für eine Überprüfung des Messergebnisses erforderliche Bedienungsanleitung für das Gerät nicht zur Einsicht überlassen worden sei, dringt diese Verfahrensrüge hier nicht durch. Befindet sich die Bedienungsanleitung eines verwendeten standardisierten Messverfahrens nicht bei der Gerichtsakte, ist das Tatgericht grundsätzlich nicht verpflichtet, derartige Unterlagen auf Antrag der Verteidigung beizuziehen (vgl. OLG Frankfurt a.M., 2 Ss0- Wi 173/13 v. 12.04.2013 - NStZ-RR 2013, 223). Zwar folgt aus dem Gebot des fairen Verfahrens (Art. 20 Abs. 3 GG iVm. Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 MRK) das Recht des Betroffenen, dass die Verwaltungsbehörde seinem Verteidiger oder einem von ihm beauftragten Sachverständigen nicht bei den Akten befindliche amtliche Messunterlagen zur Verfügung stellt, die erforderlich sind, um die „Parität des Wissens" herzustellen und die es dem Betroffenen ermöglichen, die Berechtigung des auf das Ergebnis eines (standardisierten) Messverfahrens gestützten Tatvorwurfs mit Hilfe eines Sachverständigen zu überprüfen. Die Verteidigung des Betroffenen wird aber nur dann unzulässig beschränkt, wenn dieser schon bei der Verwaltungsbehörde und sodann vor dem Amtsgericht im Verfahren nach § 62 OWiG erfolglos einen auf Herausgabe dieser Unterlagen gerichteten Antrag gestellt hat und sein erneuter, in der Hauptverhandlung mit einem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens (§ 228 Abs. 1 StPO iVm. § 71 Abs. 1 OWiG) verbundener Antrag auf Einsichtnahme durch Beschluss des Gerichts zurückgewiesen wurde, sofern nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil auf der rechtsfehlerhaften Ablehnung seines Antrags beruht oder beruhen kann (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. 1 Rb 10 Ss 291/19 v. 16.07.2019 - NStZ 2019, 620).
Vorliegend hat der Betroffene seinen Antrag auf Überlassung aber nur beim Amtsgericht gestellt und sich außerhalb der Hauptverhandlung nicht um die gewünschten Dokumente bemüht. Der Fall liegt insoweit anders als die vom Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in der Entscheidung VGH B 19/19 vom 15. Januar 2020 (NZV 2020, 92) betroffene Konstellation, in welcher der Betroffene in seinem Bemühen um Überlassung der Bedienungsanleitung trotz Ausschöpfung aller Antrags- und Rechtsbeschwerdemöglichkeiten erfolglos geblieben war. Die Frage einer Divergenzvorlage stellt sich daher vorliegend für den Einzelrichter des Senats nicht.
Im Übrigen lässt sich die Gebrauchsanweisung für das Messgerät Riegl FG21-P unschwer und ohne großen Aufwand dem Internet entnehmen https://www.manualslib.de/manual/423381/Riegl-Fg-21-P.html).
3.
Bei dem in der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Vernehmung der Polizeibeamtin Pulcher zum Beweis der Tatsache, dass „hier wohl ein Verständigungsproblem (Kommunikationsschwierigkeiten) stattgefunden" habe, handelte es sich mangels Behauptung einer bestimmten konkreten Tatsache nicht um einen förmlichen Beweisantrag iSv. von § 46 Abs. 1 OWiG iVm. § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO, sondern lediglich um einen Beweisermittlungsantrag, dessen Ablehnung sich nach Maßgabe der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 46 Abs. 1 OWiG iVm. § 244 Abs. 2 StPO) beurteilt.
Diese gebot vorliegend eine dahingehende Aufklärung nicht. Das Gericht hat Beweise nur dann von Amts wegen zu erheben, wenn ihm aus den Akten oder aus dem Stoff der Verhandlung Umstände oder Möglichkeiten bekannt oder erkennbar sind, die bei verständiger Würdigung der Sachlage begründete Zweifel an der Richtigkeit der auf Grund der bisherigen Beweisaufnahme erlangten Überzeugung wecken müssen (vgl. BGH, Beschl. 1 StR 175/96 v. 09.05.1996 - NStZ-RR 1996, 299). Das war vorliegend ersichtlich nicht der Fall, denn der Umstand, dass zwei andere „geblitzte" Fahrzeuge nicht angehalten wurden, weil eines von ihnen vor der Messung abgebogen sei, lässt keinerlei Rückschlüsse darauf zu, dass in Bezug auf das Fahrzeug des Betroffenen, dessen Fahrzeug ordnungsgemäß erfasst und angehalten wurde, eine fehlerhafte Kommunikation zwischen der Mess- und der Anhaltestelle stattgefunden hat. Ins Blaue hinein wird im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren keine Sachaufklärung betrieben und es besteht kein Grund, in der Hauptverhandlung Beweisversuche dieser Art nur deshalb vorzunehmen, weil der Betroffene oder sein Verteidiger sie wünschen (vgl. KG, 161 Ss 211/16 v. 20.12.2016 - VRS 131, 79).
Zur weiteren Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen in der dem Verteidiger übermittelten Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 26. März 2020 Bezug genommen. Die Ausführungen im Schriftsatz des Verteidigers vom 20. April 2020 rechtfertigen keine andere Beurteilung.