11.05.2012 · IWW-Abrufnummer 121684
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 16.04.2012 – 4 StR 45/12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 16. April 2012 gemäß § 154 Abs. 2, § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Tenor:
1. | Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Gießen vom 10. Oktober 2011 wird |
2. | Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen. |
3. | Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. |
Gründe
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in fünf Fällen, fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässigem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt; ferner hat es die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von acht Monaten keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zu einer teilweisen Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Der Senat stellt das Verfahren aus prozessökonomischen Gründen gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, soweit der Angeklagte in den Fällen II. 4 und 5 der Urteilsgründe wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässigem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt worden ist. Insbesondere tragen die bisherigen Feststellungen des Landgerichts nicht den Schuldspruch aus § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2 StGB.
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a) Die Feststellungen belegen nicht die für die Annahme einer Tat nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2 StGB vorausgesetzte Herbeiführung einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert. Nach gefestigter Rechtsprechung muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt haben, in der - was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist - die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (BGH, Urteil vom 30. März 1995 - 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131 f., zu § 315c StGB; Beschluss vom 4. September 1995 - 4 StR 471/95, NJW 1996, 329 f., zu § 315b StGB; vgl. weiter SSW-Ernemann, StGB, § 315c Rn. 22 ff.). Da für den Eintritt des danach erforderlichen konkreten Gefahrerfolgs das vom Angeklagten geführte fremde Fahrzeug nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1976 - 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40; Beschluss vom 19. Januar 1999 - 4 StR 663/98, NStZ 1999, 350, 351), auch nicht erkennbar ist, ob der - allein maßgebliche - Gefährdungsschaden an Laterne und Baum die tatbestandsspezifische Wertgrenze erreicht (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215; SSW-Ernemann, StGB, § 315c Rn. 25), kommt es auf die Gefährdung der Beifahrerin an. Nach den in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäben genügt die hierauf bezogene knappe Bemerkung des Landgerichts ("Dadurch gefährdete er H. .") nicht den Anforderungen zur Darlegung einer konkreten Gefahr. Einen Vorgang, bei dem es beinahe zu einer Verletzung der Mitfahrerin gekommen wäre - also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, "das sei noch einmal gut gegangen" (Senat, Urteil vom 30. März 1995 und Beschluss vom 4. September 1995 - jew. aaO; Beschluss vom 26. Juli 2011 - 4 StR 340/11, StV 2012, 217) - hat die Strafkammer auch nach dem Gesamtzusammenhang ihrer auf das Unfallgeschehen bezogenen Feststellungen nicht hinreichend mit Tatsachen belegt.
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b) Nach den bisherigen Feststellungen bleibt zudem offen, ob die Beifahrerin des Angeklagten vom Schutzbereich des § 315c StGB überhaupt erfasst ist. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dies für an einer solchen Straftat beteiligte Insassen des Fahrzeugs zu verneinen (BGH, Urteile vom 23. Februar 1954 - 1 StR 671/53, BGHSt 6, 100, 102, vom 28. Oktober 1976 - 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40, 43, und vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, NJW 2009, 1155, 1157; vgl. SSW-Ernemann, StGB, § 315c Rn. 24 m.w.N.). Die Mitfahrerin könnte sich mit der an den Angeklagten gerichteten Aufforderung, "auch einmal zu fahren" (UA 7), der Anstiftung gemäß § 26 StGB schuldig gemacht haben. Zwar ist der Angeklagte wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 2 StGB verurteilt worden, so dass es an der in § 26 StGB vorausgesetzten vorsätzlichen Haupttat fehlen könnte. Diese rechtliche Würdigung beschwert den Angeklagten, soweit der Schuldspruch in Rede steht, nicht. Jedoch war ihm nach den Feststellungen "bewusst, dass er Alkohol getrunken hatte und möglicherweise nicht mehr fahrtauglich war. (Das) nahm er zumindest billigend in Kauf, als er sich an das Steuer setzte." (UA 7). Danach liegen die Voraussetzungen der Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination in § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB vor, zu der strafbar angestiftet werden kann (§ 11 Abs. 2 StGB). Abschließend kann der Senat die Frage einer strafbaren Teilnahme der Beifahrerin nicht beurteilen, weil das angefochtene Urteil keine Feststellungen zur Frage eines "doppelten" Anstiftervorsatzes enthält.
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2. Die Verfahrenseinstellung führt zum Wegfall der Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässigem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Damit entfallen die beiden Einzelstrafen von 60 und 40 Tagessätzen in den Fällen II. 4 und 5 der Urteilsgründe; die Teileinstellung des Verfahrens entzieht auch der Maßregel nach § 69a StGB die Grundlage.
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3. Die gegen den Angeklagten verhängte Gesamtfreiheitsstrafe kann bestehen bleiben. Der Senat schließt im Hinblick auf die verbleibende Einsatzstrafe von einem Jahr und zehn Monaten sowie die vier weiteren Einzelstrafen von jeweils einem Jahr und sechs Monaten in Übereinstimmung mit der Auffassung des Generalbundesanwalts aus, dass die Strafkammer ohne die eingestellten Fälle auf eine geringere Gesamtstrafe erkannt hätte.
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4. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Ernemann
Cierniak
Schmitt
Bender
Quentin