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  • 13.03.2013 · IWW-Abrufnummer 130853

    Landgericht Saarbrücken: Urteil vom 15.05.2009 – 13 S 10/09

    Ein Linksabbieger, der in einer Einbahnstraße, die lediglich rechtsseitig mit Parktaschen versehen ist, mit einem überholenden Fahrzeug kollidiert, haftet für den Verkehrsunfall voll, wenn der überholende Verkehrsteilnehmer mit einem Abbiegevorgang in die links gelegene Zufahrtsstraße mangels Erkennbarkeit von Parkmöglichkeiten nicht rechnen musste.


    LG Saarbrücken

    15.05.2009

    13 S 10/09

    Tenor:

    1.

    Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Neunkirchen vom 18.12.2008 abgeändert und die Klage abgewiesen.
    2.

    Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
    3.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
    4.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
    5.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    I.

    Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz in Höhe von 2 218,16 EUR sowie vorgerichtliche Anwaltskosten von 272,87 EUR jeweils nebst gesetzlicher Zinsen aus einem Verkehrsunfall, der sich am 21.2.2008 in der ... in ... zugetragen hat. Zu dem Unfall kam es, als die Ehefrau des Klägers, die Zeugin ..., mit dem Fahrzeug des Klägers mit dem amtlichen Kennzeichen ... nach links in einen Zufahrtsweg zu privaten Parkplätzen abbiegen wollte und hierbei mit dem überholenden Fahrzeug des Erstbeklagten mit dem amtlichen Kennzeichen ..., das von der Zweitbeklagten gefahren wurde und das bei der Drittbeklagten haftpflichtversichert ist, kollidierte.

    Nach Darlegung des Klägers habe sich die Zeugin ... vor dem Abbiegevorgang nach links eingeordnet und den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt. Demgegenüber haben die Beklagten behauptet, die Zeugin ... habe sich am rechten Fahrbahnrand befunden, wo sie wiederholt angefahren sei und nach wenigen Metern wieder angehalten habe. Nachdem ein vor der Zweitbeklagten fahrendes Fahrzeug an der Zeugin ... vorbeigefahren sei, habe die Zweitbeklagte ebenfalls vorbeifahren wollen, als die Zeugin ... plötzlich und ohne Fahrtrichtungsanzeiger nach links gelenkt habe, so dass der Unfall für die Zweitbeklagte nicht mehr vermeidbar gewesen sei.

    Das Erstgericht, auf dessen tatbestandlichen Feststellungen im Übrigen Bezug genommen wird, hat der Klage in hälftiger Höhe stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger müsse sich ein Verschulden der Zeugin ... zurechnen lassen, weil diese ihrer doppelten Rückschaupflicht nach § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO nicht nachgekommen sei. Die Zweitbeklagte habe ihrerseits damit rechnen müssen, dass die Zeugin ... eine Parkgelegenheit sucht und gegebenenfalls plötzlich nach links oder rechts abbiegt. Vor diesem Hintergrund sei eine Schadensteilung angemessen.

    Mit ihrer Berufung verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens weiter. Sie meinen, das Gericht habe ein Verschulden der Zweitbeklagten zunächst ausdrücklich verneint und dennoch eine Schadensteilung angenommen. Außerdem habe es verkannt, das vorliegend ein Abbiegen in ein Grundstück vorliege, so dass § 9 Abs. 5 StVO zur Anwendung komme. Der Kläger hat seinerseits Anschlussberufung erhoben und die Beweiswürdigung des Erstgerichts zu der Frage, ob die Zeugin ... den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt hatte, angegriffen.
    Entscheidungsgründe

    II.

    Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist begründet; dagegen hat die ebenfalls zulässig erhobene Anschlussberufung keinen Erfolg.

    1.

    Das Erstgericht ist davon ausgegangen, dass beide Parteien grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gem. §§ 7, 17, 18 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 115 Abs. 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und er für keinen der beteiligten Fahrerinnen ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellt. Dies ist zutreffend und wird auch in der Berufung nicht in Zweifel gezogen.

    2.

    Mit Erfolg wendet sich die Berufung jedoch gegen die erstgerichtliche Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile der Unfallbeteiligten gem. § 17 Abs. 1 StVG. Die vom Erstgericht angenommene Schadensteilung wird den hierbei zu berücksichtigenden Umständen nicht gerecht. Vielmehr haftet der Kläger für den Unfall allein.

    a)

    Das Erstgericht hat auf Klägerseite einen Verstoß gegen § 9 der Straßenverkehrsordnung (StVO) angenommen, weil die Fahrerin des klägerischen Fahrzeuges, die Zeugin ..., jedenfalls der gebotenen doppelten Rückschau beim Linksabbiegen nicht nachgekommen ist ( § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO). Dies ist zutreffend, lässt jedoch außer acht, dass die Zeugin ... beabsichtigte, in eine Zufahrt einzubiegen, die am Bürgerhaus vorbei zu (privaten) Parkplätzen im Bereich des dortigen Pfarrhauses ... führt, mithin den fließenden Verkehr verlassen wollte. Ungeachtet der Frage, ob diese Zufahrt ein Grundstück i.S.d. § 9 Abs. 5 StVO darstellt (zum Streitstand, ob ein dem öffentlichen Verkehr dienendes Grundstück hierunter fällt: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 9 StVO Rdn. 45 m.w.N.), begründete jedenfalls das Verlassen des fließenden Verkehrs eine besondere Gefahrenlage für den Folge- und Gegenverkehr des abbiegenden Verkehrsteilnehmers und für diesen selbst (vgl. BGHSt 15, 178, 183 [BGH 04.10.1960 - 4 StR 358/60]; OLG Düsseldorf NZV 88, 231 m.w.N.). Dies hat zur Folge, dass insoweit eine gesteigerte Sorgfaltspflicht der Zeugin ... bestand, die sie nach den Feststellungen des Erstgerichts nicht eingehalten hat.

    b)

    Im Ergebnis zutreffend hat das Erstgericht ferner ausgeführt, dass ein Verschulden der zweitbeklagten Fahrerin des Beklagtenfahrzeuges dagegen nicht nachweisbar ist. Insbesondere kann nicht von einer unklaren Verkehrslage i.S.d. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO ausgegangen werden, die ein Überholverbot für die Zweitbeklagte begründet hätte.

    aa)

    Nach allgemein verbreiteter Meinung herrscht eine unklare Verkehrslage, wenn nach allen objektiven Umständen - nicht nach dem Gefühl des Überholwilligen - mit einem ungefährlichen Überholen nicht gerechnet werden darf (vgl. Hentschel/König/Dauer a.a.O. § 5 StVO Rn. 34 m.w.N.). Unklar ist die Verkehrslage dann, wenn sich nicht verlässlich beurteilen lässt, was der Vorausfahrende sogleich tun wird. Zwar wird eine unklare Verkehrslage nach überwiegender Auffassung nicht angenommen, wenn der Vorausfahrende bei sich nähernder Einmündung von links seine Geschwindigkeit herabsetzt und sich zur Mitte hin einordnet. Unklar wird die Verkehrslage aber dann, wenn der Vorausfahrende zudem den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt oder weitere besondere Umstände hinzutreten (vgl. KG NZV 2006, 309; Hentschel/König, a.a.O., Rn. 35 m.w.N.).

    bb)

    Daran fehlt es hier. Das Erstgericht hat insbesondere nicht festzustellen vermocht, ob und wie lange die Zeugin ... vor dem Abbiegevorgang den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt hatte, und ob die Zweitbeklagte sich rechtzeitig auf das Linksabbiegen des Klägerfahrzeuges hätte einstellen und ausweichend reagieren können. Hiergegen wendet sich die Anschlussberufung ohne Erfolg:

    (1)

    In tatsächlicher Hinsicht ist das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinne ist jeder objektivierbare rechtliche und tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber ausschließen (vgl. BGHZ 164, 330, 332 [BGH 18.10.2005 - VI ZR 270/04] m.w.N.).

    (2)

    Konkrete Anhaltpunkte, die solche Zweifel begründen und eine erneute Feststellung gebieten könnten, liegen nicht vor. In seiner Beweiswürdigung hat sich der Erstrichter vielmehr entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt ohne gegen Denk- oder Erfahrungssätze zu verstoßen. Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, dass der Erstrichter die Aussage der Zeugin ... für unergiebig gehalten hat. Diese hatte sich - wie die Anschlussberufung selbst ausführt - in ihrer Vernehmung zu der Frage, ob sie gesehen hatte, dass der linke Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt wurde, widersprüchlich geäußert, indem sie zunächst die Frage bejaht hatte, dann erklärt hatte, sich nicht mehr erinnern zu können, und schließlich wieder erklärt hatte, den "Blinker" gesehen zu haben. Dass das Erstgericht hieraus geschlossen hatte, die Zeugin könne keine verlässlichen Angaben zu dieser Frage machen, ist naheliegend und nicht zu beanstanden. Da im Übrigen der unbeteiligte Zeuge ... in seiner Aussage das Setzen des Fahrtrichtungsanzeigers durch die Zeugin ... klar verneint hatte, begegnet die Annahme des Erstgerichts, es könne nicht bewiesen werden, ob die Zeugin ... den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt hatte oder nicht, keinen Bedenken.

    c)

    Entgegen der Annahme des Erstgerichts musste die Zweitbeklagte auch nicht mit einem plötzlichen Links- oder Rechtsabbiegen durch die Zeugin ... rechnen. Dabei kann dahinstehen, ob die Zweitbeklagte angesichts des von ihr geschilderten Fahrverhaltens der Zeugin ..., die danach mehrfach am rechten Fahrbahnrand zum Stillstand gekommen und wieder angefahren war, erkennen musste, dass diese eine Parkgelegenheit sucht. Dadurch dass auf dem jedenfalls hier maßgeblichen Teil der ... Parkgelegenheiten - anders als in den vom Erstgericht herangezogenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln (Urteil v. 21.12.1994 - 11 U 119/94) - nicht auf beiden Seiten, sondern nur auf der rechten Fahrbahnseite vorgesehen sind und die links gelegene Zufahrtstraße, in die die Zeugin ... einbiegen wollte, ausweislich der vorliegenden Lichtbilder nicht, jedenfalls nicht hinreichend erkennbar als Zufahrt zu einer (öffentlichen) Parkmöglichkeit ausgeschildert ist, musste die Zweitbeklagte gerade nicht davon ausgehen, dass das Klägerfahrzeug nach links in eine Parkgelegenheit abbiegen würde. Hieraus kann ein Sorgfaltsverstoß daher nicht hergeleitet werden.

    d)

    Bei einer Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge war zu beachten, dass infolge der gesteigerten Sorgfaltspflicht der linksabbiegenden Zeugin ... deren Verschuldensbeitrag nicht unerheblich verstärkt wird. Demgegenüber war die Betriebsgefahr des überholenden Beklagtenfahrzeugs vorliegend nicht erhöht, weil der Überholvorgang hier unter Berücksichtigung des in der Einbahnstraße fehlenden Gegenverkehrs nicht, jedenfalls nicht nennenswert erhöht war. Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs hinter das Verschulden der Klägerseite zurücktreten zu lassen mit der Folge, dass der Kläger seinen Schaden allein zu tragen hat (vgl. auch KG a.a.O. sowie die Nachweise bei Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 11. Aufl. Rdn. 176).

    III.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da der Sache keine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt und sie keine Veranlassung gibt, eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung herbeizuführen ( § 543 Abs. 1 ZPO).

    RechtsgebieteStVO, StVGVorschriften§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO § 9 StVO § 17 Abs. 1 StVG § 17 Abs. 3 StVG