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  • 02.12.2008 · IWW-Abrufnummer 083794

    Bundesgerichtshof: Beschluss vom 14.10.2008 – VI ZR 7/08

    Das Gericht muss auf Antrag der Partei einen radiologischen Sachverständigen anhören, wenn das Gutachten des vom Gericht beauftragten orthopädischen Sachverständigen auf einer lediglich telefonischen Erläuterung des radiologischen Gutachtens beruhen kann.



    Der Antrag einer Partei auf Anhörung eines (hier: radiologischen) Sachverständigen, der erst nach Ablauf einer Frist zur Stellungnahme zu dessen Gutachten gestellt wird, ist nicht verspätet, wenn die Partei erstmals in der mündlichen Verhandlung nach Fristablauf davon Kenntnis erhält, dass der (weitere) gerichtliche Sachverständige (hier: Orthopäde) sein Gutachten auf eine telefonische Erörterung mit dem erstgenannten Sachverständigen stützt.



    Die Anwendung des § 287 Abs. 1 ZPO ist nicht auf Folgeschäden einer Verletzung beschränkt, sondern umfasst neben einer festgestellten oder unstreitigen Verletzung des Körpers im Sinn des § 823 Abs. 1 BGB entstehende weiteren Körperschäden aus derselben Schädigungsursache.


    Hier gelangen Sie zum Urteil des OLG Koblenz vom 12.6.2008, Az: 5 U 1630/07

    Wir bitten, das Versehen zu entschuldigen.

    BUNDESGERICHTSHOF
    BESCHLUSS

    VI ZR 7/08

    vom
    14. Oktober 2008

    in dem Rechtsstreit

    Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Oktober 2008 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Zoll

    beschlossen:

    Tenor:

    Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 28. November 2008 aufgehoben.

    Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

    Gegenstandswert: 178.687,24 ¤

    Gründe:

    I.

    Der Versicherungsnehmer des Beklagten nahm dem Versicherten P. der Klägerin am 23. Januar 1998 die Vorfahrt. P. prallte mit seinem Motorroller gegen die linke PKW-Seite, schleuderte über den PKW und stürzte zu Boden. Er zog sich außer Becken- und Rippenbrüchen auch Schulterprellungen beidseits zu. Die Parteien streiten nur noch darum, ob durch den Unfall auch die bei P. festgestellten Rotatorenmanschettenrupturen verursacht worden sind.

    Das Landgericht hat das nach Einholung eines medizinischen Gutachten Dr. B. bejaht und der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht nach Einholung eines Gutachtens Dr. C. die Kausalität für nicht bewiesen erachtet und die Klage abgewiesen. Die Klägerin möchte mit der Revision ihr Klageziel weiterverfolgen und hat deshalb Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.

    II.

    Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.

    1. Das Berufungsgericht hat dadurch, dass es davon abgesehen hat, den gerichtlichen Sachverständigen W. zur Erläuterung seines Gutachtens zu laden, den prozessualen Anspruch der Klägerin auf mündliche Befragung des Sachverständigen verletzt (§§ 397, 402 ZPO). Auch wenn das Berufungsgericht die Frage nach der Verursachung der Rotatorenmanschettenrupturen durch den Unfall selbst für ausreichend geklärt erachtet hat, konnte die Klägerin verlangen, dass dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hielt, zur mündlichen Beantwortung vorgelegt werden. Zwar hatte sie erst am Ende der Sitzung beantragt, den Sachverständigen W. anzuhören. Dieser Antrag war aber nicht verspätet und nicht rechtsmissbräuchlich gestellt worden, denn die Klägerin hatte erst in der Anhörung des Sachverständigen C. erfahren, dass dieser mit dem radiologischen Sachverständigen W. telefoniert hatte und seine mündlichen Erläuterungen darauf gründete. Das Telefongespräch war keine ordnungsgemäße Beweisaufnahme, weil die Klägerin ihrerseits keine Gelegenheit hatte, an den Sachverständigen W. die ihr wichtig erscheinenden Fragen zu richten.

    Dass die Stellungnahmefrist nach § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO abgelaufen war, steht dem nicht entgegen. Diese war zur Stellungnahme zu dem Gutachten gesetzt worden, während sich der Bedarf der Klägerin zur Anhörung erst aus der telefonischen Besprechung des Sachverständigen C. mit dem Sachverständigen W. ergeben hat, die der Klägerin zuvor nicht ersichtlich bekannt war.

    Das Berufungsgericht hätte nach allem dem Antrag der Klägerin auf Anhörung des Sachverständigen W. stattgeben müssen (Art. 103 Abs. 1 GG; vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Januar 2001 - 1 BvR 2075/98 - NJW-RR 2001, 1006), wie es ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats entspricht (vgl. Senat, Urteile vom 22. Mai 2001 - VI ZR 268/00 - VersR 2002, 120; vom 29. Oktober 2002 - VI ZR 353/01 - VersR 2003, 926; vom 27. Januar 2004 - VI ZR 150/02 - VersR 2004, 1579; Beschlüsse vom 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04 - VersR 2005, 1555; vom 8. November 2005 - VI ZR 121/05 - NJW-RR 2006, 1503; vom 22. Mai 2007 - VI ZR 233/06 - VersR 2007, 1713; vom 25. September 2007 - VI ZR 157/06 - VersR 2007, 1697).

    2. Das Berufungsgericht wird in der neu eröffneten Instanz die weiteren Rügen der Nichtzulassungsbeschwerde und insbesondere zu berücksichtigen haben, dass im vorliegenden Fall Verletzungen des Klägers infolge des Unfalls (mehrfache Brüche, aber auch Prellungen beider Schultern) zwischen den Parteien unstreitig sind. Damit aber sind Primärverletzungen, für welche die haftungsbegründende Kausalität nach § 286 ZPO festzustellen ist, vorhanden. Der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfall und den Rupturen der Rotatorenmanschetten kann auch dann nach dem Maßstab des § 287 Abs. 1 ZPO festzustellen sein, wenn sich der Tatrichter bezüglich der bei einem insgesamt zu ermittelnden Kausalverlauf möglichen Folgen eine Überzeugung bilden muss. Nur der Nachweis des Haftungsgrunds (die haftungsbegründende Kausalität) unterliegt den strengen Anforderungen des § 286 ZPO. Die Anwendung des § 287 Abs. 1 ZPO ist nicht auf Folgeschäden einer einzelnen Verletzung (hier: der Schultern) beschränkt, sondern umfasst auch die neben der feststehenden Körperverletzung (hier: "Überwurf" des P. u.a. mit Becken- und Rippenbruch) im Sinn des § 823 Abs. 1 BGB entstehenden weiteren Schäden aus derselben Schädigungsursache (vgl. Senat, BGHZ 58, 48, 55 f.; 60, 177, 183 f.; Urteile vom 2. Dezember 1975 - VI ZR 79/74 - VersR 1976, 435, 437; vom 21. Oktober 1986 - VI ZR 15/85 - VersR 1987, 310; vom 28. Januar 2003 - VI ZR 139/02 - VersR 2003, 474, 475; vom 4. November 2003 - VI ZR 28/03 - VersR 2004, 118; vom 12. Februar 2008 - VI ZR 221/06 - VersR 2008, 644; vgl. OLG Saarbrücken, HVBG-Info 2006, 473 = juris Rn. 44).

    Die förmliche Anhörung eines Privatsachverständigen ist nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats freilich nicht veranlasst (vgl. Senat, Urteil vom 10. Oktober 2000 - VI ZR 10/00 - VersR 2001, 525), doch kann die Partei den Privatsachverständigen jedenfalls zu ihrer Unterstützung in der mündlichen Verhandlung hinzuziehen und sich von ihm bei der Fragestellung beraten lassen, falls sie ihm nicht ohnehin ihr Fragerecht überträgt oder dieser als Nebenintervenient eigene Rechte ausübt (§ 67 ZPO).

    RechtsgebietZPOVorschriftenZPO § 287, ZPO § 397, ZPO § 402, ZPO § 411 Abs. 4 Satz 2